Nach dem verheerenden Zweiten Weltkrieg und der Hitler-Barbarei sollte diese Oper eine Lehrstunde sein in Demokratie. Es war Gottfried von Einems erste Oper, uraufgeführt bei den Salzburger Festspielen 1947. „Dantons Tod“ nach Büchner bringt mit Danton einen Revolutionär näher, der die Werte der Französischen Revolution von Freiheit-Gleichheit-Brüderlichkeit nicht nur als Lippenbekenntnis vor sich herträgt. Für ihn war es gelebte Wirklichkeit mit auch einem Hang zum epikureischen Leben und leben lassen. Sein Gegenpol: der blutleere Robespierre mit seiner diktatorischen Papier-Freiheits-Blase und der Gier nach anderem Blut.
Die Produktion des Theaters Magdeburg in der Regie von Intendantin Karen Stone akzentuiert als aktuellen Aspekt auch noch den Wankelmut des Volks. In tierischer Gebärdensprache treibt es den Blut-Durst der Massen auf die Spitze und kastriert sich damit gleichsam selbst, indem es die Guillotinierung Dantons und seiner Freunde fordert und durchsetzt. Vielleicht ist da in der choreografischen Einrichtung durch David Williams etwas zu viel des Guten getan. Aber mit dem die Oper endenden Ruf der Freundin Dantons, Lucile, „es lebe der König“, ist auch die Verzweiflung über Fehlentwicklungen einer Revolution markiert. Die Revolution frisst ihre Kinder. Einst gingen sie mit dem stolzen Ausruf „Wir sind das Volk“ auf die Straße. Und aufs „Volk“ berufen sich ja Populisten bis heute.
Mit Peter Bording als Danton und Stephen Chaundy als Robespierre hat man sehr eindrucksvolle Protagonisten. Bording mit seiner lebendigen Emotionalität, Chaundy kalt wie eine wandelnde Leiche in seiner blau-silbrigen Weste. Ausstatter Ulrich Schulz hat mit Eisengestängen eine Bühne auf die Bühne gebaut. Anfangs zeigt sie ein „Café“ als Treffpunkt von Danton und seinen Freunden und Freundinnen. Am Ende trieft von einem hohen Plakat mit den drei Schlüsselbegriffen der Revolution in dicken Strömen rotes Theaterblut herunter auf die vom Volk zum Töten freigegebenen Revolutionäre.
Die Musik von Einems trumpft unter Leitung von GMD Kimbo Ishii vor allem in den Zwischenspielen kraftvoll auf. Musikalische Modelle von Weill, Strawinsky schimmern durch oder auch die jazzigen Metren Boris Blachers, bei dem von Einem einst studierte. Jetzt an seinem 100. Geburtstag wirkt diese Musik zwar nicht gerade avanciert, aber doch auch beredt. Über Jahrzehnte hat von Einem vor allem durch seine einstigen Förderer Furtwängler und von Karajan sich einen festen Platz im Musikleben erobert und erhalten. Der in Bern offiziell als Sohn eines österreichischen Militärattachés geborene Komponist – inoffiziell war ein Ungar sein leiblicher Vater, und Komponist schrieb er immer mit lateinischem C – hatte noch in den letzten Kriegsjahren seine Karriere begonnen, obwohl die Mutter zeitweise von den Nazis verfolgt war.
Heute ist seine Musik weitgehend von den Spielplänen verschwunden. Die Magdeburger Oper hat von Einems „Danton“ aus Anlass seines 100. Geburtstags und des 50-jährigen Jubiläums der Erstaufführung in der damaligen DDR wieder auf die Bühne gebracht. Eine mutige Tat, zumal auch unter dem aktuellen Aspekt. Das Premieren-Publikum zeigte sich begeistert.
in der Regie von Arila Siegert
und mit der Live-Malerei von Helge Leiberg,
und der Musik von "Le Concert
Lorraine"
unter der Leitung von Stephan Schultz
Kritiken: "...ein großer Triumph"
Sieben Figuren suchen ihre Rolle. Alle laufen oder rennen sie in
Pyjamas durch den Dunst einer fast leeren halbrunden Bühne. Eine Frau,
leicht irre, tastet nach ihrem Freund. Ein anderer schneidet die vokalen
Äußerungen mit und spielt sie wieder ein. Dann regnet es eine Wolke von
Kissen aus dem Bühnenhimmel. Die Figuren kuscheln, vergraben, verstecken
sich darin, angeln sich das passende Kostüm aus dem Graben. Das Spiel,
wer mit wem, gewinnt langsam Kontur.
Sebastian Hartmann, designierter Intendant am Schauspiel Leipzig, hat
Vivaldis „Orlando furioso“ inszeniert. Sein erster Versuch in der Oper:
Der rasende Regisseur und der vor Liebesverwirrung rasende Roland.
Selber wollte Hartmann am Premierentag sich nicht äußern. Jan Michael
Horstmann, der Dirigent der recht frisch aufspielenden Magdeburger
Philharmonie, war da weniger zimperlich.
Am Ende gab’s dann allerdings für den Regisseur auch laute Buhs. Die Tatsache, dass Vivaldi anfangs in einem Venezianer Findelkinderhaus, einem Ospedale, Dienst tat, nimmt Hartmann etwas allzu wörtlich. Den „Roten Priester“ macht er als rasenden Roland zum Vivaldi-alter-Ego, der unter den Mädchen sich eine Frau sucht. Es ist viel Gewolltes in dieser Aufführung. Die Brüche lähmen mehr als sie erzählen. Ein schöner Erfolg dennoch zumal für die stimmlich langsam Kontur gewinnenden Sänger.
