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Akademie der Künste

Jeanine Meerapfel
Klaus Staeck
Artur Schnabel
Schnabel-Ausstellung
Schoenbergs "Berliner Schule"
Symposion und Konzerte
Jossi Wieler

Erstmals eine Frau

Die Berliner Akademie hat erstmals in ihrer über 300-jährigen Geschichte eine weibliche Präsidentin:

Die deutsch-argentinische Filmemacherin Jeanine Meerapfel, 71, löst den streitbaren Plakatkünstler Klaus Staeck ab.

30.05.2015

J.Meerapfel (li), K.Röggla (re)Nichts ist erledigt", ließ Klaus Staeck schon im vergangenen Jahr in großen Lettern auf einem Transparent an der Glasfront seiner Akademie der Künste am Pariser Platz verkünden - gut sichtbar für Touristen, Banker, Journalisten, Botschaftsangehörige oder sonstige Dauergäste am Brandenburger Tor. Seit 2006 hatte der provokante Plakatkünstler den Vorsitz der mehr als 300 Jahre alten Institution inne, nach drei Amtszeiten darf der 77-Jährige nun nicht mehr antreten. Der aufrührerische Fassadenspruch, er war nur nebenbei programmatisch für die Agenda der Akademie, die Schauspieler (und Mitglied) Ulrich Matthes mal als "Schnarchklub" geschmäht hatte, eigentlich hieß so die große Retrospektive, mit der Staeck durch die Museen der Republik tourte.

Am Samstag, 30.05.15, wählte das 14-köpfige Senatorengremium erstmals eine Frau in den Vorsitz, was einer Revolution gleichkommt. Staeck selbst hatte sich in seinen letzten Interviews als Amtsinhaber eine weibliche Nachfolgerin gewünscht, zumindest das dürfte nun als erledigt gelten. Was die Filmemacherin Jeanine Meerapfel, 71 (links), bewegen wird, bleibt abzuwarten.

Die deutsch-argentinische Künstlerin gehört immerhin zu den aktiveren der aktuell 404 Akademie-Mitglieder und meldet sich in letzter Zeit gern zu Wort, wenn es um die Internationalität Berlins geht, ein Thema, das auch den amtierenden Kultursenator Tim Renner und die Lokalpresse brennend interessiert, schließlich gilt es, sich ständig mit anderen Weltmetropolen abzugleichen, wer hipper, moderner, mondäner ist. Eine historisch komplexbeladene Angelegenheit, zu der man den Standpunkt der Akademie dank Meerapfels Interesse nun künftig vernehmlicher hören könnte. Vielleicht sogar mit unbequemen Meinungen, das wäre ganz im Sinne Staecks.

Nur 22 Prozent Frauen

Meerapfel, Tochter deutsch-jüdischer Flüchtlinge, wurde 1942 in Buenos Aires geboren und kam 1964 für ihr Filmstudium nach Deutschland. 1981 hatte die ehemalige Filmkritikerin mit dem Drama "Malou" ihr Spielfilmdebüt, es folgten bis 2012 ein gutes Dutzend weitere Produktionen, darunter Dokumentationen und Fiktionen für Kino und Fernsehen. 1989 gewann sie mit "La Amiga" den Deutschen Filmpreis.

Zu Meerapfels Stellvertreterin wurde die österreichische Schriftstellerin Kathrin Röggla, 43 (rechts), ("Wir schlafen nicht") gewählt. Zu den Mitgliedern der Akademie zählen auch Schwergewichte wie Ai Weiwei, Bob Dylan, Wim Wenders und Bruce Nauman, aber von denen hatte augenscheinlich niemand Interesse bekundet, den Vorsitz zu übernehmen. Gut für das Duo Meerapfel/Röggla, denn nur 22 Prozent der Akademie-Mitglieder sind Frauen.

Die Akademie der Künste wurde 1696 nach Pariser Vorbild vom späteren Preußen-König Friedrich I. als "Academie der Mahler-, Bildhauer- und Architectur-Kunst" ins Leben gerufen. Heute gibt es sechs Sektionen: Bildende Kunst, Baukunst, Musik, Literatur, Darstellende Kunst sowie Film- und Medienkunst. Nach dem Fall der Mauer wurden die Akademien West und Ost 1993 wiedervereinigt. Frühere Präsidenten waren Heinrich Mann (Ost), Günter Grass (West) und Walter Jens (West und vereinigt).

Laut Gesetz hat die Akademie zur Aufgabe, "die Künste zu fördern und die Sache der Kunst in der Gesellschaft zu vertreten", ein weites Feld. Die Akademie "berät und unterstützt" die Bundesrepublik außerdem in allen künstlerischen und kulturellen Angelegenheiten, dafür wird sie vom Bund mit jährlich 18 Millionen Euro subventioniert.
bor/dpa


Klaus Staeck - ein politischerKünstler als Präsident

29.April 2006

Klaus StaeckNach einer Führungskrise konnte bei der Präsidenten-Neuwahl am 29.April 2006 im zweiten Durchlauf der Jurist und Grafiker Klaus Staeck die meisten Stimmen auf sich vereinen. Zunächst hatte er (Jahrgang 1938) sich geweigert zu kandidieren.
Dass ein in schon vor Apo-Zeiten in der SPD politisierter Satiriker - als Künstler Autodidakt - nun der wie bei den Wahlen sich zeigte tief zerstrittenen Künstler- und Kunstmacher-Sozietät, die sich gleichwohl als "Berater" der Politik versteht, vorsitzen soll, ist ein Zeichen ganz eigener Art. Seinen Humor-Vorrat habe er sich erhalten, meinte er in einer ersten Stellungnahme. Als wichtigste Aufgabe sieht Staeck, der Kultur den "öffentlichen Raum" zu erhalten. Damit verband er ein entschiedenes Plädoyer für den neuen Behnisch-Bau am Pariser Platz, in dessen Keller es nun nicht mehr "schimmele".
Mit Nele Hertling, der ehemaligen Hebbel-Theater-Intendantin, hat der in der Lebkuchenstadt Pulsnitz geborene und in Bitterfeld aufgewachsene, 1956 zum Studium nach Heidelberg übergesiedelte Künstler eine Vizepräsidentin zur Seite, die in den Ganglien des Berliner Kulturbetriebs nur allzu gut sich auskennt.

