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Entführung aus dem Musiktheater

Die Mozart-Oper „Entführung aus dem Serail“ als modisches Strandsurfen

17.Juni 2016

Gags, gags, Äußerlichkeiten. Die McDonaldisierung des Opernbetriebs schreitet voran. Wann hat man in Berlin zuletzt eine ernsthafte Auseinandersetzung mit einem Stoff gesehen? In der Deutschen Oper jedenfalls schon lange nicht mehr. Hier kommen Belmonte und seine kotzenden Gespielinnen in einem hochgebockten Monster-Strand-Buggy mit brummigen Getöse angebaggert. Belmonte muss auf dem Trittbrett oder im Wagen singen. Osmin empfängt ihn mit Banane am Teil und darf seine Abwehr-Arie vor einer Video-Kamera singen, die ihm auf den Weltkugel-runden Stoff-Bildschirm ein Affengesicht appliziert. Kein Rassismus?

Der argentinische Schauspiel-Regisseur Rodrigo Garcia (mit Ramón Diago auch teilverantwortlich fürs Bühnenbild) hat sich das für sein Operndebüt ausgedacht. Dass er der Oper nicht traut, hat er schon vorab per Interview verkündigt – und bekräftigt es hier: alles Lüge oder was. Sein Bassa Selim ist eine Volleyball-vernarrte Selima, die lesbisch in Konstanze verliebt ist (Annabelle Mandeng). Die kommt in einem vom Star-Designer Hussein Chalayan entworfenen Kleid mit hosenbein-imitierenden Seiten-Schleppen über der Unterwäsche daher. Die Serail-Mädels werden auf Narkotika spendenden Wagen hereingekarrt, nackt oder im Nackt-Body. Fürs Aufwachen bekommen sie dopende Zuckerwatte, von der Konstanze nascht, nachdem die Selima ihr die ihre (liebes-)entzogen hat. Gesprochen wird fast nichts oder englisches Muschi-Gebrabbel. Manchmal klingt’s wie Kurzwellen-Funksalat.

Die Selima wird etwa zur Martern-Arie in Ganzkörper-Burkas mit Aufschriften wie DESIRE, ERROR oder später DREAM verpackt. Oder es wird wieder mal ein Video eingespielt, wobei man die beiden Frauen erotisch planschend im Pool sieht, usw. usf. Immerhin bewältigt Kathryn Lewek ihre Koloratur-Arien fast makellos. Nur einige der hohen Töne verrutschen mal. Denn nebenbei muss die Entführte auch schon mal für ihre sportive Selima muskelstählendes body building treiben. Allerdings sind Donald Runnicles‘ Tempi im Graben auch sehr frisch. Und das Orchester spielt die Mozartsche Partitur mit Verve.

Muss man sich das Ganze antun? Vielleicht wenn man sich einen Besuch in Disneyland ersparen will. Allerdings ist die Chose familien-unfreundlich erst ab 16 Jahren zugelassen. Und Steh- und Sitztheater hatten wir in den letzten Jahren eigentlich genug. Da war sogar die einstige Skandal-Inszenierung von Calixto Bieito 2004 in der Komischen Oper perspektivenreicher als das modische Oberflächen-Gesurfe hier. Kaum zu glauben, dass einem die Bieito‘sche Blutorgie noch mal positiv in den Sinn kommt. An so exponierte und zutiefst eindringliche Inszenierungen wie die von Ruth Berghaus 1981 in ihrer gloriosen Frankfurter Zeit möchte man aber nun wirklich nicht erinnern.

Ein Fehlstart für den geplanten neuen Mozart-Zyklus an der Bismarckstraße.

Fotos: Thomas Aurin


Der alte und der junge Mann und das Meer

Georg Friedrich Haas‘ „Morgen und Abend“ als U-Import aus London

Premiere: 29.04.2016 / gesehen: 2.Vorstellung am 03.05.2016

Die Deutsche Oper Berlin gibt sich weltläufig. Importe oder Kooperationen mit ausländischen Bühnen nehmen zu. Die an Londons Covent Garden im vergangenen Jahr uraufgeführte neue Oper von Georg Friedrich Haas „Morgen und Abend“ verdankt dem neuen Trend ihre Deutsche Erstaufführung an der Bismarckstraße. Wieder hat Haas mit dem Norweger Jon Fosse [„Morgon og kveld“] zusammengearbeitet. Wieder geht’s um den Tod. Hier in Gestalt eines Fischers Johannes. Zuerst wird dessen Geburt imaginiert, dann sein Tod. Die Geburt verfolgt der Vater Olai auf einem Stuhl sitzend vor der Tür. Seine einzige Botschaft: der Sohn soll Johannes heißen und auch Fischer werden. Seinen eigenen Tod erlebt dieser Johannes, indem er erst seine vor ihm gestorbene Frau Erna imaginiert, dann seine Tochter Signe, die klar Schiff machen will. Und schließlich kreuzt auch noch der Helfer Peter auf, der ihn lockt zu einer Fahrt aufs grenzenlose Meer. Metapher für den Tod.

Brandauer als Olai

So inhalts-ausgespart der Text, so sparsam auch die Musik. Im ersten Teil wird der Text von Johannes‘ Vater Olai in ein Mikro gesprochen mit aber auch gelegentlichen Glissando-Tönen. Klaus Maria Brandauer mimt breitbeinig den. Haas‘ Musik, anfangs mehr mit sphärisch fluoreszierenden Liegeklängen, signalisiert dann mit heftigen Paukenschlägen wie ein Donnern und Gewittern den Geburtsvorgang. Gekrönt von lauten Schreien der Gebärenden. Auch ein bisschen Minimalmusic ist angesagt gegen Schluss, wenn Johannes als seine wichtigste Aufgabe posaunt, er wolle Peter die Haare schneiden. Im zweiten Teil wird von den Beteiligten auch gesungen, gut gestützt mit Orchestertönen – obwohl Komponist Haas die Trennung behauptet, Melos und Harmonik seien in der neuen Musik keine Einheit mehr. Eher stakkatierende Sprechtöne gibt es meist von Peter, dem Fischer-Freund. Auf Viertel- oder Sechseltöne, besonderes Markenzeichen von Haas, verzichtet der Komponist aus für Opernhäuser praxis-angemessenen Gründen.

Karg bis ärmlich gibt sich auch die Inszenierung. Graham Vick zeichnet dafür verantwortlich, Bühnenbild und Kostüme Richard Hudson. Zu sehen auf der Bühne sind nur ein paar Stühle, ein Sessel, ein Bett, ein Boot, gut verteilt auf der später, wenn‘s ins Jenseits geht, sanft rotierenden Drehbühne. Die Farben: ein gräulich-bräunlich ausgebleichtes Weiß. Die Schrift wird immerhin künstlerisch bearbeitet projiziert auf die Rückwand der Bühne. Aufleuchtend und wieder verblassend. Und wenn der Wind auf dem Meer die Worte zerstäubt, dürfen die Buchstaben auch ein bissel tanzen. Danke für die Technik an Giuseppe Di Iorio. Aber für 90 Minuten ist das alles doch ein bisschen wenig. Eine Konzertaufführung hätte es auch getan. Dirigent Michael Boder hat alles gut im Griff.

