BPhil ab Petrenko

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Berliner Philharmoniker

Petrenko-Auftakt
Petrenko-Saison 2019/20
Erste CD: Pathétique
Petrenko und Zietzschmann unterschreiben

Unbeirrt

Petrenko und die Berliner Philharmoniker zum Auftakt am Brandenburger Tor

24. Aug. 2019

Dass der eher kamerascheue neue Chef der Berliner Philharmoniker sich zu einem Freiluft-Auftritt mit TV-Übertragung vor dem Brandenburger Tor einließ – schon erstaunlich. Aber was tut man heute nicht alles, um die Klassische Musik in der öffentlichen Diskussion zu halten. Und der Ort, dreißig Jahre nach Wieder-Öffnung des Zugangs, setzt ein weiteres Zeichen. Zwischen 20.000 (so die erste Einschätzung der TV-Moderatorin) bis 35.000 (so die Einschätzung am Schluss?) Zuschauer/-hörer waren auf die Straße des 17.Juni gekommen. Breitwand-Screens an den Seiten übertrugen das Geschehen auch in die hinteren Reihen.

Kirill Petrenko

Zwei Stunden und mehr allerdings mussten die Menschen nicht stehen oder auf dem Boden sitzen (Klappstühle nicht erlaubt). Kirill Petrenko dirigierte eine sehr flotte NEUNTE in der durchsichtigen Kuppel. Am Tag vorher in der Philharmonie mit der vorausgeschickten Bergschen „Lulu“-Suite. Nur gut eine Stunde dauerte seine Beethoven-Symphonie mit der „Ode an die Freude“. Und es war trotz der zügigen Tempi eine äußerst durchsichtige Klanggebung, energiereich von Anfang an, die Stimmen in den Fugati des ersten Satzes besonders klar durchhörbar – jedenfalls am TV-Gerät; auch der maschinen-artige Marsch des zweiten Satzes. Lyrisch-transzendent mit schmelzenden Streichern der dritte Satz. Mit einer akzentuierten „Klangrede“ beginnt der vierte Satz, dann mündend in den Jubel der Solisten und des (Rundfunk-)Chores mit einer geradezu atemberaubenden Schluss-Stretta.

Petrenko allerdings sah man nur in sparsam gesetzten Momenten aus sich herausgehend. Und dennoch hatte er alles fest im Griff, begleitet von einem energischen oder lächelnden Blick. Eine Kamera hatte immer nur ihn im Blick und übertrug das auf die Bildschirme am Rande. Am Ende Jubel – auch zwischendurch, im vierten Satz sogar in eine Generalpause platzend. Petrenko ließ sich nicht beirren. Und er wird das hoffentlich auch so weiter handhaben. Nach der mehr auf Äußerlichkeiten gerichteten Rattle-Ära kümmert man sich wieder sehr viel intensiver um die Musik. Gut so.

Foto: rbb-TV-Übertragung


Friede – Freude – Freiheit

Kirill Petrenko bei seiner ersten Pressekonferenz für die Saison 2019/20

29. April 2019

Endlich wurde hier mal wieder substanziell gesprochen über Musik, Musik-Konzepte. Kirill Petrenko, der vor vier Jahren zum Rattle-Nachfolger gewählte (erst siebente seit Bestehen des Orchesters) Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, gab seine erste Jahrespressekonferenz, Vorschau auf die Saison 2019/20.

Kirill Petrenko 29.04.2019

Mit Beethovens Neunter wollte er von Anfang an beginnen – auch ohne Beethoven-Jubiläum. Die Neunte mit ihrer Botschaft von Krieg und vor allem aber Freude – das sei in diesen Zeiten genau die richtige Botschaft. Und er koppelt sie (in der Philharmonie) mit Alban Bergs „Lulu“-Suite, eine andere Seite von „Freude“, vor dem Brandenburger Tor bei einer TV-übertragenen Open Air Aufführung ohne. Dazu als weiteres Beethovensches F „Friede“ mit der „Missa Solemnis“ und „Freiheit“, für die „Fidelio“ steht, den er ebenfalls in seiner ersten Saison aufführen will.

Ansonsten will er den Schwerpunkt auch sonst setzen sowohl auf das klassisch-romantische Kernrepertoire, sozusagen die „Heimat“ des Orchesters, vor allem aber auch auf Abgelegeneres: Josef Suk, dessen Werk er vor allem liebt, die russische Musik mit etwa Rachmaninoff, Skrjabin, Glasunov, Tschaikowsky und Mahler. Dessen bedeutungsschwere Sechste soll in der ersten Saison von ihm erklingen. Dazu auch jedes Jahr eine Uraufführung. Auch an Kurt Weill liegt ihm sehr, den er im Silvesterkonzert bringen will.

Von einem „Geschenk“ spricht er, als das er sein neues Amt betrachte, zugleich „Ansporn und Verpflichtung“, das aber auch zu „Demut vor der großen musikalischen Vergangenheit“ verpflichte. Und einer der beisitzenden Orchestermitglieder spricht von Schock-Verliebtheit seit der ersten Begegnung 2006 bei der Arbeit mit ihm. Opern will er, nach Ende des Engagements in München, nur noch beim Osterfestival in Baden-Baden dirigieren. Und daran rütteln will man offenbar nicht, trotz anderer Gerüchte um die Salzburger Oster-Festspiele.

Ein wunder Punkt dabei die Wahl der Inszenierungs-Teams. Schon bisher wunderte da einen mehr, als dass es einen begeisterte. Jetzt soll der neue Baden-Badener Intendant im Gespräch mit Petrenko diese Aufgabe erfüllen. Die ersten Namen, die man hörte, klangen wenig überzeugend, entlang eher der modischen Linie als einer, die Petrenko vorgibt mit seiner Art, tiefer einzudringen in die Werke und sie neu zu interpretieren.