 

Das neue Haus der Berliner Akademie der KünsteDas neue Domizil der Akademie der Künste am Pariser Platz 4, feierlich eingeweiht am 21.Mai 2005. Seit 1907 war es der Ort der Akademie, vom Kaiser einst noch zugewiesen. Max Liebermann residierte hier als Präsident, ab 1938 Albert Speer als Hitlers Reichshauptstadt-Germania-Architekt. Nach der DDR-Gründung war ab 1950 Arnold Zweig Hausherr und nach dem Mauerbau eine Abteilung der NVA-Grenztruppen.
Sehr luftig ist der neue Bau von Günter Behnisch und Werner Durth. Stolz ist man auf die Glasfront als Zeichen geistigen Widerstands. Nur gibt es zu wenig Platz, wenn die Akademie-Mitglieder tatsächlich sich mal versammeln wollen. Geeigneter ist der Bau zum Drin- und Durch-Flanieren. Und exquisit ist der Logenplatz auf der Terrasse oben mit Blick aufs Brandenburger Tor, hinüber zum Reichstag und zum Bundeskanzleramt. Die TV-Sender werden Schlange stehen.
Das Archiv wurde verbannt in den viergeschossigen Keller. Aber Platz hat es dort eigentlich nicht, weil man den hinteren Teil des Grundstücks an eine Fondsgesellschaft verkaufte für Geld, das dann in den Bau gesteckt werden sollte, aber im Berliner Haushalt verschwand. Jetzt hat der Bund das Sagen. Den geräumigeren Bau am Hanseatenweg gibt man nicht auf. Der liegt zwar nun etwas abseits, aber eng wird's dort kaum.


Ein Universalist

Artur Schnabel (1882-1951):
<seinen Nachlass verwaltet jetzt das Archiv der Berliner Akademie der Künste

Sept.2000

Artur Schnabel und seine beruehmten HaendeEr war einer der letzten Universalisten in der Musik. Als Pianist richtete er seine Programme an den höchsten Qualitätsmaßstäben aus. Er edierte Sonaten von Beethoven, Mozart und Brahms. Seine jahrzehntelange pädagogische Tätigkeit ist legendär. Noch heute empfindet man die einzigartige Verbindung von Kontrolle und Freiheit, die seine Interpretationskunst auszeichnete, als vorbildlich. Er hat das Repertoire erweitert um die Sonaten Schuberts. Von Beethovens 32 Klaviersonaten hat er erste zyklische Aufführungen veranstaltet. Aber auch als Komponist von Orchestermusik, darunter drei Symphonien, von Kammermusik und Liedern ist er hervorgetreten.
Geboren 1882 im Galizischen Lipnik als Aron Schnabel, der sich laut Geburtsregister auch "Artur" nennen durfte, wurde er 15jährig Schüler von Theodor Leschetitzky in Wien. Er war somit gleichsam "Enkel"-Schüler Carl Czernys, der wiederum von Beethoven unterrichtet wurde. Berühmt war Schnabel vor allem durch seine zyklischen Programme mit Beethoven- und Schubert-Sonaten. 1927 zum hundertsten Todestag Beethovens spielt er erstmals sämtliche Beethoven-Sonaten, verteilt auf sieben Abende. 1898 war Schnabel von Wien nach Berlin übergesiedelt. Nach dem ersten Weltkrieg startete er von Berlin aus seine weltweite Karriere mit Konzertreisen bis nach Amerika und Russland.
Im April 1933 packte er mit seiner Frau, der damals berühmten Sängerin Therese Behr, und den zwei Söhnen die Koffer. 35 Jahre hatte er in Berlin gelebt, gespielt, geforscht, gelehrt. Sein siebenter Abend im Rahmen eines seiner Beethoven-Zyklen war eben gegeben. Der Rundfunk hatte dies Konzert nicht mehr, wie die anderen davor, übertragen. Die Familie reiste aus an den Comer See, 1939 weiter nach Amerika. Nach dem Krieg wollte Schnabel nicht mehr zurückkehren nach Deutschland oder Österreich. Sein riesiges Archiv mit Noten, selbst eingerichteten Klavier-Partituren, Orchesterstimmen, die er für jede Aufführung mitführte, mit Korrespondenz, Aufsätzen, Fotos hatte er in einem Versteck gelassen am Comer See. Jetzt hat die Familie es dem Archiv der Akademie der Künste vermacht.
Mancherlei Kuriosa finden sich in dem Material: Ein Brief Furtwänglers aus dem Jahre 1928 etwa, indem dieser Schnabel bittet, den Solopart zu übernehmen bei einem Konzert mit den Wiener Philharmonikern. Da allerdings bei Konzerten der Philharmoniker Solisten eigentlich nicht vorgesehen seien, sei für einen dann doch einmal benötigten Solisten auch kein Etat vorgesehen. Ob Schnabel vielleicht auch ohne Honorar spielen würde? Er spielte. Oder die schöne Geschichte, warum Schnabel im Rahmen seiner Berliner Professur, deren Verträge er immer nur für ein Jahr abschloss, gegen Ende sich ausbedang, auch Privatschüler an der Hochschule unterrichten zu dürfen, obwohl er doch in der Wielandstraße 14 eine sehr stattliche Wohnung sein eigen nannte.
"Mehrere hundert qm muss diese Wohnung groß gewesen sein", sagt Werner Grünzweig vom Musikarchiv, "mit 12 Zimmern und drei Bechstein-Flügeln. In den späten 20iger Jahren hat sich dort Paul Hindemith, mit dem er gut befreundet war, in dieser Wohnung ein bisschen eingenistet und hat, was er in seiner kargen Kindheit nicht machen konnte, dort eine elektrische Eisenbahn aufgestellt und hat dort mit den Jungen von Artur Schnabel Eisenbahn gespielt. Es gibt zwei Fotos im Schnabel-Archiv, wo man sieht: man hat Tische zusammengerückt und quer durch diese riesigen Räume die Eisenbahn laufen lassen. Und ich nehme an, dass er sich da beengt gefühlt hat in der Wohnung und sich ausbedungen, dass er auch Privatschüler in der Hochschule unterrichten darf."