Wenn also internationaler Austausch, dann doch bitte Produktionen, die wirklich wichtig sind und vielleicht sogar neue Wege weisen. Austausch nur um ein bisschen internationalen Flairs willen oder weil es irgendwelche persönliche Connections gibt – was soll’s? Überhaupt hatte die Leitung des Hauses mit ihren Importen und Kooperationen bisher ein wenig glückliches Händchen. Man denke bloß an die als Kooperation mit Oslo von Ole Anders Tandberg in norwegischen Fischgründen versenkte „Lady Macbeth von Mzensk“. Oder gibt’s in dieser Stadt überhaupt kein Gespür mehr für szenische Qualität? Zählt die nicht mehr? Fast scheint’s so.

Foto: Marcus Lieberenz


Herzflimmern

Leoš Janáceks „Die Sache Makropulos“ - mit Donald Runnicles und David Hermann

19.02.2016

Emilia Marty alleinDoubles sind Mode. Erst kürzlich sah man in Claus Guths „Salome“ gleich ein ganzes Orgelpfeifen-Set.

Auch Regisseur David Hermann bedient sich der abgenutzten Video-Idee reichlich. Gleich im ersten Bild erscheint die E.M. gespiegelt mit ihren fünf Doubles aus unterschiedlichen Jahrhunderten, gekleidet wie Schaufenster-Puppen in Dessous. Später wird man die jungen Damen in zeitgerechte Kleider ausstaffiert sehen. Aber E.M. – wie sie in einem Video-Trailer heraus gemendelt wird aus ihren diversen Namen – hat auch noch weitere Figuren als quasi stumme Diener zur Vernebelung ihrer Vergangenheit parat. Meist kommen sie herausspaziert aus der riesigen Esse, in der offenbar ihre Vergangenheit verbrannt werden sollte.

Evelyn Herlitzius als Sänger-Darstellerin der Emilia Marty hat hier bei Janácek einen großen Auftritt. Sie findet hier gleichsam zu sich selbst. Ihre sonst durch überscharfes Vibrato etwas unsaubere Stimmgebung vermischt sich gut mit der blechbläser-gesättigten Instrumentation Janáceks. Und als einzige der Sängerinnen und Sänger im Premiere-Ensemble der Deutschen Oper kann sie sich auch durchsetzen gegen den von GMD Donald Runnicles wieder mal saftig ausgereizten Orchestersound. Das Publikum dankt es ihr und Runnicles am Ende ohne Ende. Einigermaßen ebenbürtig von den Sängern Ladislav Elgr als Albert Gregor.

Emilia und ihre DoublesHermanns Inszenierung ist sauber gearbeitet. Alles, was im Libretto angesprochen wird, wird auch gezeigt, und gleich mehrfach. Inspiriert und inspirierend ist das nicht. Und unter die Haut geht auch nichts, das Schlussbild vielleicht ausgenommen. Es plätschert so dahin. Und dabei gibt es in dieser so merkwürdigen SciFi-Oper (U 1926) doch vielerlei Anspielungen. Auch sehr heutige wie die Steigerung der Lebenserwartung und das Altern der Gesellschaft, den Wunsch nach einem selbstbestimmten Tod und den Traum von ewiger Jugend. Den hatte Elenas Vater, der Arzt des Kaisers Rudolf im 16.Jahrhundert, geträumt und seine Tochter als Versuchs-Kaninchen für seinen Arbeitgeber missbraucht. Die Homunculus-Schiene eben.

Nur eben hat Elena nun genug davon und ihre fünf Alter Egos fressen das Papier mit der Formel einfach auf. Ha, ja. Immerhin bekommt Christof Hetzers Bühnenbild gelegentlich eine Art Herzflimmern dank raffinierter Videotechnik. Aber die Umbaupause hindert den nötigen Fluss und dehnt den Abend unnötig, woran das Publikum aber offenbar sich wenig störte. Nur ganz leise Buhs waren zu hören fürs Team.

Fotos: Bernd Uhlig


 

Im Küchenkabinett der Schneiderei Herodes

Claus Guth downgradet Richard Strauss‘ „Salome“

24. Jan. 2016

Salome und ihre Kind-DoublesEs soll wohl eine Art Küchen-Psychoanalyse im Wachsfiguren-Kabinett der Madame Tussaud sein. Figuren stehen herum in festgefrorenen Posen. Hin und wieder gibt’s kleine Veränderungen. Salome mit einem Schweif von Orgelpfeifen-Salome-Doubles bevölkert den Raum. Stiefpapa Herodes und die Mama sitzen als Puppen an einem Esstisch. Oder sie säuft Whiskey auf dem Sofa.

Jochaaan röhrt seine Gottesblitze hinter einem Haufen von Alt-Klamotten in den Raum. Später erfahren wir, dies ist ein Laden für Maßanzüge. Ein paar Dutzend davon hängen abholbereit an einer Kleider-Stange. Dazu Hemden, Hüte, Schlipse in einer Regenbogenfarben-Parade. Und der Kleiderhaufen sind wohl von Kunden (u.a. die Juden des Librettos) abgelegte Klamotten.

Der sogenannte Schleier-Tanz wird hier von Salome mit Stiefvater und den jüngeren Doubles, die von à la Nô-Theater schwarzen Figuren hereingetragen werden, absolviert – ein bisschen „Hamlet“ paraphrasierend. Jochanaans Kopf nimmt Salome einfach von einer Jochanaan-Puppe ab und setzt sich damit zu Tisch. Herodes‘ Befehl „man töte dieses Weib“ nimmt sie breitbeinig lachend im Staubmantel entgegen. Sieg der Emanzipation. Halleluja!

Salomes Nicht-TanzDie Reaktion des Premierenpublikums war ziemlich eindeutig: Überwiegend Buhs, schon als der Vorhang fiel und erst recht als das Inszenierungsteam um Claus Guth (Ausstattung: Muriel Gerstner, choreografische Mitarbeit: Sommer Ulrickson) auf die Bühne trat.

Aber auch der nur eine glatte musikalische Schablone der Strauss’schen Partitur abliefernde Dirigent Alain Altinoglu (als Barenboim-Assistent hat man ihn schwach genug in Erinnerung) bekam einiges an Protest zu hören. Immerhin hatte vor gut zwei Jahrzehnten hier Giuseppe Sinopoli eine „Salome“ dirigiert, die mit ihrer kammermusikalisch-klangmalerischen Durchsichtigkeit ihresgleichen suchte – und ja auf CD verewigt ist.