 

Grandios

Und die erste CD mit seinem neuen Orchester: Tschaikowskys „Pathétique“

BPHR 190261 – LC 13781 – D.P.

So fein aufgefächert und ganz ohne falsches Pathos hat man diese letzte Symphonie Peter I. Tschaikowskys wohl noch nie gehört. Das behutsam-sachte Herangehen im Kopf-Satz („Adagio – Allegro non troppo“) etwa mit dem ersten sanften Trompeten-Gipfel. Dann das zweite Thema, das etwas von Sehnsucht nach Heimat, nach Geborgensein kündet, aber auch vom Drängen nach draußen in eine andere Welt.

Im zweiten Satz dann das fast beschwingte und auch leicht schwärmerisch-gedankenverlorene In-sich-Ruhen mit den dunklen Schatten gegen Ende dieses „Allegro con grazia“. Im folgenden „Allegro molto vivace“ die kecken Sprünge mit ihren an Mendelssohn gemahnenden Irrlichtern im Hintergrund, das Sich-Stemmen gegen das bedrohliche Ende: Ein Triumph der Selbstvergewisserung wie ein in homerischem Gelächter untergehendes Gewitter.

Wieder in seufzender Trauer beginnend das Finale, aus dessen Motiv sich das tröstend-zuversichtliche Haupt-Thema aufschichtet. Aber immer wieder die Einbrüche, mit großen Pausen die Versuche sich zu stemmen dagegen. Und das Ende in einem dunkel-düsteren Orkus, wie der Beginn der Symphonie. Grandios diese erste Einspielung des neuen Chefs der Berliner Philharmoniker. Kirill Petrenko – und ein Stück mitgebrachter Heimat in die neue.


Viel Freude

Kirill Petrenko und Andrea Zietzschmann unterschreiben bei den Berliner Philharmonikern

06. Okt. 2016

Nach der Vertragsunterzeichnung

„Ein Schock“ sei es schon gewesen, als die Berliner Philharmoniker anriefen und ihn fragten, ob er ihr neuer Chefdirigent werden wolle. Aber dann habe er sich an Hans von Bülow erinnert, der wie er in Meinigen und München zuvor war (bei ihm allerdings umgekehrt), bevor er nach Berlin kam. Und so langsam versuche er sich davon zu erholen, bis er im August 2019 definitiv sein Amt antreten werde, sagt Kirill Petrenko – mit unbefristetem Vertrag, wie der Regierende Kultursenator Michael Müller betonte.

Die Zahl der Termine, die Petrenko bei den Berlinern dirigiere, werde in etwa die gleiche sein wie bei seinem Vorgänger. Mit Sir Simon Rattle habe er sich schon einmal in München getroffen. Der habe ihm auch einige Tipps gegeben über den Umgang mit dem Orchester. Aber was für Tipps das waren, darüber habe man sich gegenseitig Verschwiegenheit geschworen. Mit seiner neuen (zuletzt vom NDR kommenden) Intendantin Andrea Zietzschmann, die für den im Sommer 2017 scheidenden Martin Hoffmann die Nachfolge antritt, habe er sich bisher nicht weiter besprochen, was man vielleicht ändern wolle im Management. Man habe ja auch eben erst die Verträge unterschrieben. Aber man habe ein gutes Gefühl im menschlichen Miteinander.

Generell sieht Petrenko zunächst auch keinen großen Veränderungsbedarf. Was die Opern-Saison in Baden-Baden angeht, ist der aber mit Sicherheit ein großer. Selber werde er nach Ende seiner Zeit in München seine Operndirigate „extrem reduzieren“. Ganz verzichten wolle er aber nicht. Die Oper sei in seinem Herzen fest verankert. Gefragt, ob er mehr russisches Repertoire spielen wolle, hielt Petrenko sich weitegehend bedeckt. Russland gehöre zu seiner musikalischen DNA und werde es bleiben. Generell sei er für ein möglichst breites Repertoire, aber in jede Repertoire-Lücke müsse er nicht springen, zumal wenn ein anderer Dirigent dafür bereitstehe. Ansonsten vertröstete er auf eine Pressekonferenz im Frühjahr 2019. Bis dahin wolle er mit den Berlinern mindestens ein Programm pro Saison dirigieren, auch auf Gastspielen.

Erst dreimal hatte er überhaupt die Philharmoniker dirigiert. Aber der Kontakt in den Proben und bei den Konzerten sei so intensiv gewesen, dass man hoffe, zusammen „sehr viel erreichen“ zu können. Wie er’s als Philharmoniker-Chefdirigent künftig mit Interviews halten wolle, wo er in den letzten Jahren Interviews so gut wie nie gegeben habe, wurde er noch gefragt. Das wolle er so beibehalten, meinte er. „Sprechen“ wolle er auf dem Dirigenten-Pult. Das habe er sich vor vielen Jahren geschworen. Aber zu den alljährlichen Pressekonferenzen werde man ja mit ihm zusammenkommen und ihn befragen können. Die künftige Intendantin wird da in die Bresche springen müssen. Dass sie sich vom NDR getrennt hat, wo demnächst die umschwärmte Elbe-Philharmonie eröffnet wird, spricht für ihr Interesse an der Arbeit in Berlin.

Elf Jahre hatte Petrenko in Berlin gelebt, bevor er an die Bayerische Staatsoper ging. Er habe gern in Berlin gelebt, und jetzt auch gern in München. Aber er freue sich auch auf die Rückkehr nach Berlin. Man wird sich auch auf ihn freuen.

Fotos: gfk



Link zur Elbphilharmonie
Berichte von der ElPhi-Eröffnung Januar 2017