Musik und die Linie des größten Widerstands

Artur Schnabel - Musiker Musician

Die Ausstellung über den Jahrhundert-Pianisten in der Berliner Akademie der Künste in Verbindung mit den Berliner Festwochen (1.Sept.- 14.Okt.2001)

Wie die Reise durch ein halbes Jahrhundert Zeit- und Musikgeschichte wirkt das. Zeugnisse von Schnabels Wiener Lehrer Theodor Leschetizky für seinen Spitzen-Schüler, den er freilich mehr als Komponisten denn als Pianisten schätzte finden sich da ebenso wie die Speisenfolge (mit u.a. Schildkröten-Brühe, Helgoländer Hummer, Waldschnepfe) des Hochzeitsfestmahls 1905 der Eheleute Schnabel, Briefe von befreundeten Künstlern wie Otto Klemperer oder Bruno Walter, das Protokoll der Ausreise der Familie aus Deutschland im Mai 1933 erst Richtung Comer See, dann Schnabels Einbürgerungsurkunde 1944 für die USA. Finden kann man auch Beurteilungen von US-Behörden für die Brauchbarkeit der Familie im Kriegsdienst - Schauspieler-Sohn Stefan, wegen seines deutschen Akzents verkörperte er in Hollywood-Filmen oft Bösewichte, Stefan half als Geheimagent und Sprecher für den Propaganda-Sender Voice of America -, oder man findet die verzweifelten Briefe der Familie, Schnabels Mutter Ernestine vor der Deportation aus Wien ins KZ zu retten; sie starb in Theresienstadt. Aber auch eine Mitschrift von Schnabels musikästhetischen Vorlesungen an der Universität von Chicago 1940 liegt aus, später veröffentlicht unter dem bemerkenswerten Titel: Music and the Line of Most Resistance.

GRÜNZWEIG: Schnabel hat doch einen ganz außerordentlichen Einfluss bis zum heutigen Tag. Wenn Alfred Brendel wieder an einer neuen Einspielung der Beethoven-Sonaten arbeitet, dann stellt er sich eindeutig in einen Konnex zu Schnabel, der das als erster gemacht hat. Wenn Andras Schiff, der sich ganz explizit auf Schnabel beruft, sämtliche Schubert-Sonaten spielt und in einer ganz bestimmten Weise interpretiert, dann sehen wir das Fortleben von Schnabel.

Werner Grünzweig, Leiter des Musikarchivs der Berliner Akademie der Künste, über Schnabels Bedeutung heute. Sie hat jetzt den Nachlass des Jahrhundert-Pianisten Artur Schnabel übereignet bekommen, aber auch den seiner Frau Therese, einer der bedeutendsten Liedsängerinnen ihrer Zeit, ihrer beiden Söhne Karl Ulrich, ebenfalls einem bedeutenden Pianisten und Klavierpädagogen, und Stefan, der als Schauspieler und Musicaldarsteller bewusst abseits sich hielt. Einiges von den mehr als ein Dutzend Archiv-Metern stellt die Akademie jetzt aus Anlass von Schnabels 50.Todestag aus, ergänzt durch Konzerte mit Werken des als Komponist so gut wie Unbekannten und ein Symposion. Im Katalog sind einige Briefe Schnabels abgedruckt mit einer Fülle von Anmerkungen zum Konzertleben der Zeit, auch Beurteilungen über Musiker-Kollegen, wie sein Spötteln über "Gott Arturo" gemeint Toscanini, der einst eher verständnislos über Schnabels Musik als Furcht erregend urteilte, oder über Kollegen Hindemith, der mit seinen Vier sinfonischen Tänzen eine Musik zu Papier gebracht habe, die so leer ist, dass sie demnächst vielleicht sogar Toscanini dirigieren werde, oder über Strawinsky und sein "hochbegabtes Schaustellen des Kampfes gegen den Ausdruck“. Das war dann schon in den Jahren des amerikanischen Exils und Schnabel mittlerweile eine pianistische Legende, der 10.000 Menschen zu einem Konzert in San Francisco locken konnte. Bei Auslands-Konzertreisen in den Zwanziger Jahren quälte er sich noch vor halbleeren Sälen. Das Publikum sei nur auf Unterhaltsames erpicht - eine Mischung aus Unwissenheit und Anmaßung, klagt er seiner Frau. Für Schnabels Spezialität, Beethoven & Schubert zyklisch aufzuführen, sei kaum Interesse. In Amerika störte ihn das Maskenhafte, das unschöpferische Kunstgewerblertum. Aber er zweifelt auch an der Brillanz seiner pianistischen Technik, erkennt ihre Grenzen.
Artur Schnabel (li) und Arnold Schoenberg, 1932 begann er nach langem sich Sträuben in London mit der Einspielung sämtlicher Beethoven-Klaviersonaten auf Schellacks, heute ein Schatz. Ein "vollkommener Unsinn“, eine "vollkommene Unnatur", ein "Sklavenpeitschen", poltert er gegen die damalige Tonaufzeichnungstechnik. Eine Aufführung sei etwas Einmaliges, Unwiederholbares, und er will die Menschen sehen, spüren, riechen, für die er spielt, so wie er selber aus den Noten deren Innerstes zu erspüren sucht. Keiner könnte "so feurig und grandios" Schönbergs Klavierkonzert (von 1942) spielen, was Schnabel immer zu spielen sich weigerte, keiner könnte es "romantischer, blühender daher singen" als "mein Freund Artur Schnabel“, umschmeichelt ihn 1946 Paul Dessau, der einige Jahre zuvor dem Komponisten Artur Schnabel in New York Korrektur lesen half bei seiner 1.Sinfonie. Aber Schnabel blieb eisern. Komposition und Interpretation gehörten für ihn als Musiker zwar zwingend zusammen. Aber nur einmal spielte er, 1924, öffentlich Schönberg, dessen Schlüsselwerk Pierrot lunaire. Und da mochte sich Schönberg noch so empören über Schnabels "Verbrechen", keine zeitgenössische Musik zu spielen. Er wollte in seiner "rigorosen Verneinung des Hergebrachten“ als Komponist, wie es der Nachrufer des New Yorker Aufbruch 1951 bei Schnabels Tod beschrieb, unbeeinflusst bleiben.