Catherine Naglestad, durch einen Unfall bei der Generalprobe leicht gehandicapt, sang eine hochdramatische, wenn auch nicht nymphenhafte Salome. Burkhard Ulrich gab den umtriebig-notgeilen Firmenchef Herodes, Michael Volle den endzeitlich grauen Jochanaan mit dicker Hornbrille.

Im Programmheft ist zwar einiges fabuliert davon, dass Salome sich in Jochanaan eine Art Homunkulus erschafft zur eigenen Wiedergeburt ohne den zerstörerischen Einfluss der Eltern. In eine sinnliche Bühnensprache umgesetzt ist das allerdings nicht. Es mag ja ein interessantes Konzept gewesen sein. Aber es bleibt Konzept. Und eine langweiligere „Salome“ hat man wohl selten gesehen – und gehört. Unerklärlich das Ganze...

Fotos: Monika Rittershaus


 

Alles Wurscht

Die neue „Aida“ im szenischen Arrangement von Benedikt v. Peter

22.Nov. 2015 (besucht: zweite Vorstellung am 25.11.15)

Radames-Amneris (in blau), Aida (Tüllkleid)

Interessant das Arrangement, wenn auch nicht besonders originell. Das Orchester sitzt auf der Bühne hinter einem Gazevorhang. Der Orchestergraben ist überbaut als Spielfläche für die drei Protagonisten: Die beiden Frauen Amneris (Anna Smirnova), die Pharaonen-Tochter, und Aida (Tatiana Serjan), die Sklavin. Inmitten Radames (Alfred Kim), der siegreich-unglückliche Feldherr. Vor allem unglücklich aussehen, ist denn auch seine Aufgabe und das Kleid seiner Geliebten streicheln und herzen.

Aida muss sich immer mal wieder aus ihrem Versteck schleppen und ebenfalls überwiegend unglücklich dreinblicken. Derweil darf Amneris halb Putzfrau (Achtung: Neuenfels auf den Kopf gestellt!), halb Matrone über die Bühne stiefeln, Kaffeegeschirr wegräumen, den mit Exkursionsbüchern und Zeitungen belegten Radames-Schreibtisch aufräumen, Wurstbrote schmieren und einen „Thron“ für den mit dem Siegerkranz – hier allerdings nur einem Gänseblümchen Geehrten – bereiten, sprich einen Stuhl auf einen Tisch.

Regisseur Benedikt von Peter hat’s gern publikumsnah, oder was er dafür hält. Er kopiert dabei auch gern seine eigenen Ideen von Inszenierungen aus der Komischen Oper, aus Hannover, Bremen. Hier verteilt er den Chor im Parkett und auf den Rängen, samt auch allen „Neben“-Figuren, die, was dem Regisseur hier als Muster vorschwebt, die Konkurrenzsituation der beiden Frauen um Radames verdeutlichen sollen. Verdi hat immer wieder solche Dreier-Konstellationen bevorzugt als trächtig für Dramatik.

Hier allerdings ist gemeint eine Konfliktsituation aus der Zeit, als Verdi die „Aida“ komponierte und er eine befreundete Sängerin (Teresa Stolz) wohl mehr als nur hofierte. Die Rolle, die dabei der Amneris zugeschrieben wird als hinterhältige, keifende Megäre, hat es so in der Realität wohl nicht gegeben, soweit briefliche Zeugnisse dafür greifbar sind. Giuseppina war wohl doch vor allem auch verständnisvolle Gattin, die ihrem Ehemann eine „Muse“ bedingt zugestand.

Die Verteilung des Chors im Zuschauerraum hat nun allerdings auch musikalisch einige Konsequenzen. Zumal im Triumphmarsch muss man nicht nur gelegentlich um die Unbeschadetheit seines Trommelfells fürchten. Der Gesamtklang wird mulmig, weil ja Schall bekanntlich gewisse Laufzeiten hat. Da mag sich Andrea Battistoni am Pult noch so mühen. Ganz schön allerdings die (wenigen) Piano-Pianissimo-Stellen etwa der Chor-Frauen. Wie eine Schulveranstaltung wirkt das Ganze aber mitunter dadurch, dass die Damen und Herren des Chors für ihren Einsatz aufstehen, sich wieder hinsetzen – und beim äußersten Triumph-Geheule – auch noch die Arme recken.

Ansonsten musste bei diesem Arrangement – und mehr ist wirklich nicht – kaum inszeniert werden. Die drei Hauptfiguren laufen auf der Bühne wie in ihrem Ställchen. Amneris darf sich gelegentlich einen Scherz leisten, etwa die besagten Butterbrote schmieren, den Thron aufstellen oder sich einen Turban aus Zeitungspapier zurechtschneiden. Es gibt Video-Live-Projektionen, eine Wand von Monitoren mit Gesichtern. Ansonsten kann man die Augen geschlossen halten. Es ist wie „Aida“ aus dem Kopfhörer als Raumklang-Installation mit Verdi-Bio-Pic-Behauptungen.

Das Publikum quittiert’s teils mit enthusiastischen Bravos, teils mit kräftigen Buhs. Auch in der zweiten Vorstellung. Man möchte aber nicht wissen, wie diese Aufführung wirkt in der nächsten oder übernächsten Saison, bar dann alles arrangierten Newswerts. Vielleicht gibt’s dann doch etwas bessere Sänger, denn die hier müssen vor allem Lautstärke produzieren. Aber auch die letzte „Aida“ an diesem Haus war schon ein Reinfall, sogar ein ziemlich kompletter. Von innerer Spannung, die eine Theateraufführung adeln würde, weiß diese Produktion nichts. „Anything goes” ist das Motto, oder – alles Wurscht.

Foto: Marcus Lieberenz


Langer Atem

Eröffnung eines geplanten Meyerbeer-Zyklus mit „Vasco da Gama“

04. Okt. 2015

Die Opern von Giacomo Meyerbeer erfahren derzeit eine erstaunliche Renaissance. Die als „Afrikanerin“ („L’Africaine“) einst verstümmelte und dann von Meyerbeer zum „Vasco da Gama“ (1865) umgearbeitete letzte Oper machte den Auftakt. Zuerst in Chemnitz, nun an der Deutschen Oper Berlin. Karlsruhe folgt in wenigen Tagen mit dem „Propheten“. Die jahrzehntelange Kärrner-Arbeit der Meyerbeer-Editoren um Sieghart und Sabine (Henze-)Döhring trägt Früchte.

