Sehr leise, wie fragend beginnt das. In den Knabenstimmen klingt auch schon an als Leitmotiv das Dresdner „Amen“, das Felix Mendelssohn in der Reformations-Symphonie und Richard Wagner im „Parsifal“ verwendet haben. Aber dann öffnet sich das in einen harten Bruch zum Heute.
Es ist Lera Auerbachs bereits drittes Requiem. Die russisch-jüdische Komponistin mit österreichischen Wurzeln, die heute in Amerika lebt und soeben im Theater an der Wien ihre Gogol-Oper höchst erfolgreich zur Uraufführung bringen lassen konnte, schrieb schon ein russisches Requiem und eines für einen Dichter. „Der Tod war immer in meinen Gedanken“, sagt sie. Ihr Kindermädchen nahm sie oft mit auf den Friedhof. Den Tod habe sie immer als „sehr anwesend“ empfunden. Das Requiem jetzt für Dresden sollte aber etwas Besonderes sein. So erläuterte sie bei einem Publikumsgespräch am Vorabend der Uraufführung:
AUERBACH: I wanted to write a very unusual requiem…
Live-Übersetzer: Ich wollte ein sehr ungewöhnliches Requiem schreiben. Das war mein Gedanke von Anfang an, dass ich über die Hoffnung schreibe. Ich wollte nicht nur die Toten ehren, sondern ich wollte mich auch an die Lebenden richten. Und die wichtige Frage, die ich aufwerfen wollte, ist die Zukunft: Was sind unsere Möglichkeiten in der Zukunft? Deshalb hat es den Untertitel „Ode an den Frieden“. Und deshalb habe ich auch andere Texte, die normalerweise nicht in einem Requiem zu finden sind, ebenfalls einbezogen.
So hat Auerbach in ihrem 18-teiligen Libretto auch Psalmen einbezogen oder das „Vater unser“ und Gebete der jüdischen Liturgie, ein Gebet, das der Kaplan Father Judge, das erste Opfer der Anschläge am Ground Zero, hinterließ oder ein Gedicht, das der Theologe Christian Lehnert zur Glockenweihe der wieder aufgebauten Frauenkirche schrieb. Das „dies irae“, der Tag des Zorns, hingegen fehlt. In vierzig Sprachen gesungen wird das Kyrie, beginnend in einem geradezu fordernd-stampfenden Ton als Bitte um Erbarmen und Vergebung.
Der Symbolgehalt dieser Uraufführung in der Dresdner Frauenkirche ist hoch. Seit über fünfzig Jahren hat man für das Gedenkkonzert auf den Tag der Zerstörung Dresdens 1945 durch die alliierten Bomber jetzt zum ersten Mal wieder eine Uraufführung in Auftrag gegeben. Am 13. und 14.Februar wird Lera Auerbachs „Requiem“ in der Semperoper erklingen. Als Knabenchöre wurden die von St. Paul’s Cathedral in London und der Saint Thomas Choir of Boys aus New York eingeladen. Phänomenal die beiden Knabensoprane, insbesondere Richard Pittsinger aber auch Jack Keller, von dem New Yorker Chor. Sie musizieren zusammen mit dem Counter Maarten Engeltjes und dem Bassbariton Mark Stone. Dazu die Herren des Staatsopernchors und Mitglieder der Dresdner Staatskapelle. Souverän leitet Vladimir Jurowski die Aufführung.
Auf Frauenstimmen verzichtet Auerbach bewusst. Krieg ist oder war vor allem Männersache, sagt sie. Ihre Musiksprache ist vor allem sanglich, weniger dramatisch wie die ihrer letzten mit viel Applaus in Wien uraufgeführten Oper „Gogol“. Die Musik scheint in der Kuppel der Frauenkirche oft wie zu schweben. Ob avantgardistisch oder nicht – das ist für Auerbach kein Thema. Die Musik der 1950iger und -60iger Jahre ist für sie historisch. Eindrucksvoll ist dies knapp 75-minütige „Requiem“. Geklatscht wird bei diesen Dresdner Gedenkkonzerten nicht. Der Abend endet mit einer stillen Minute. Lera Auerbachs Musik führt in diese Stille mit Solo-Geige und der Knabenstimme des Amen, das in einem eigenen a-capella-Satz „In silentium“ (an das Schweigen) auch schon vorher umspielt wurde.