GRÜNZWEIG: Das hat Schönberg wahrscheinlich nicht ganz verstanden. Er hat das immer als eine Marotte empfunden, dass Schnabel sich geweigert hat, für ihn zu spielen und für andere Gegenwarts-Komponisten. Aber er hat nicht verstanden, wie sehr Schnabel Komponist war und nicht nur Pianist.

Nach dem Krieg kehrte Schnabel nicht mehr nach Deutschland zurück. Wohl aber sein Sohn Karl Ulrich, der in den letzten Jahren immer wieder zu Konzerten oder Seminaren auch nach Berlin kam und gerade erst vor wenigen Tagen starb. Seine Tochter Ann Mottier:

A.MOTTIER: Das Bild seines Vaters ist bis zum letzten Tag im Hintergrund meines Vaters gewesen. Er hat insofern darunter gelitten, dass er immer der Meinung war, dass wenn man von Schnabel sprach immer sein Vater gemeint war und nicht er - so sehr, dass er kaum glauben konnte, dass auch er hier vertreten wird. Er hat immer gefunden, sie interessieren sich nur für meinen Vater. Dabei hat er eine rechte Karriere gehabt. Es ist wohl sehr schwer für Kinder von großen Leuten, den gleichen Beruf zu ergreifen.

Auch wenn Artur Schnabel das einmal verlassene Deutschland nie wieder betrat, er zeigte sich, wie den Materialien zu entnehmen ist, nicht unversöhnlich. So gab es in der Familie auch nicht wirkliche Widerstände, ihr Archiv der Berliner Akademie, wie vor drei Jahren vereinbart mit den beiden damals noch lebenden Söhnen, anzuvertrauen. François Mottier, der Sprecher der Familie und Schwiegersohn Karl Ulrichs:

F.MOTTIER: Mein Schwiegervater hat immer gesagt, dass er sich mit Berlin sehr verwachsen fühlt und sich erst hier richtig zu Hause fühlt. Er hat Amerika immer als eine zweite Heimat angesehen, nicht seine erste Heimat. Er ist nie seine Wurzeln losgeworden in Berlin. Wenn eine Überzeugungsarbeit nötig war, dann war es höchstens bei den Söhnen von Stefan Schnabel, auch mitzumachen und ihre Materialien mit hierher zu geben. Aber bei den Söhnen war es keine Frage und bei mir auch nicht.


"Künstlerdank"

Arnold Schönberg und seine Berliner Schüler

Ausstellung, Konzerte, Symposion, 28.Okt.-09.Dez.200

Schoenberg (sitzend mitte) im Kreise seiner Berliner Schueler (von li nach re): Eines der ulkigsten Exponate: ein selbst gebastelter Papp-Rechenschieber mit aufgeklebten 12-Tonskalen. Schönberg nutzte den bei der Komposition seines lll.Streichquartetts. Oder auch ein kleiner quadratischer Zettelkasten mit der Aufschrift Moses und Aron. Darin bewahrte er Notizen auf für die ab den 30iger Jahren in Berlin entstandene Oper. Auf einem der Zettel etwa liest man "Das Mädchen" oder "Vieh wird geschlachtet" mit einigen Anmerkungen.
Da ist man dann freilich schon in der dunklen Abteilung Judentum. Jenes Notizblatt ist da auch ausgelegt, auf dem Schönberg unter dem Titel Meine Gegner zusammentrug, wie er reagieren wollte auf jenen antisemitischen Übergriff 1921, als er mit der Familie aufgefordert wurde zum Verlassen des österreichischen Ferienorts Mattersee. Der Komponist begann da tiefer nachzudenken über seine jüdischen Wurzeln. Eine Mappe mit Der biblische Weg, jener Vorstudie zu Moses und Aron, liegt zur Erinnerung daneben. Immer hat der Meister der 12 Töne alles fein säuberlich in Mappen, Kistchen, Kästchen sortiert, was dann auch den unversehrten Transport ins amerikanische Exil ermöglichte. Neben der "Beurlaubung" aus der Preußischen Akademie der Künste von 23.Mai 1933 findet sich der Kalender mit der Eintragung von Schönbergs Frau Gertrud unterm 16.Mai, eine Woche zuvor, als ihr Bruder, der Geiger Rudolf Kolisch, aus Wien telegrafierte: Luftveränderung wegen Asthma dringend empfohlen. Und auch die Urkunde vom 24.Juli in Paris ist ausgelegt, als Schönberg, bezeugt von Marc Chagall, zum Judentum rekonvertierte.
Die Berliner Jahre Schönbergs, gegliedert in die drei Perioden 1901/03, 1911/15 und 1926/33 - es waren die Jahre zuletzt der tiefsten Erniedrigung und eines unwiederbringlichen Höhenflugs davor, gipfelnd im generösen Anstellungs-Vertrag als Professor an der Preußischen Akademie der Künste mit monatlich damals stolzen 1.500 Mark Salär.