Als Regisseurin für den neuen „Vasco“ in Berlin hat man Vera Nemivora engagiert. Sie müht sich, diese Vier-Stunden-Oper ins Heute zu transportieren, aber überzeugen kann sie damit nicht. Anzukreiden ist das nicht unbedingt ihr. Denn die Vorgabe war wohl, möglichst vollständig diese Oper auf die Bühne zu bringen. Die Meyerbeersche Dramaturgie lässt das kaum zu. Sie trägt nicht. Ein Zeitbegriff liegt ihr zugrunde, der aus dem Barock überkommen scheint mit seinen endlosen oft auch da-capo-Arien, Ariosi, Rezitativen. Dabei verliert sich die Musik oft in einen ausschweifenden Fabulierton, setzt die Vorgänge kaum in griffige melodische Formeln um. Von den wenigen, die da gelungen sind, hat sich offenbar Verdi etwa für seinen „Don Carlo“ bedient. Meyerbeer hinwiederum hat sich bei Weber, Mozart und anderen umgehört. Plastisch wird das selten.

Sehr gemächlich beginnt Nemirovas Inszenierung in einem Bühnenbild (Jens Kilian) mit Halbkugel-Klapphintergrund, auf dem die damalige Welt in dünnen Strichen aufgezeichnet ist. Ines, die Tochter eines hochrangigen portugiesischen Adligen, träumt von ihrem Geliebten Vasco. Der wurde nach gescheiterter erster Expedition wegen Insubordination gefangen gesetzt. Und geliebt wird er noch von einer anderen, der Sklavin Selica. Vasco hat sie auf einem Sklavenmarkt gekauft als Beweis, dass es hinter dem Kap noch andere Länder geben müsse. Selica ist die indische Königin und sie verrät ihm, wie man sicher das Kap umsegeln könnte. Das Liebes-Hin-und-Her des Vasco zwischen den beiden Frauen ist der innere Kern im von Eugène Scribe hinterlassenen Libretto. Dieses stellt diesen privaten Konflikt langatmig in einen nach Grand-Opéra-Manier üblichen politischen Zusammenhang: die Eroberung Indiens durch die Portugiesen.

So wird denn auch in dieser Oper viel Staatstragendes zelebriert: zum einen bei den Portugiesen – der Halbrundhorizont klappt sich da nach hinten zu einer Tafel der Honoratioren inklusive Kirchenfürsten –, aber auch später bei den Indern, wenn durch einen Trick Neluscos, der Selica zu ihrem Schutz begleitet hat und sie auch liebt, die Portugiesen bei einer neuerlichen Expedition in Gefangenschaft der Inder geraten. Zurückgekehrt in ihr Reich, will Selica den innig geliebten Vasco vor der Ermordung retten, indem sie ihn heiratet. Aber Ines kommt wieder dazwischen. Und Selica entsagt Vasco schließlich, lässt ihn mit Ines nachhause ziehen. Sie hat akzeptiert, dass Vasco eigentlich nur immer im Sinn hatte, seinen Entdecker-Ruhm in der Heimat zu verkünden. An Selicas Liebe liegt ihm nicht. Sie geht in den Tod.

Nemirova gelingt es immerhin, die Dramatik langsam zu steigern. Aber die retardierenden Elemente des Librettos und der Komposition verhindern einen wirklich eindrücklichen Opernabend. Zumal der Schluss zerfasert ins Endlose. Meyerbeer war sich darüber aber offenbar selber unsicher. Und wenn man dann die Premiere am dritten von drei Opern-„Kloppern“ (mit Komischer Oper „Hoffmann“, Staatsoper „Meistersinger“ an zwei Halbtagen) erlebte, war das Zuschauen und Zuhören nur noch mühsam, zumal auch die Balletteinlagen arg schlicht gerieten.

Musikalisch geht Enrique Mazzola die Partitur eher kühl sezierend an. Ein bisschen fehlt der Aufführung das Brio. Das hat auch zu tun mit den Solisten, von denen eigentlich nur Martin Brück in der Rolle des Selica-Beschützers Nelusco voll überzeugen kann. Roberto Alagna als Vasco fehlt es ebenso wie Sophie Koch als Selica etwas an der notwendigen Gelenkigkeit der Stimme. Bei Nino Machaidze als Ines findet man die noch am ehesten. Dennoch am Ende viel Beifall für die Solisten und zumal auch die Massen-Chöre (William Spaulding), das Orchester. Für Nemirova und ihr Team (Kostüme: Marie-Thérèse Jossen, Choreografische Mitarbeit: Bharti Ramdhoni, Silke Sense) gab’s einige Buhs. Ein ganzer Meyerbeer-Zyklus ist an der Deutschen Oper geplant. Ob Meyerbeer damit wirklich in den Opernalltag von heute integriert werden kann, steht dahin. Unbearbeitet und für ein heutiges Zeitempfinden gekürzt sicher nicht.


Verlorene Zeit

Philipp Stölzl versucht sich an Gounods „Faust“

Premiere 19.Juni 2015, besuchte Vorstellung 30.06.15

Der Regisseur und Bühnenbildner Philipp Stölzl liebt offenbar Spielzeug. Mal hatte er ein Bühnenbild zum Auf- und Zuklappen entworfen, mal ein Spielfeld wie ein Schachbrett, mal Heiligenbildchen wie für Weihnachts-Krippen oder Kalvarienberge. Jetzt bei Gounods „Faust“ – alias „Faust et Marguérite“ – lässt er die Oper auf einer Art Karussell bzw. Skooter-Bahn spielen. Marguerite sitzt da zu Beginn im Frauengefängnis, dumpf vor sich hin brütend. Faust kommt als todesnaher Greis im elektrischen Rollstuhl mit eingebauter Kontroll-Technologie hereingefahren.

Mädels im Schulmädchenkostüm (Ursula Kudma) als stilisierte Skooter-Fahrerinnen kreisen auf der Drehbühne. Marguérite rollt auf Rollschuhen über die Bühne. Später dreht sich der Chor in Puppen-artigen Masken auf Elektro-Skootern im Karussell. Auch Marguérites Heim ist auf der Außenscheibe der Drehbühne situiert: in einem schmuddeligen Mini-Camper mitten im Tannenwald. Fausts Verwandlung vom Tattergreis, der schon eine Todesration Schlaftabletten schlucken wollte aber selbst dazu zu blöd war, zum frischen Jüngling in rosa Glitzerlook geschieht auf offener Bühne. Méphistophélès besorgt dann auch die Lockgeschenke für Marguerite und kümmert sich um Marguérites Vergewaltigung durch Faust, während er’s der dicken Marthe besorgt.

Eigentliche Vorgänge zu inszenieren und damit Spannung zu erzeugen, gelingt Stölzl auch hier nicht. Er will das vielleicht gar nicht, ist zu sehr in seinem filmischen Denken verstrickt und glaubt, ein paar technische Tricks machten Spannung genug.

