Ein Kunstwerk, was sonst ist dieser Auf-Schneider aus München. Aber
keines von ewiger Dauer, wie er ahnt. Was mit ihm wird, will er wissen
zu Beginn von einer Wahrsagerin. Aber die hat keine guten Nachrichten
für den Herren-Schneider aus München. Moosgrün ist er angezogen, der
Mosi, wenn er aufsteigt aus seinem Bett, das mit gerefften Gardinen
aussieht wie die Laderampe eines Leichenwagens. Und bald findet man ihn
auch auf dem Sarkophag seines Alter Ego. In dessen Gruft beschwört
dieser „Ludwig“, wie Moshammer hier heißt, den Bayernkönig Ludwig II,
nach dessen schwarzer Haarpracht er sich mit Hund Daisy als Zepter
drapierte und als Kunstfigur so gern selbst inszenierte.
„Moshammeroper“ nennen Librettist Ralph Hammerthaler und Komponist Bruno
Nellissen ihr anderthalb-stündiges Werk über den im Januar 2005
erdrosselt in seiner Grünwalder Wohnung aufgefundenen selbsternannten
„Märchenkönig“. In elf Bildern werden Motive aus seinem Leben
imaginiert: etwa wie die Klatschreporterin Klette, die bei Schampus mit
Weißwurst und Einkaufstüte ihrem im doppelten Sinn Stoff-Lieferanten
auflauert oder ihm hinterher hechelt. Oder wie der Strichjunge, der
eigentlich lieber die Möse einer Frau bedienen will, scharf ist auf
Mosis Scheinchen und ihn versetzt. Oder wie die feine Gesellschaft
insgesamt seine immer neuen Selbst-Inszenierungen liebt und ihn zugleich
verachtet.
Von Robert Lehmeier ist das gekonnt in Szene gesetzt. Das Publikum wird in Markus Meyers Bühne atriumartig gruppiert um einen geschwungenen roten Laufsteg. Ganz in der Mitte sitzt das von Frank Zacher geleitete fünfköpfige Musikerensemble mit Streichquartett und Trompete. Die meist gestopfte [!] Trompete begleitet sinnig zumal Moshammers Auftritte. Angespielt wird damit auch auf, seinem Leitbild Ludwig folgend, Moshammers Wagner-Verehrung. Immer mal wieder erklingt das Walküren-Motiv. Auf der Bühne spielen Szenen wie die Ludwig-Beschwörung in der Gruft oder ein Besuch im mehr und mehr verwaisten Modeatelier des ja als Schneider auch nur dilettierenden Moshammer: er im Rollstuhl mit dem Wollknäuel Daisy im Arm, das auch schon mal als Fliegenklatsche an die Wand geworfen wird. Gegenüber der Bühne das Leichenwagen-artige Bett des Schneiders. Seine Nekrophilie rührt wohl aus der vita seines Vaters, der durch Suff vom Versicherungsdirektor abstieg, auf der Straße landete und schließlich im Selbstmord endete, und Moshammers Versuch, durch Geldgeschenke an Penner sich vor einem gleichen Schicksal zu bewahren.
Eine tiefer schürfende Zeitstudie ist das nicht. Aber doch ein
Versuch, mit den Mitteln des Musiktheaters ein bisschen an den
Medien-Mechanismen dieser Gesellschaft zu kratzen. Gnadenlos lässt die –
sobald sie ihrer überdrüssig wird – diejenigen wieder abstürzen, die sie
zuvor aufgebaut hat; dabei haben die sich ja nur ihrer Verlockungen
bedient. Und das junge fünfköpfige Sänger-Ensemble – mit zumal Hubert
Wild als Moshammer und Leigh Adoff als Klatschkolumnistin Klette –
bringt diese Figuren auch überzeugend auf den Catwalk.
Ein schöner Erfolg ist diese dank des Sponsoring eines lokalen
Energieversorgers möglich gewordene Uraufführung für die ansonsten um
Adaptionen von Opern, Operetten und Musicals fürs kleine Budget bemühte
„Neuköllner (Kiez-) Oper“.