MEYER: Ein unglaublicher Anstellungsvertrag ist das. Arnold Schönberg musste nur ein halbes Jahr vor Ort sein, er konnte sich aussuchen, wann das ist. Er hatte keine Verpflichtungen, es sollte nur einfach ein halber Jahr sein. Er wurde sehr großzügig bezahlt, konnte reisen, was er auch ausgiebig getan hat, hatte bezahlter Weise Zeit, diese großen Werke zu schaffen, die er hier geschaffen hat. Ohne die Anstellung an der Akademie würde es einige Werke heute nicht geben, die wir der Berliner Zeit verdanken.

So Christian Meyer vom Schönberg-Center in Wien, das die Materialien, erweitert um Exponate aus den Beständen der Berliner Akademie der Künste, zusammengestellt hat. Am Sonntag wird die Schau eröffnet, ergänzt dann Ende November-Anfang Dezember um Konzerte und ein Symposion über Schönbergs Berliner Schüler. Einige der Beurteilungsbogen etwa sind auch ausgelegt, mit denen Schönberg den Fortschritt der Studierenden halbjährlich vermerken musste. Die Best-Note "ausgezeichnet" bekam der bekannteste Schüler dieser Zeit, Nikos Skalkottas, eine Studentin aus Wilna, Natalje Prawossudowitsch, musste sich mit einem "nicht befriedigend" begnügen. Dass er selber auch mal ganz klein angefangen hatte, wird nicht verschwiegen. Eine Bearbeitung von Rossinis Barbier für Klavier zu 4 Händen für seinen späteren Verlag Universal Edition ist da zu sehen wieauch Materialien zum ebenfalls aus der frühen Zeit stammenden Pelléas oder insbesondere zum Pierrot lunaire.
Aber er tüftelte in Berlin auch an Werken wie den Orchester-Variationen op.31, einem Auftragswerk der Philharmoniker, oder der Begleitmusik zu einer Lichtspielszene (Magdeburg 1930). Und er machte der Berliner Funkstunde Vorschläge, wie man dem Publikum neue Musik verständlicher machen könnte: Mit verlesenen Kurzrezensionen von zwei Kritikern (Heinrich Strobel, Eberhard Preußner) und anschließender Diskussion mit dem Urheber. 1931 ging das über den Sender. Oder er erarbeitete Vorschläge für eine Schule der "internationalen Stilbildung", eine Art Kurssystem mit internationalen Kapazitäten aus allen Sparten des Musikbetriebs. Und er unterbreitete in gebotenem Ernst den Berliner Verkehrsbetrieben eine Verbesserung ihres Fahrscheinsystems: die Stadt unterteilt in acht konzentrische Kreise und 12 Segmente, mehrfarbig.
Wer aber waren Schönbergs Berliner Schüler, denen man in dem Symposion mit Konzerten und so genannten "Lecture Recitals", einer Art Gesprächskonzerten, Ende November nachspüren will? So bekannt wie seine Wiener Schüler Berg, Webern, Eisler wurden sie nie. Neben Nikos Skalkottas am ehesten noch Roberto Gerhard, Adolph Weiss oder der erst kürzlich verstorbene Schweizer Erich Schmid. Die Namen anderer wie Walter Gronostay, Norbert von Hannenheim, Peter Schacht, kennt kaum der Fachmann, für Ludwig Holtmeier dennoch sehr interessante Figuren.

HOLTMEIER: Es ist einfach so, dass Gronostay, Hannenheim, Schacht deutsche Komponisten waren, die in Deutschland geblieben sind, zu jung um auszuwandern. Vielleicht aber wie Schacht hatten sie einen wertkonservativen Begriff von Heimat ohne Nationalsozialisten zu sein. Und sie kamen dadurch mehr oder weniger alle mit den Machthabern in Kontakt. Die geschichtlichen Hintergründe sind sehr interessant etwa von Hannenheim, der versucht, Volksmusik zu schreiben, sich möglichst wenig zu kompromittieren, gleichzeitig für die Schublade zu schreiben. Gronostay ist nicht nur der radikale neue Komponist, der sich zu gewisser Zeit mit negativem Komplex auf Schönberg bezieht. Er ist Komponist auch von Teilen von Leni Riefenstahls Olympia-Filmen, hat eine Rolle in der Reichsmusikkammer gespielt. Peter Schacht hat viel zu tun mit dem Nazi-Ersatz der IGNM. All diese Dinge sollen aufgearbeitet werden. Sie bringen einen sehr differenzierten Einblick in das, was musikalisches Komponieren in der Isolation 1933-45 hieß.

Die meisten haben es nicht überlebt, Hannenheim ist verschwunden, 1944 wohl verschleppt von den Russen, Schacht in Posen 1945 gefallen. Die in Deutschland geblieben sind - das sind sehr traurige Schicksale. Aufgeführt wurde von denen nach dem Krieg fast nichts. Die Werke von Hannenheims beispielsweise sind weitgehend verschollen.

