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Neuköllner Oper

Licht

Märchenkönig in Moosgrün

Uraufführung der „Moshammeroper“, ein Auftragswerk

23. Aug. 2007
In der Nacht zum 14.Januar wird der Modemacher Rudolph Moshammer in seinem Grünwalder Haus mit einem Kabel erdrosselt. 48 Stunden später ist der mutmaßliche Täter gefasst. Am 21.November 2005 wird der Iraker Herisch ali Abdullah, ein Stricher, zu lebenslanger Haft verurteilt. Moshammer, so Elfriede Jelinek, war „das letzte Münchner Original. Diese so genannte Münchner Gesellschaft wäre nichts gewesen ohne ihn. Ich habe ein Faible für solche gebrochene Existenzen, für diese Mischung aus glänzender Oberfläche und Bodenlosigkeit.“

Ein Kunstwerk, was sonst ist dieser Auf-Schneider aus München. Aber keines von ewiger Dauer, wie er ahnt. Was mit ihm wird, will er wissen zu Beginn von einer Wahrsagerin. Aber die hat keine guten Nachrichten für den Herren-Schneider aus München. Moosgrün ist er angezogen, der Mosi, wenn er aufsteigt aus seinem Bett, das mit gerefften Gardinen aussieht wie die Laderampe eines Leichenwagens. Und bald findet man ihn auch auf dem Sarkophag seines Alter Ego. In dessen Gruft beschwört dieser „Ludwig“, wie Moshammer hier heißt, den Bayernkönig Ludwig II, nach dessen schwarzer Haarpracht er sich mit Hund Daisy als Zepter drapierte und als Kunstfigur so gern selbst inszenierte.

„Moshammeroper“ nennen Librettist Ralph Hammerthaler und Komponist Bruno Nellissen ihr anderthalb-stündiges Werk über den im Januar 2005 erdrosselt in seiner Grünwalder Wohnung aufgefundenen selbsternannten „Märchenkönig“. In elf Bildern werden Motive aus seinem Leben imaginiert: etwa wie die Klatschreporterin Klette, die bei Schampus mit Weißwurst und Einkaufstüte ihrem im doppelten Sinn Stoff-Lieferanten auflauert oder ihm hinterher hechelt. Oder wie der Strichjunge, der eigentlich lieber die Möse einer Frau bedienen will, scharf ist auf Mosis Scheinchen und ihn versetzt. Oder wie die feine Gesellschaft insgesamt seine immer neuen Selbst-Inszenierungen liebt und ihn zugleich verachtet.

Von Robert Lehmeier ist das gekonnt in Szene gesetzt. Das Publikum wird in Markus Meyers Bühne atriumartig gruppiert um einen geschwungenen roten Laufsteg. Ganz in der Mitte sitzt das von Frank Zacher geleitete fünfköpfige Musikerensemble mit Streichquartett und Trompete. Die meist gestopfte [!] Trompete begleitet sinnig zumal Moshammers Auftritte. Angespielt wird damit auch auf, seinem Leitbild Ludwig folgend, Moshammers Wagner-Verehrung. Immer mal wieder erklingt das Walküren-Motiv. Auf der Bühne spielen Szenen wie die Ludwig-Beschwörung in der Gruft oder ein Besuch im mehr und mehr verwaisten Modeatelier des ja als Schneider auch nur dilettierenden Moshammer: er im Rollstuhl mit dem Wollknäuel Daisy im Arm, das auch schon mal als Fliegenklatsche an die Wand geworfen wird. Gegenüber der Bühne das Leichenwagen-artige Bett des Schneiders. Seine Nekrophilie rührt wohl aus der vita seines Vaters, der durch Suff vom Versicherungsdirektor abstieg, auf der Straße landete und schließlich im Selbstmord endete, und Moshammers Versuch, durch Geldgeschenke an Penner sich vor einem gleichen Schicksal zu bewahren.

Eine tiefer schürfende Zeitstudie ist das nicht. Aber doch ein Versuch, mit den Mitteln des Musiktheaters ein bisschen an den Medien-Mechanismen dieser Gesellschaft zu kratzen. Gnadenlos lässt die – sobald sie ihrer überdrüssig wird – diejenigen wieder abstürzen, die sie zuvor aufgebaut hat; dabei haben die sich ja nur ihrer Verlockungen bedient. Und das junge fünfköpfige Sänger-Ensemble – mit zumal Hubert Wild als Moshammer und Leigh Adoff als Klatschkolumnistin Klette – bringt diese Figuren auch überzeugend auf den Catwalk.
Ein schöner Erfolg ist diese dank des Sponsoring eines lokalen Energieversorgers möglich gewordene Uraufführung für die ansonsten um Adaptionen von Opern, Operetten und Musicals fürs kleine Budget bemühte „Neuköllner (Kiez-) Oper“.