Reagieren
auf aktuelle Ereignisse mit aktuellen Stücken – es ist nicht
gerade die Stärke des Musiktheaters. Schon aus produktionstechnischen
Gründen. Oper ist ein „langsames“ Medium. Aber es gibt Beispiele: John
Adams’ Nixon in China oder auch die Willy-Brandt-Oper Kniefall in Warschau
von Gerhard Rosenfeld. In Berlin an der „Neuköllner Oper“, die gern mit
aktuellen Stoffen sich beschäftigt und vor zwei Jahren auch schon mal eine
Angela-(Merkel-)Oper auf die Bühne brachte, hat man sich jetzt Dea Lohers
2001 für einen Wettbewerb des Hamburger Thalia-Theaters entstandenen Text
über das Sterben Hannelore Kohls vorgenommen. Ein ganz neues Licht auf die
eher maskenhaft wirkende Frau an der Seite des Altbundeskanzlers hatte ihr
Selbstmord im Juli jenes Jahres geworfen. Die Musik von Wolfgang Böhmer
ist sehr einfach gehalten, mal leicht jazzig, mal ins Musicalhafte
tendierend. Ein Vibrafon ist das einzige Instrument, das ihm gegönnt wurde
und das dann gelegentlich auch nur angestrichen wird. Ein Vibrafon, sagt
Böhmer, schwingt, öffnet Innenräume, eignet sich besonders für indirekte
Aussagen.
Gezeigt wird in den intensivsten Passagen eine Frau, die träumt: Was wäre
wenn? Wenn sie nicht die Frau eines Politikers gewesen wäre; wenn sie
nicht nur zwei Söhne sondern auch eine Tochter gehabt hätte; wenn diese
Tochter Physik oder Maschinenbau studiert hätte; wenn die die Erfindungen
gemacht hätte, die sie hätte machen wollen; wenn die die Bahnhöfe und
Wolkenkratzer gebaut hätte, die sie hätte bauen wollen. Aber sie war die
Frau eines Politikers. Sie blieb in der Provinz und in seinem Schatten.
Immer zwei Schritte hinter ihm zurück. Veronika Nickl verkörpert weniger
die konkrete Frau am Rande der Zeitgeschichte, als die Frau, die am Rande
des Todes steht, die ihr Leben rekapituliert und von sich sagt: „Mein
größter Unfall bin ich selber“. Veronika Nickl spielt das mit großer
Intensität. Sie kommt vom Schauspiel, Gesang hat sie erst später hinzu
gelernt. Aber halsbrecherische Koloraturen hat diese Königin der Nacht
ohnehin nicht zu singen, eher eine Art erweiterten Sprechgesang,
assistiert von drei Damen, die mit ihren Wettermeldungen wie Rheintöchter
auftreten – ihre „Schatten“.
Regisseur Boris von Poser will mit seiner Inszenierung die Biografie einer
Frau zu verdeutlichen, die „hinter ihrem Mann zurücktritt und in seinem
Schatten ihr Leben nicht so leben kann, wie sie es vielleicht heute
könnte“. Eine Frauenbiografie also, Kriegsgeneration, typisch für die
Bonner Republik. Eine Biografie von Hillary Clinton, sagt Poser, sieht
schon „vollkommen anders aus; die tritt ganz anders aus dem Schatten
hervor. Und was das heißt, im Schatten zu sein und das Licht nicht mehr zu
ertragen, das ist die Pointe dieses Stücks.“ Wie ein gläserner Käfig, eine
Mischung aus Labor, Bunker, Bungalow, Brennglas, ist die Bühne von Timo
Plath. Die Frau geht darin nervös in ihrem Morgenmantel auf und ab, wirft
sich zu Boden, krallt sich in die Wände, wechselt die Perücken, die
Kleider, übt Posen, memoriert Texte, kauert sich in sich. Der einzige
Musiker steht in einer Kuhle wie in einem Laufgraben daneben. Das Publikum
sitzt auf beiden Seiten des Glaskäfigs in diesem zum Zimmer verkleinerten
Raum. Fast wie bei einer Privataufführung. Ob man auch der Familie Kohl
eine solche Privataufführung anbieten will? „Schwer zu beantworten“, meint
der Regisseur.
Fast nichts musste der Komponist an Dea Lohers Text ändern. Es ist eine
Musik, die aus dem Nichts kommt und ins Nichts geht. Einen großen
Opernabend ergeben die siebzig Minuten nicht, aber doch einen
respektablen.