HOLTMEIER: Hannenheim war krank, möglicherweise schizophren. Er hat seine Werke Els C. Kraus anvertraut , die die Werke in Originalen und Kopien in einen Berliner Safe gepackt hat. Und dieser Berliner Safe ist im Krieg bombardiert worden und alles in diesem Safe verbrannt. Die einzige Hoffnung, die wir haben, dass dieser gesamte Safe irgendwie nach Russland verschleppt worden ist und wir eines Tages sämtliche 200 Werke - Symphonien, 2 Klavierkonzerte, Violinkonzerte - alles wieder finden werden. Es ist verrückt, seit der Name bekannt geworden ist, findet sich dann immer wieder was. Das sind Werke, die bei Interpreten geblieben sind.

An seiner Biografie hat der ebenfalls inzwischen verstorbene israelische Musikologe Peter Gradenwitz gearbeitet. Herbert Henck, der auch aus von Hannenheims wieder gefundenen Klaviersonaten spielen wird, wird daraus vortragen.

HOLTMEIER: Es zeigt einen verhungernden Künstler, der sich an den "Künstlerdank" gewendet hat, an die offizielle Naziorganisation, um dort etwas zu bekommen. Aber weiter ist das nicht gegangen. Letztlich ist er doch drauf gegangen. Es ist ein erschütterndes Dokument. Nur soweit will ich voraus greifen, dass man Spitzel angesetzt hat auf den Norbert von Hannenheim, die seine Werke untersucht haben. Die sagten: na ja nach außen hin tut er den Gewendeten, schreibt Unverfängliches. Aber wenn wir seine Kammermusik anschauen, müssen wir sagen, da ist Hopfen und Malz verloren.

 

Spurensuche

Das Symposion und die Konzertreihe zu Schönbergs "Berliner" Schule
29.Nov.-2.Dez 2001

Es war seine beste, seine glücklichste Zeit - obwohl man ihm nachsagte, ganz glücklich war er nur, wenn er leiden, unglücklich sein konnte. Aber er hatte den angesehensten Job, Leiter einer Meisterklasse an der Preußischen Akademie der Künste, überdurchschnittlich bezahlt, nur ein halbes Jahr Anwesenheits-Pflicht, Zeit zum Komponieren, Tennisspielen, Reisen. Anders als in Wien, wo die Schüler fast Gleichaltrige, Gleichgesinnte, Gleichsituierte waren, mit denen er die Welt der Musik aus den Angeln heben konnte, strömten die Schüler nun aus ganz Europa zu diesem schon etwas abgehobenen Lehrer in Berlin. Was an Arnold Schönberg faszinierte? Mit einer Tiefenschärfe wie kein anderer konnte er ästhetische, kompositorische, musikalische Fragen durchdringen, nicht nur an Arbeiten der Schüler und seiner eigenen Musik, sondern auch der großen Meister. Diese Kombination machte ihn so anziehend für die "jüngere, ehrgeizige, fortschrittliche Generation". So sieht es Claus-Steffen Mahnkopf. Bei dem Schönberg und seiner "Berliner Schule" gewidmeten Symposion mit auch einer Ausstellung und einer kleinen Konzertreihe des Ensemble Oriol in der Berliner Akademie der Künste hielt er das Einleitungs-Referat.
Aber wer waren die Schüler dieser sieben glücklichen Jahre 1926 bis zum Mai 1933 mit dem dann tiefsten Absturz im Schönbergschen Lebensweg? Anders als die Wiener – Alban Berg, Anton Webern, Hanns Eisler – kennt sie heute kaum einer. Vielleicht noch im angelsächsischen Sprachraum Roberto Gerhard, den Katalanen, der nach dem Sieg der Franco-Falange von Barcelona nach Cambridge fliehen und dort ein großes Werk mit Opern und Balletten schaffen, Schüler um sich scharen konnte. Gelegentlich taucht auch der Name des Griechen Nikos Skalkottas auf. Mittellos und ein geborener Chaot reiste er im Januar 1933 zurück in seine Heimat und wollte im März schon wieder nach Berlin. Das Musikleben in Athen fand er noch bedrückender. Er starb 1949.
Ein anderer: Walter Gronostay, 1937 verstorben. Wegen seiner jüdischen Frau versuchte er noch auszureisen. Sein Ziel war die angewandte Musik. Immer sorgte er sich um die gesellschaftliche Relevanz der Künste, komponierte Lieder für Ernst Busch, aber half später auch mit Filmmusik für Leni Riefenstahls „Olympia“-Gloriole. Als Abteilungsleiter der Berliner Funkstunde schrieb er eine Kantate über Weizenverbrennungs-Aktionen in Chicago zu Zwecken der „Marktbereinigung“, während in Russland die Menschen hungerten. Und analog zu Brecht-Hindemiths Lindberghflug erfand er die Gattung Kammer-Kürzest-Funkoper, die er neu zu etablieren suchte. Mord heißt das erste dieser "Hörspiele" (1929), eine 12-minütige Geschichte um die Frau eines Fabrikdirektors, die, während der Mann wegen eines drohenden Streiks in der Fabrik übernachtet, ihren Liebhaber nachhause lotst mit kleinen Komplikationen.
"Reportage" nannte er das. Als "Zusammenfassung dramatischer Ereignisse" akzentuiert mit Musik analysiert das Verfahren Iris Pfeiffer, die sich über Gronostays musikalische "Reportagen" gebeugt hat. Gronostay selber nutzt die Musik und rhythmisierte Sprache als "akustischen Regulator". Ein noch komplizierterer Fall: Peter Schacht, anfangs von Schönberg schroff zurückgewiesen als nicht versiert genug, dann sein Dauerschüler. Immer tat er sich schwer. 1945 kam er um an der Ostfront in Posen, nach 1933 vertonte er Lieder des Blubo-Dichters Billinger, vermittelt wahrscheinlich von Winfried Zillig, der sich mit den Nazis am meisten kontaminierte. Eines von Schachts Liedern ist Heimkehr überschrieben, in Zwölfton-Technik, obwohl sonst die Schüler eher freitonal, oft aber in einer Art Reihentechnik komponierten. Dann versuchte er, die Isolation einer inneren Emigration nicht mehr ertragend, sich wieder in Tonalem.
Der vielleicht bedeutendste Schüler: Norbert von Hannenheim. 1929 kam er aus Siebenbürgen, 31jährig. Als auch fleißigster Schüler konnte er bald im Berliner Musikleben Fuß fassen. 1945 vermutlich starb er, möglicherweise bei einem Bombenangriff. Mit verloren ging dabei fast sein gesamtes schon umfangreiches Œuvre. In der NS-Zeit hielt er sich über Wasser u.a. dadurch, dass er für einen Günstling Görings Jägerlieder sammelte und wohl auch bearbeitete für einen Prachtband über das deutsche Jagd- und Forstwesen – zusammen übrigens mit Hermann Heiß, der im Nachkriegs-Darmstadt das elektronische Studio leitete. Halb verhungert wandte Hannenheim sich an die NS-Stiftung "Künstlerdank", aus der freilich auch etwa ein Webern sich nährte.
Die Akte Hannenheims über seinen Antrag hat sich erhalten, ein erschütterndes Dokument, wie Ludwig Holtmeier, der Leiter und Organisator dieses höchst verdienstvollen Symposions erzählt. Spitzel wurden Hannenheim ins Haus geschickt. Sie sollten herausfinden, ob er sich tatsächlich "geläutert" habe. Ihr Urteil: Hannenheim habe keineswegs der radikalen Moderne abgeschworen. Seine Volksmusik-Aktivitäten seien nur Tarnung. In der Tat hat seine Musik, eine Bratschen-Suite etwa von 1936/37 war zuhören, neben dem Schönbergschen Grundmuster auch starke Anklänge an Bartók und Strawinsky. Und Herbert Henck, dessen Nachforschungen über Hannenheims Biografie wir ebenfalls wesentliche Erkenntnisse verdanken, spielte in seiner Lecture Klaviersonaten. Deren Nr. 12 etwa mutet an wie eine Mischung aus Conlon Nancarrow und Karlheinz Stockhausen.
"Geschichtsmächtig", wie Mahnkopf das nannte, wurden diese Komponisten alle nicht, konnten es nicht werden. Der Kulturbruch 1933 hinderte sie, sich zu etablieren, im Ausland bekannt zu werden, Kontakte zu knüpfen. Mit um die dreißig waren sie zu jung um sich schon profilieren, zu alt um ins kalte Wasser eines Neuanfangs im Ausland zu springen. So blieben sie in Deutschland. Und selbst ja ein Schweizer wie der zunächst in Frankfurt studierende Schönberg-Schüler Erich Schmid musste als Dirigent von Laienchören und Blasorchestern im abgeschiedenen Alpental von Glarus überwintern. Erst nach dem Krieg fand er im Zürcher Tonhalle-Orchester einen Ort. Die um ein gutes Verhältnis mit Nazi-Deutschland bemühten Offiziellen taten alles, um ihn ins Abseits zu drängen, aber auch ein Paul Sacher, der trickreich jeden möglichen Konkurrenten auszuhebeln versuchte.
Der einzige "echte" Schönberg-Schüler nach der Wiener Zeit, der sich durchsetzte, war John Cage. Und er war in dem Sinn nicht Schönberg-Schüler. Hätten Komponisten wie Hannenheim ihre Chance bekommen, die Post-Schönberg-Avantgarde hätte sich gewiss sehr viel "pluralistischer" entwickelt, wie es Mahnkopf sagt. Für Ludwig Holtmeier ist dies zwar eine "verlorene" Musik, durch kein Festival wie dieses einfach zu re-installieren, aber es ist doch auch ein "Versprechen", dass, wenn man dermaleinst über diese Komponisten-Generation nachdenkt, Namen wie Roberto Gerhard, Nikos Skalkottas, Norbert von Hannenheim ihren festen Platz haben. Eine entbehrungsreiche, von Forschungen auch des verstorbenen Peter Gradenwitz angeregte, dann freilich eifersüchtig gehütete  Spuren-Suche. Deren Verdienst ist gleichwohl nicht hoch genug einzuschätzen.