Gesungen wird von den Männern meist auf forte-fortissimo-Level. Faust (Teodor Ilincăi) besinnt sich immerhin gelegentlich auch seiner lyrischen Fähigkeiten. Und auch die Marguérite von Krassimira Stoyanova kann durch sensiblere Tongebung beeindrucken. Marco Armiliato am Pult waltet höchst umsichtig seines Amts. Die Leistung des Orchesters unter seiner Leitung ist das Positivste der ganzen Produktion. Bei der Premiere soll es am Ende einen heftigen Widerstreit von Buhs und Bravos gegeben haben. Ich habe nur eine Repertoire-Vorstellung besuchen können. Da hielt sich der Applaus auch in Grenzen. Eigentlich war der Abend verlorene Zeit. Hohl wie die ganze Saison.


Alles schnell verpufft

Der Tenor Rolando Villazón inszeniert Puccinis „La Rondine“

08.März 2015

„La Rondine“, während des Ersten Weltkriegs entstanden, sollte auf Bitten der Wiener Auftraggeber eine Operette werden à la Lehár. Doch Giacomo Puccini dachte von Anfang an eher an eine Komische Oper mit einer Geschichte à la „traviata“. Uraufgeführt wurde die dann auch nur mit Verspätung und andernorts als geplant, 1917 in Monte Carlo – und bald vergessen. Zu Recht.

In „La Rondine“ (= die Schwalbe) ist es eine nicht mehr ganz junge Frau, die von einem Pariser Bankier ausgehalten wird und sich plötzlich in einen jungen Mann verliebt. Mit ihm will sie ein unschuldiges Landleben/-lieben beginnen. Funktioniert natürlich nicht. Zumal in Nizza. Und es endet mit einer Trennung, weil so eine Lebedame (oder Bordstein-Schwalbe?) doch nicht mit einem jungen Mann aus gutem Hause sich verheiraten dürfe.

An der Deutschen Oper Berlin hat man dafür als Regisseur – pardon, das ist eigentlich zu hoch gegriffen –, als Arrangeur den Lustikus unter den Tenören, Rolando Villazón erkoren. Der hat nun auch schon einige Mal an anderen Häusern sich entsprechend positioniert. Er hat sich zudem auch schon das Kinder-TV erobert. Und entsprechend lustig geht’s hier zu. Mit viel Getrippel und Getrappel.

Als sein quasi alter ego installiert Villazón den Poeten Prunier (Álvaro Zambrano), ein chaplinesker Clown im Stil der Zwanziger Jahre. Man gibt Empfänge im Haus des Bankiers vor einem Riesen-Aktgemälde und kleiner Freitreppe (Bühne: Johannes Leiacker). Und abends geht‘s dann in eine Art Glitzer-Maxim mit hübschen Frauen-Pos, Stepptanz und reichlich Champus. Den dritten Akt habe ich mir geschenkt. So viel Frohsinn hält man nicht lange aus.

Gesungen wird immerhin recht ordentlich, auch wenn die Sängerin der Hauptrolle krankheitshalber kurzfristig ersetzt werden musste. Aurella Florian singt die Paris-müde Magda, etwas herb aber mit feinem Timbre. Ein Gedicht ist Charles Castronovo als verhinderter Landflüchtiger Ruggero. Roberte Rizzi Brignoll im Graben kann das Orchester der Deutschen Oper zu spritzigem Spiel ermuntern. Und dann ist alles schnell verpufft. Nicht der Hauch einer Erinnerung, der von dem Abend bleibt.

So also denkt man sich im größten Opernhaus der Stadt wohl abzusetzen gegen die Konkurrenz der anderen beiden Häuser: mit einer Schwalbe, die bestimmt keinen Sommer macht. Aber Wind unter die Flügel wird sie bekommen - dank des Star-Muntermachers Villazón.


Ohne Gräten

Dmitrij Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“ bei den Fischen

25. Jan. 2015

Darauf hatte man sich schon lange gefreut, dass die Bühnenmaschinerie des größten Berliner Opernhauses, der Deutschen Oper, wieder voll funktionsfähig modernisiert sein würde. In Etappen war daran gearbeitet worden. Und nun, da sie fertig war, durfte man erwarten, dass sie mit einer Neu-Produktion eingeweiht würde, die die neuen Möglichkeiten des Hauses auch voll nutzen würde. Eingeladen hatte man stattdessen eine Einstudierung von Dmitrij Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“, die im Herbst in Oslo schon Premiere hatte – und eigentlich auch zugeschnitten war auf ein dortiges Publikum.

Ole Anders Tandberg hat sie eingerichtet. Um die historisch-sozialen Hintergründe der von Stalin einst verbotenen Oper, und was Schostakowitsch mit seiner angedachten Frauen-Trilogie wollte, schert er sich nicht. Er löst die Geschichte aus ihrem Umfeld. Die russische Kaufmannsfrau Katerina Ismailowa, die frustriert von dem stumpfsinnigen Leben mit dem Getreidehändler Sinowij und dessen autokratischem Vater erst diesen und dann mit Hilfe ihres Liebhabers Sergej auch noch den Ehemann tötet, ist hier die Ehefrau eines Fischhändlers. Statt Getreidesäcke wuchten die Arbeiter riesige Fische. Bei den diversen Vergewaltigungen und Kopulationen werden Fische als Wegweiser bemüht. Auch der notgeile Schwiegervater Katerinas läuft immer mit zwei Fischen in den Händen durchs Revier.

Das Anwesen der Ismailows ist ein karges Norwegerhaus auf einem Schären-Hügel. Auf der Rückseite ist es aufgeschnitten als Lagerplatz fürs Volk und die Fische (Bühne: Erlend Birkeland). Wenn das Moralgebäude der Ismailows sich auflöst, bleibt nur die Giebelfront übrig. Ganz abgetragen ist das Haus, wenn Katerina und Sonowij nach Entdeckung der Morde in die Zwangsarbeit geschickt werden. Ein Wächter im Pelz mit Schäferhund patrouilliert durch die Reihen der in Unterwäsche – wohl nicht Richtung Sibirien – wankenden Gefangen. Die Drehbühne ist mächtig in Aktion, leider nicht immer knarzfrei.

Aber das Regieteam hat sich auch noch einige Einlagen ausgedacht. Als Symbol für Katerinas Erinnerung an eine freundlichere Kindheit, darf eine Trompeterin in einer Art Karnevalskostüm immer wieder die Bühne queren. Wenn Schostakowitsch das Orchester etwa für die als Koitusmusik berühmten Zwischenspiele zu ohrenbetäubender Dröhnung hochschaukelt, marschiert eine ganze Banda dieser Blechbläserinnen lautstark auf die Bühne. Auch einige choreografische Extras mit den Arbeiterinnen und Arbeitern plus Fische in Chorusline sind eingebaut. Oder Polizisten in Unterhosen treten mit Bügelbrettern (statt Fischen) auf und bügeln ihre Hosen im Takt.