Es ist seine erste Arbeit im Musiktheater – und man merkt es. Schon die
Wahl der Berlioz-Fassung von Glucks Orpheus und Eurydike, gesungen
in Deutsch, ist kein glücklicher Griff. Zumal in der Telemann-Stadt
Magdeburg und in einem so aparten Haus. Von Magdeburg stammt Regisseur Andreas Kriegenburg. Das unter
dem Intendanten Tobias Wellemeyer zu neuen Ufern strebende „Theater der
Landeshauptstadt“ versprach sich von der Einladung an den von der
Magdeburger Theatertischlerei über Castorfs Volksbühne und viele andere
Stationen nun zum Oberspielleiter am Hamburger Thalia-Theater
Aufgestiegenen Einiges.
Schon der Beginn ist von eher lähmender Ungeschicklichkeit. In einem
fast viertelstündigen stummen Vorspiel lässt Kriegenburg und die für die
Choreografie zuständige Zenta Harter von einem Tanzpaar den Tod
Eurydikes durch einen Schlangenbiss vorspielen. Der Beginn der Ouvertüre
dann wirkt wie ein Schlag ins Gesicht. Immer wieder wird das Tanzpaar
parallel geführt zur „theatralischen Handlung“ auf der Bühne. Eine wenig
erhellende pure Verdopplung, die immer wieder störend sich dazwischen
schiebt. Dabei ist Glucks Musik doch so gestisch.
Ganz schön die Bühne von Harald Thor: schon wie sich öffnet,
furiengleich. Was man dann sieht, ist ein verwohnter hoher Raum mit
offenen Fenstern links und rechts, durch die die Figuren à la Caspar
David Friedrich immer wieder hinaus ins Leere schauen.
Rechts ist ein
Erdhügel aufgeschüttet wie eine Rampe hoch zum Fenster, der Grabhügel
für die Tänzerin-Eurydike. Hinten sieht man zwei hohe Türen, der Weg
später in den Hades.
Amor, hier eine schnippisch-zynische Dompteuse im
langen champagnerweißen Frack mit Stöckchen, animiert den ob seiner
Trauer der Flasche und der Nadel sich ergebenden Orpheus die Tür
aufzustoßen.
Der ganz in schwarz gekleidete Chor – im ersten Akt die Trauergemeinde
herein tröpfelnd mit Stühlen, wobei die Anzüge der Herren von den Damen
ständig von Fusseln frei gezupft werden – kommt nun mit leicht rot
geränderten Augen und mimt den kollektiven Höllenhund. Nicht ohne Witz
die Furien: übergroße weiße Pappmaché-Köpfe mit struppigen schwarzen
Struwwelpeter-Haaren und angedeuteten Gewändern aus weißem Plastik, die
vom Bewegungschor ruckartig geführt wie tanzende Flämmchen vor den Augen
des Höllenfahrers Orpheus und seines ihn accompagnierenden
Tänzer-Doubles schweben.
Nach
der Pause (bei diesem Werk eigentlich unnötig) dann das Elysium:
der Chor nun als weißgewandete Marionetten mit übergroßen Köpfen. Die
tote Eurydike wird von Amor höchst persönlich an den Fäden wieder auf
die Beine gestellt. Die Rückkehr der um die Liebe Orpheus’ bangenden
Gattin sieht man wieder gedoppelt mit dem Tänzerpaar, teils etwas
weniger einfältig. Der nach dem Blickkontakt mit dem Gatten wieder
sterbenden Eurydike muss der Bewegungschor umständlich eine Bahre aus
einzelnen Stühlen bauen. Auftritt Amor: die zum zweiten Mal Verstorbene
muss er wieder aufrichten und Orpheus als nun genug gelitten Habendem
seine Eurydike wieder an die Seite zu geben. Mit dem nachkomponierten
Terzett endet das Ganze undefiniert-vage „happy“.
Mit Ulrike Mayer als
Orpheus hat man immerhin eine sehr weich und
ohne Vibrato intonierende auch recht koloraturenfeste Sängerin, etwas
blass die Eurydike von Ute Bachmaier. Kalt der Amor von Evmorfia
Metaxaki.
In Allerwelts-Gesten erschöpft sich das Tänzerpaar
Paul und Julia Zeplichal. Aus dem Graben hört man unter Alexander Steinitz viele
falsche Noten. Des Öfteren scheint die Aufführung fast zu kippen. Aber
auch szenisch rotiert sie ja oft im Leerlauf. Vom Publikum wird sie
dennoch am Ende mit fast frenetischem Beifall gefeiert.
Lokalpatriotismus oder Ignoranz?
Unsensibler hat man die Geschichte von der Gattenliebe jedenfalls kaum
gesehen. Und von den neuen Ufern, die der Komponist Christoph Willibald
Gluck, sein Textdichter Ranieri de’ Calzabigi und sein Tanzmeister
Gasparo Angiolini am Wiener Hof und gegen dessen eingefahrenen
Geschmack, zustrebten, ist man hier auch meilenweit entfernt. Diese
Musik ohne sehr spezifische auch historische Kenntnisse,
Bewegungserfahrungen und Musikalität angemessen auf die Bühne bringen zu
wollen, ist reichlich vermessen. Und die Trennung von Regie und
Choreografie hier geradezu ein Unding. Aber das hat wohl mehr die
Opernleitung zu verantworten als der Regisseur.
Schade – über eine modische Attitüde ist man in Magdeburg bisher nicht hinausgekommen.