Der Rest Schweizer Redlichkeit

Jossi Wieler bekam den "Konrad-Wolf-Preis" der Akademie der Künste Berlin

20.Oktober 2002
Die Jury der Zeitschrift Opernwelt wählte seine Salzburger Ariadne (2001) zur Operninszenierung des Jahres. Die Akademie der Künste Berlin-Brandenburg verlieh ihm jetzt den Konrad-Wolf-Preis für Regie: Jossi Wieler, in Kreuzlingen am Bodensee geboren, in Israel als Schauspieler und Regisseur ausgebildet. Die Laudatio bei der Preisverleihung hielt Stuttgarts Opernintendant Klaus Zehelein.
WIELER: Ich finde, das trifft einiges von mir, ja. Das sage ich mit aller Schweizer Redlichkeit.

Jossi Wieler zu dem, was die Jury des Konrad-Wolf-Preises der Akademie der Künste ihm bescheinigte: "Nachdenklichkeit, Zartheit und einen ganz leisen Humor". Ein "sympathischer Rest von schweizerischer Redlichkeit" sei der 51-Jährige. Ein mehr beobachtender, denn sich einmischender Regisseur ist er, heißt es rühmend bei der Preisverleihung am Sonntag (20.Okt.) in der Akademie, "unmerklich" in seiner Regiearbeit. Wir treffen uns in einer Kneipe um die Ecke, wo er gerade wohnt. Hier ist’s laut, sein Zeitplan eng. Theater macht Wieler seit zwanzig Jahren. Oper seit einem Titus 1994 in Stuttgart. Erst habe er Angst gehabt, sagt er, als Klaus Zehelein, der Intendant und Chefdramaturg der Stuttgarter Oper, ihn fragte. Aber, habe der ihn beruhigt, es gebe genügend Freiheit in der Oper. Und es gebe noch andere (Produktions-)Dramaturgen im Haus, die helfen. In seinem Fall: Sergio Morabito. Und ziemlich bald gab’s die beiden – Wieler und Morabito - auf den Opernzetteln immer im Doppelpack.