Immerhin bewundern darf man die orchestrale Pracht und Präzision, die GMD Donald Runnicles im Graben entfaltet. Von den Sängern sticht vor allem John Tomlinson als Katerinas Schwiegervater hervor. Mit seiner voluminösen Stimme zeichnet er eine Figur, die gleichsam das eherne Gesetz dieser Gesellschaft bildet, porös gleichwohl und mit doppeltem Boden. Etwas enttäuschend Evelyn Herlitzius. Dass sie stimmlich überdramatisiert, kennt man von ihr. Aber hier kann sie nicht einmal ihre darstellerischen Fähigkeiten entfalten unter einer hilflos schmalspurigen, grätenlosen Regie. Die ist noch am angenehmsten, wenn sie unauffällig die Figuren einfach auf die Bühne stellt oder legt. Das Publikum war’s gleichwohl zufrieden.


Schafswoll-Köpfe

Iannis Xenakis und seine „Oresteia“ als Spielzeit-Auftakt

09.Sept. 2014

Die Atriden-Geschichte im Schnelldurchlauf mit Agamemnon, Klytämnestra, Elektra, Orest. Dazu ein Männerchor von Schafen, ein Frauen- und ein Kinderchor. Auch Kassandra und als quasi reitend-rettender Bote die attische Schutzheilige Athene treten auf. Am Ende ist die Rachewirtschaft der Mykenischen Atriden im Kampf um Troja mit dem Sieg der Demokratie Athenischer Provenienz besiegelt.

Iannis Xenakis hat 1966 diese etwa einstündige „Oresteia“ geschrieben und später als Kontrapunkt zur Obristen-Diktatur (1967-74) und Erinnerung an die Ursprünge europäischer Staatsform merhfach überarbeitet. Dass es der Übergang von matriarchalen zu patriarchalen Strukturen war, erkennt man in diesem großformatigen Werk nicht. Darüber hatte man in den 1960iger Jahren allerdings noch kaum reflektiert.

Die Deutsche Oper hat diese Orestie als zeitgenössisches Spielzeit-Eröffnungs-Stück einem Regieteam um David Hermann übertragen. Wegen den noch bis in den Herbst währenden Renovierungs-Arbeiten an der Bühnenmaschinerie wich man aus in den Innenhof des Hauses auf dem Parkdeck. Die äußeren Störungen bei dieser Freiluftaufführung hielten sich in Grenzen, nur mal ein Polizei- oder Feuerwehr-Tatütata und der Singsang eines wohl Besoffenen drang nach innen.

Hermann und sein Ausstatter Christof Hetzer schöpften mit großer Besetzung und Ausstattung aus dem Vollen. Auf einer Freilichttreppe und bis ins Publikum hinein agierte der Chor von Schafen. Kassandra entblätterte sich aus einer riesigen Agave-Blüte bis zur Selbstmarterung und wurde mit goldenem Schaufelbagger abgekarrt. Klytämnestra entshwand mit Agamemnon durchs Mykenische Scheunentor. Elektra durfte auf der Treppe ihre riesengroße Axt schwingen und dem Bruder Orest zum mörderischen Amt überreichen.

Frauen ganz in weiß sangen nach vollbrachter Tat aus den Fenstern. Und dann kann das einfache Volk an den Zaun gestürmt, um an selbigem zu rütteln und die alte Herrschaft zu beenden. Pallas Athene rollte von hinten im dicken Mercedes stehend und durchs offene Dach grüßend herein, in türkisfarbenem Kostüm und mit hellen Haaren à la Merkel in Hape-Kerkeling-Variante. Mädchen in weißen Ganzkörper-Anzügen und mit silbrigen Fähnchen forderten nachdrücklich das Ende aller Feindseligkeiten – das Pallas Athene dann auch freudestrahlend verkündete.

Das kleine Orchester unter Moritz Gnann spielte oben auf der Rampe. Viele Beschwörungen zumal der Kassandra waren allerdings nur von dumpfen Trommelwirbeln begleitet. Seth Carico als Counter-Kassandra hinterließ beim Publikum den stärksten Eindruck, aber auch Michael Hofmeister als Transgender-Athene heimste sich einigen Applaus ein. Die Atriden mit ihren schwarzen aufgequollenen Schafswoll-Köpfen waren blind und stumm geschaltet, Rollen aus der Vergangenheit. Beachtliches zu leisten hatte der altgriechische Laute artikulierende Männerchor. Die übertitelte deutsche Übersetzung war leider nicht auf allen Plätzen zu entziffern.

Anfangs lief das doch etwas zäh. Und der Regisseur ist ja auch nicht gerade für filigrane Personenführung bekannt. Am Ende war es dann doch zumindest etwas spannender und auch durchaus amüsant. Viel Beifall.


Was fürs Bolschoi

Benjamin Britten: Billy Budd

Premiere: 22.Mai 2014

Früher gingen Inszenierungen aus Berlin nach London, von der Deutschen wie der Komischen Oper. Heute ist es umgekehrt. Man importiert. An der Deutschen Oper besonders gern. Diesmal Benjamin Brittens „Billy Budd“, den Donald Runnicles schon an der ENO (English National Opera) mit David Alden herausgebracht hatte. Es ist eine musikalisch ordentliche Arbeit, auch wenn Zwischentöne in diesem Forte-Fortissimo fehlten.

Die Geschichte Herman Melvilles über den sozusagen reinen Toren Billy, den es, Findelkind, auf ein englisches Kriegsschiff vor der Küste Frankreichs im Jahre 1797 verschlug, ist das Schicksal eines sehr schönen jungen Mannes, der die erotische Begierde des Waffenmeisters John Claggart erregt. Selbige darf der Finsterling sich natürlich nicht eingestehen. Mit allerlei Tricks versucht er Billy aus dem Weg zu schaffen und zu kompromittieren. Als Billy damit konfrontiert wird, bringt er – ein Stotterer – kein Wort der Verteidigung heraus. Stattdessen zieht er dem Waffenkammer-Offizier eins über den Schädel, wobei der tot umfällt. Nach den strengen Kriegsschiffgesetzen muss Billy hingerichtet werden. Fast kommt es nun tatsächlich zur Meuterei auf dem Schiff, weil alle Billy lieben und verehren. Sogar der Kapitän Edward Fairfax Vere stimmt dem Urteil nur widerwillig zu. Auch er hat den jungen Mann ins Herz geschlossen.

Gesungen wird recht gut. Zumal der Kapitän von Burkhard Ulrich kann mit auch gelegentlichen Zwischentönen beeindrucken. John Chest als Billy Budd hat wunderbares Material, das er sich aber noch besser wird einteilen müssen. Gidon Saks ist ein runder Bass mit Stentor-Qualitäten. Nicht zu vergessen der von William Spaulding einstudierte Chor, samt dem flitzigen Kinderchor. Das Zepter bei der Inszenierung allerdings führt die englische Choreografin Maxine Braham. Exakt im Takt müssen alle diese zig Männer plus Kinder auf der Bühne (es gibt keine Frau) ihre gezirkelten Exerzitien mit Gewehrrichten, Knüppelschwingen, Auf- und Abmarschieren, Bedienen usw. vollführen. Es ist wie bei einer großen Show. Als Bühnenbild (Paul Steinberg) dient die Innenwandung eines Schiffs. Die Militärkostüme (Constance Hoffman) sind der neueren Zeit entlehnt mit Ledermänteln, Overalls und anderen Uniformen – und es wirkt auch alles leider etwas einerlei. Im zweiten Akt mit Längen.