„Mein größter Unfall bin ich selber“

Licht eine Oper über Hannelore Kohl

Reagieren auf aktuelle Ereignisse mit aktuellen Stücken – es ist nicht gerade die Stärke des Musiktheaters. Schon aus produktionstechnischen Gründen. Oper ist ein „langsames“ Medium. Aber es gibt Beispiele: John AdamsNixon in China oder auch die Willy-Brandt-Oper Kniefall in Warschau von Gerhard Rosenfeld. In Berlin an der „Neuköllner Oper“, die gern mit aktuellen Stoffen sich beschäftigt und vor zwei Jahren auch schon mal eine Angela-(Merkel-)Oper auf die Bühne brachte, hat man sich jetzt Dea Lohers 2001 für einen Wettbewerb des Hamburger Thalia-Theaters entstandenen Text über das Sterben Hannelore Kohls vorgenommen. Ein ganz neues Licht auf die eher maskenhaft wirkende Frau an der Seite des Altbundeskanzlers hatte ihr Selbstmord im Juli jenes Jahres geworfen. Die Musik von Wolfgang Böhmer ist sehr einfach gehalten, mal leicht jazzig, mal ins Musicalhafte tendierend. Ein Vibrafon ist das einzige Instrument, das ihm gegönnt wurde und das dann gelegentlich auch nur angestrichen wird. Ein Vibrafon, sagt Böhmer, schwingt, öffnet Innenräume, eignet sich besonders für indirekte Aussagen.
Gezeigt wird in den intensivsten Passagen eine Frau, die träumt: Was wäre wenn? Wenn sie nicht die Frau eines Politikers gewesen wäre; wenn sie nicht nur zwei Söhne sondern auch eine Tochter gehabt hätte; wenn diese Tochter Physik oder Maschinenbau studiert hätte; wenn die die Erfindungen gemacht hätte, die sie hätte machen wollen; wenn die die Bahnhöfe und Wolkenkratzer gebaut hätte, die sie hätte bauen wollen. Aber sie war die Frau eines Politikers. Sie blieb in der Provinz und in seinem Schatten. Immer zwei Schritte hinter ihm zurück. Veronika Nickl verkörpert weniger die konkrete Frau am Rande der Zeitgeschichte, als die Frau, die am Rande des Todes steht, die ihr Leben rekapituliert und von sich sagt: „Mein größter Unfall bin ich selber“. Veronika Nickl spielt das mit großer Intensität. Sie kommt vom Schauspiel, Gesang hat sie erst später hinzu gelernt. Aber halsbrecherische Koloraturen hat diese Königin der Nacht ohnehin nicht zu singen, eher eine Art erweiterten Sprechgesang, assistiert von drei Damen, die mit ihren Wettermeldungen wie Rheintöchter auftreten – ihre „Schatten“.
Regisseur Boris von Poser will mit seiner Inszenierung die Biografie einer Frau zu verdeutlichen, die „hinter ihrem Mann zurücktritt und in seinem Schatten ihr Leben nicht so leben kann, wie sie es vielleicht heute könnte“. Eine Frauenbiografie also, Kriegsgeneration, typisch für die Bonner Republik. Eine Biografie von Hillary Clinton, sagt Poser, sieht schon „vollkommen anders aus; die tritt ganz anders aus dem Schatten hervor. Und was das heißt, im Schatten zu sein und das Licht nicht mehr zu ertragen, das ist die Pointe dieses Stücks.“ Wie ein gläserner Käfig, eine Mischung aus Labor, Bunker, Bungalow, Brennglas, ist die Bühne von Timo Plath. Die Frau geht darin nervös in ihrem Morgenmantel auf und ab, wirft sich zu Boden, krallt sich in die Wände, wechselt die Perücken, die Kleider, übt Posen, memoriert Texte, kauert sich in sich. Der einzige Musiker steht in einer Kuhle wie in einem Laufgraben daneben. Das Publikum sitzt auf beiden Seiten des Glaskäfigs in diesem zum Zimmer verkleinerten Raum. Fast wie bei einer Privataufführung. Ob man auch der Familie Kohl eine solche Privataufführung anbieten will? „Schwer zu beantworten“, meint der Regisseur.
Fast nichts musste der Komponist an Dea Lohers Text ändern. Es ist eine Musik, die aus dem Nichts kommt und ins Nichts geht. Einen großen Opernabend ergeben die siebzig Minuten nicht, aber doch einen respektablen.