WIELER: Sergio Morabito ist nicht nur auf jeder Probe dabei, sondern wir besprechen auch jede Probe vorweg und diskutieren sie hinterher. Und das ist etwas, was ich gerade beim Opernbetrieb besonders wichtig finde, der ja so hierarchisch strukturiert ist, wo man als Regisseur sehr viel behaupten kann und es wird, weil die Strukturen so hierarchisch sind, so gemacht, ich finde, da muss man sehr vorsichtig mit dieser Freiheit, die da einem gegeben wird, umgehen. Ich würde das gern sehr fundiert das machen. Das kam erst mal aus einem Unwissen dem ganzen Opernbetrieb gegenüber. Und mittlerweile habe ich gemerkt, dass diese Art der Zusammenarbeit gerade für diese Gattung besonders förderlich ist und viel viel öffnet und zu Ergebnissen führt, weil man sich permanent hinterfragt und sich nicht immer selber die Antworten geben muss.

Der andere Eckpfeiler in Wielers Theater-"Familie": Anna Viebrock. Seit seinen Anfängen in Heidelberg arbeitete er mit ihr als Bühnenbildnerin, in Bonn, Basel, Hamburg, München, Salzburg. Fast alle Opern, auch die Stuttgarter Händel-Alcina oder der Siegfriedaus dem "Quartett"-Ring, entstanden mit ihr. Wieler braucht diese Vertrautheit, weniger Reibung, Widerspruch.

WIELER: Man kennt Anna Viebrocks Räume. Die sind sehr suggestiv, sie sind vor allem sehr konkret, bestehen aus einer zusammengesetzten Wirklichkeit und stellen eine eigene Welt dar, die aber so konkret sind, dass man denkt, man kennt das von irgendwo her schon. Und trotzdem sind sie magisch und rätselhaft. In den Vorgesprächen zu unserer Arbeit ist Anna Viebrock immer dabei. Und früher im Schauspiel war sie noch auf jeder Probe dabei, als man meistens noch ein bisschen mehr Zeit hatte. Sie ist auch in ihrem dramaturgischen Denken eine ganz wichtige Partnerin. Und auch da hat der Dialog viel mit Vertrauen zu tun: dass man nicht über alles mehr reden muss, alles benennen muss, weil man weiß oft schon, was der andere denkt oder meint, bevor er's überhaupt ausgesprochen hat, dass der andere eben spürt was gemeint ist.

Theater gelernt hat der in Kreuzlingen Geborene am Habima in Tel Aviv. In Israel leben noch seine Eltern. Sehr "amorph" waren die Erfahrungen dort zwischen russischer Stanislawski-Einfühl-Schule und 70iger-Jahre Moderne von Brook bis Grotowski. Opernarbeit à la Zehelein in Stuttgart, das ist für ihn auch eine Art Gegenpol.

WIELER: Die Art und Weise, wie in Stuttgart Spielpläne entstehen, wie man für einen Regisseur ein Stück aussucht, das hat natürlich viel mit seinem Denken und seinen Visionen was zu tun. Gerade am Beispiel Siegfried - ich wusste erst gar nicht, wie umgehen mit diesem Ring-Projekt mit vier Regisseuren, weil ich auch zu Wagner gart keine Nähe hatte. Und ich habe dann gemerkt, dass es sehr für mich auch gedacht war. Das ist ein Stück, was ja oft das Scherzo genannt wird im "Ring", was man aber ganz selten merkt, Es sind ja sehr langwierige Szenen, wo alles noch mal erzählt wird. Es ist wenig situativ, meistens nur zwei Figuren auf der Bühne, es sind Duelle immer. Der eine singt der andere hört immer nur zu - daraus eine szenische Dynamik herauszuarbeiten, die voller Spannung ist, das hat viel mit Schauspiel zu tun.

Ob er nun mehr der Oper sich widmen werde, wo er dafür allerorten Ehrungen einheimse?

WIELER: Am schönsten wäre es, wenn das Verhältnis 50:50 bliebe, so wie es im letzten Jahr war. Da habe ich zwei Opern, zwei Schauspiele gemacht. Ich will in jedem Fall Schauspiel weiter machen, weil es eine ganz andere Dynamik hat im Arbeiten, in gewissem Sinn viel offener, wo man alles, was man in der Oper schön findet wieder vergessen muss. Das Problem ist, dass Oper so weit im Voraus geplant wird, dass man sich da festlegen muss. Und ich versuche jetzt einfach im Schauspiel genügend Fenster offen zu lassen.

Der Pelléas in Hannover (allerdings mit Bühnenbildnerin Watanabe), Schönbergs Moses und Aron zu Spielzeit-Ende in Stuttgart, das sind seine nächsten Opernprojekte: Moderne des 20.Jahrhunderts. Und wie steht's mit dem 21sten?

WIELER: Wenn es ein guter Stoff ist und vor allem eine aufregende Partitur, die vielleicht noch im Entstehen ist - liebend gern. Es ist auch nicht so, dass es da keine Kontakte gegeben hätte. Eben dadurch, dass die Oper so lang im Voraus geplant wird und das Repertoire im gewissen Sinn überschaubar ist, legt sich's dann relativ bald fest an Stücken aus dem letzten, vorletzten und vorvorletzten Jahrhundert. Aber das muss und wird auch nicht so bleiben.