Im Programmheft fragt sich Regisseur Alden, warum Britten wohl diesen Stoff gewählt hat? Natürlich sind es, wie auch bei „Peter Grimes“, die persönlichen Gründe seiner Homosexualität. Der Waffenmeister liefert dadurch, dass er sich seine eigene Homosexualität nicht eingesteht, einen jungen Mann, den er gern haben möchte, ans Messer – und kommt dabei gleich selber mit um. Es ist eine Anklage gegen eine gesellschaftliche Indolenz, wie sie in den 1950iger Jahren noch fast überall in Europa gesetzlich verankert war. Und ihre Bestrafung zugleich. Man sollte diese Aufführung ans Bolschoi-Theater exportieren. Dort würde sie sicher Furore machen.


Mummenschanz

Gaetano Donizetti: Der LiebestranPremiere: 30.April 2014, besucht: 2. Vorstellung, 25.April 2014

Gewiss – Inszenierungen dieser etwas patschigen „Liebestrank“-Klamotte sind heute kein Vergnügen. Die von Irina Brook war ein Graus. Plumper Slapstick und ausgestelltes Unvermögen einer fahrenden Truppe. Sänger, die tanzen müssen, und es nicht können. Militärs, die die strammen Doofen mimen dürfen.

Statt Vorgängen: ein ständiges Kleiderwechselspiel der Hauptfigur Adina (Heidi Stober) vom Kleiderständer. Immerhin ist sie die einzige, die mit quirligem Sopran der Figur eine Facon gibt. Der Nemorino von Dimitri Pittas – freundlich gesprochen – eine Enttäuschung. Und im Graben von Roberto Rizzi Brignoli Routine. Die Bühne von Noëlle Ginefri bloßer Naturalismus mit Zirkuswagen des „Teatro Adina“ und einem Teppich à la Peter Brook. Die Kostüme von Sylvie Martin-Hyszka der reinste Mummenschanz.

Warum bringt man heute so etwas in dem Haus, das mal das erste am Platz war, auf die Bühne?


Spielplan-Pressekonferenz für 2014/15

07.03.2014

Die Deutsche Oper bleibt auch weiterhin hinter den Erwartungen an Innovation zurück. Vier Premieren auf der großen Bühne werden angekündigt. Wegen den Abschlussarbeiten an der Obermaschinerie (beginnend ab Juni) kann die große Bühne erst ab Ende November wieder bespielt werden. Die erste Premiere am 25.1.15 "Lady Macbeth von Mzensk" ist eine Koproduktion mit Oslo, am Pult GMD Runnicles. Die zweite Premiere Puccinis "La Rondine" soll der als Regisseur bislang kaum glücklich hervorgetretene wunderbare Tenor Rolando Villazón in Szene setzen. Aber es macht natürlich PR. Die dritte Premiere bringt eine zwar von Donald Runnicles mit Sascha Waltz einst für die DOB geplante aber dann andernorts produzierte "Romeo et Juliette" (Berlioz) ins Haus. Und viertens ist wiedermal Philip Stölzl ante portas; diesmal soll er einen schon mal in Basel versuchten Gounod-"Faust" neu aufbereiten. Dazu gibt's noch einige kleine Produktionen in der Werkstatt (pop-affin fürs jüngere und an anderen Orten. Darunter immerhin als Opening eine "Oresteia" von Iannis Xenakis. Aber wirklich aufregend ist das leider alles nicht.


Motion und "Emotion

Christian Spuck inszeniert / choreografiert Berlioz' „Fausts Verdammnis“

23.02.2014

Faust (sitzend) und Mephisto (stehend)Es war ein Erfolg wie lange nicht mehr an dem Haus. In seiner vierten Opern-Regie hat Christian Spuck, früherer Stuttgarter Haus-Choreograph und jetziger Züricher Ballettchef, Hector Berlioz‘ Dramatische Legende „Fausts Verdammnis“ einstudiert. Eine streng choreographierte Bilderfolge bekommt man an Berlins Deutscher Oper zu sehen. Als Seelenverwandte zeigt Spuck Faust und seinen Taktgeber für die Welt der Lüste, Méphistophélès. Die Bühne von Emma Ryott ist eine schräg gestellte graue Scheibe. Schon im Vorspiel lässt Spuck zwei Tänzer dort aneinander sich abarbeiten. Faust sitzt grübelnd an einem kleinen Tischchen. Und mit einem ähnlichen Bild endet der Abend auch. Da freilich hat Mephisto Fausts Platz übernommen. Als lichtbringender Luzifer lässt er kurz sein Feuer aufleuchten, während der links und rechts der Bühnenscheibe postierte Frauenchor Gesänge intoniert zu Marguerites Verklärung – was Mephisto mit einem höhnischen Lachen quittiert.

Vier weitere Tänzerpaare fügt Spuck ein in seine auch den Chor in die Bewegungssprache einbindende Choreographie. Schon im ersten Ungarn-Bild weisen sie Faust handfest den Weg ins Vergnügen. Auerbachs Keller ist auf der Rückseite der Bühnenscheibe situiert als eine Art Unterstand. Dicht gedrängt treiben die da Männer ihre Fecht- und Saufspiele. Das Städtchen von Marguerite Zuhause wird imaginiert durch kleine von innen illuminierte Fachwerk-Häuschen, die auf der Bühne aufgestellt werden. Marguerites Zimmer ist wieder auf der Rückseite als perspektivischer grauer Prospekt vorgestellt. Den Tanz der Irrlichter markieren weiß verschleierte Frauen. Die wegen Marguerites angeblicher Unsittlichkeit sich zusammen rottende Nachbarschaft füllt bunt gemischt die gesamte Bühnenscheibe. Die Pferde, die Faust und Marguerite retten sollen, kommen als Videoprojektion angeritten. Zu Skeletten mutierend geht’s dann ab in die Hölle.

Emma Ryott, die auch die Kostüme entwarf, durfte aus dem Vollen schöpfen. Die Frauen tragen meist schwarze weite Oberkleider mit farblich wechselnden Unterkleidern. Bei den Männern wechseln Soldaten-, mit Burschenschafter-Kluft und langen, manchmal paillettenbesetzten Mänteln. Etwas störend auf Dauer bei der großen auf der Drehbühne montierten Scheibe, dass Auftritte meist durch Luken organisiert werden müssen oder am Scheibenrand. Auch einige Zeichen werden überstrapaziert, wie die immer wieder bemühten Flämmchen. Ansonsten kann man von Lichtdesign allerdings kaum sprechen. Meist dämmrig grau beleuchtet ist die Bühne. Die Raumtiefe, die Spuck mit seiner Choreographie gewinnt, wird so wieder verflacht.