Mit dem
von der Solo-Trompete geblasenen Motiv aus dem Ambrosianischen Lobgesang beginnt das
Te Deum. Der Kuppelraum der Dresdner Frauenkirche beweist gerade
bei solchen solistischen Stellen seine Stärken. Er gibt dem Klang
des Solo-Instruments ein hüllendes Kleid und wahrt doch dessen
Transparenz. Aber auch wenn die Orgel einbezogen wird, trägt der
Raum mit seiner Nachhallzeit von erlauschten etwa 4 Sekunden. Der
Komponist Siegfried Matthus hat in einem „Die Orgel“ überschriebenen
Abschnitt seines Te Deums Bachs d-Moll-Toccata mit in seine
Komposition einbezogen zur Erinnerung daran, dass einst der große
Johann Sebastian die erste Orgel der Frauenkirche weihte.
Der Auftrag, ein eigens für diesen Raum geschriebenes Werk zu
komponieren kam spät: Erst im Dezember letzten Jahres, vermittelt
durch den Freundeskreis und Ludwig Güttler. Siegfried Matthus,
der schon zur Wiedereinweihung der Semperoper vor
20 Jahren um ein neues Werk dafür gebeten wurde und dann seinen
inzwischen viel gespielten Cornet nach Rilke schrieb, entschloss
sich zu einem Werk, das neben dem Jubel über den wieder erstandenen
Kirchenraum auch an die Male seiner Zerstörung erinnert.
Im Zentrum des etwa 75-minütigen Werks steht ein „Inferno“ überschriebener Abschnitt. In ihn hat Matthus Teile seiner Cornet-Oper übernommen, die mit heftigen Schlagzeug-Kaskaden und einem Chor an den Feuersturm von 1945 erinnern. Aber auch ein historisches Zeugnis ist eingefügt von diesem Ort, ebenfalls mit einem Zitat unterlegt von Bach aus der „Johannespassion“.
Kurt Masur,
der trotz einiger organisatorischer Komplikationen
für das Projekt als Dirigent gewonnen werden konnte, die Dresdner
Philharmonie , die sechs Solisten und die Chöre aus Berlin und
Dresden - sie sind mit großem Ernst bei der Sache und wurden am Ende
mit lang anhaltendem Beifall bedankt.
Und der Klang, zeigt sich an diesem Abend, bleibt transparent,
solange die Partitur schlank instrumentiert ist. Schnelle und laute Tutti-Stellen hingegen sind kaum adäquat darzustellen. Dann wird der
Klang dick und beginnt zu mulmen. Auch ist Textverständlichkeit in
diesem Raum nur sehr bedingt möglich.
In Dresden gibt es seit Jahren und verstärkt nach der Wende eine
Diskussion um einen angemessenen Konzertsaal für diese Musikstadt.
Die Dresdner Philharmonie spielt normalerweise in der Kongresshalle
neben an, einem ursprünglich für die Massenveranstaltungen der SED
entworfenen Zweckbau. Die Staatskapelle, das Opernorchester, zog mit
ihren Konzerten nach Wiederherstellung der Semperoper ins eigene
Haus. Manche meinten, die Philharmonie könnte nun die Frauenkirche
als ihren neuen Konzertsaal nutzen. Das wird aber nach den ersten
Erfahrungen nur für ausgewählte Werke sinnvoll sein. Das Thema
Konzerthaus in Dresden bleibt trotz der vielfältigen räumlichen
Möglichkeiten in der Frauenkirche auf der Tagesordnung.