Wesentlich zum Gelingen der Aufführung trägt GMD Donald Runnicles am Pult bei. Er hat hier schon Berlioz‘ „Trojaner“ dirigiert. Aber im Unterschied zu der ziemlich knalligen Tongebung dort, übt er sich hier in einem sehr viel differenzierteren Klang. Das Orchester sitzt bis hoch zu den Seitenstegen der Bühne mit vier Harfen und vierfachem Holz. Den Faust singt Klaus Florian Vogt. Überzeugen kann er vor allem in den leisen, innigen Tönen. Im Forte klingt seine Stimme etwas forciert. Als einziger muss er am Ende auch Buhs einstecken. Ein stämmiger Mephisto im Gehrock ist Samuel Youn. Clémentine Margaine gibt der Marguerite eine weiche, silbrige Note.

Ohne Pause lässt Spuck Berlioz‘ Faust-Szenen spielen. Und auch wenn seine Choreographie manchmal etwas ins Leere zu laufen droht als Bewegung pur, zeigt die Resonanz beim Publikum doch, dass es derart aus der Motion entwickelte Arbeiten zu schätzen weiß, höher als solche mit mehr oder weniger aufgesetzt wirkenden Aktualisierungen.

Foto: Bettina Stoess

Klischees über Klischees

Christof Loy enttäuscht mit „Falstaff“

17. Nov. 2013

Die Musik des späten Verdi wird in dieser Aufführung recht plastisch geboten. GMD Donald Runnicles erweist sich hier – viel mehr als bei Wagner – als klug disponierender Klangregisseur. Auch sängerisch ist das zumal mit dem noch jungen Noel Bouley als warm intonierender Falstaff (als Einspringer für Markus Brück) und der ebenfalls sehr jungen Elena Tsallagova als liebeshungriger Nanetta vor allem hörenswert.

FalstaffSzenisch ist die Aufführung eine einzige Enttäuschung. Christof Loy geht aus von der Entstehungszeit der Oper und Verdis Sinnieren übers Alt- und Gebrechlich-Werden – was ihn dann auch zur Gründung seines Mailänder Sänger-Seniorenheims veranlasste. Die Tantiemen aus der „Falstaff“-Komposition ließ Verdi dies Unternehmen fließen.

Den Plot sah man allerdings so ähnlich erst bei Dustin Hoffmann im Film und dann bei dem reichlich oberflächlichen Damiano Michieletto dies Jahr Salzburg. So türmen sich in dieser Aufführung Klischees auf Klischees. Beginnend mit einem Slapstick-Filmchen, in dem der Falstaff-Sänger am Klavier eine Arie zum Besten gibt (und wenn schon in der Fassung des ursprünglichen Falstaff-Sängers).

Von da geht’s direkt in die erste Szene. Die von Loy insinuierte Brecht-Gardine wird im Bühnenbild von Johannes Leiacker mit einem in zwei Hälften geteilten Bühnenraum – oben weiß, darunter rotsamtener Vorhang – angedeutet. Fahrbare Betten, Bücherregale, auf Krückstöcken kriechende Alte, die dann plötzlich ihre Altenfummel abwerfen und das Opernpersonal mimen.

Es ist alles ziemlich langweilig und auch noch das „Dinner for One“ bekommt man als Reminiszenz serviert. Das Publikum hatte weniger Bedenken, in der Pause allerdings schon einige Abgänge, am Ende freundlicher Beifall. Meine Meinung zu „Falstaff“ ist zwar – man kann das Werk kaum angemessen inszenieren. Gleichwohl die Frage bleibt: wann geht’s endlich mal los an der Bismarckstraße?

Foto: H.J.Michel

 

Anbetung einer Vervielfältigungs-Maschine

Keith Warner und Andrea Battistoni mit Verdis „Nabucco“

08.09.2013

Ein alter Mann mit wackligen Beinen und grauem Rauschebart schiebt das riesige rotbraune Bühnentor auf. Es sollen wohl die Zinnen der Stadt Jerusalem sein, die von dem Assyrer-König Nebukadnezar belagert wird. Drinnen sitzen die Männer vor einem ebenfalls riesigen braunen Holzquader und beten wie an der Klagemauer. Links daneben die Frauen in grauen bodenlangen Kleidern, die ein Buch in die Höhe recken und sich um eine jüngere Frau in einem hellen Kleid drängen. Dann hebt sich der Holzquader und darunter erscheint – hoch aufgebockt – eine Maschine, die eher wie eine Waschtrommel aussieht. Aber es soll eine Druckmaschine sein, aus der die Leute dann eine meterlange Banderole ziehen und sie am Bühnenportal ausbreiten. Die Aufschrift in hebräischen Zeichen kündet vom Widerstand gegen den anstürmenden Feind und Hoffen auf den eigenen Gottes.

Der Regisseur dieser Berliner Neuinszenierung von Verdis „Nabucco“, Keith Warner und sein Team Tilo Steffens, Bühne, Julia Müer, Kostüme), haben‘s gern etwas pompös. Die Menschenmassen des Chores wogen hin und her, ohne doch eigentlich was zu erzählen. Wenn der Assyrer-König die Stadt erobert hat, wird auch noch ein Silo-artiger, innen goldglänzender Turm hereingeschoben, über dessen Wendeltreppe Nebukadnezar mit goldener Gesichtsmaske herabschreitet. Ähnlich „al fresco“ auch die in dieser Verdi-Oper sparsamen solistischen Szenen. Die Nebukadnezar-Tochter Abigaille rutscht vor dem Hebräer-Prinzen Ismaele permanent auf den Knien, wenn sie seine Liebe erfleht. Da weiß sie allerdings noch nicht, dass sie eigentlich nur die Tochter einer Sklavin ist – und Ismaele liebt die erbberechtigte Nebukadnezar-Tochter Fenena, die von den Juden gefangen gehalten wird.

Die biblische Geschichte von der wundersamen Bekehrung des Assyrer-Königs, der dann in geistiger Umnachtung erst sich selbst zum Gott anstelle Baals erhebt und schließlich zum Gott der Juden konvertiert, ist auch bei Verdi reichlich verwirrend – und in dieser Neuinszenierung an Berlins Deutscher Oper nicht eben plausibler. Eindrucksvoll gezeichnet aber das Auf und Ab Abigailles in dem Machtgefüge. Als sie über Nabucco sich zur Herrscherin erhebt, lässt sie die Untertanen rückwärts vor sich her krabbeln. Als sie ihre Niederlage einsieht und Gift nimmt, schreitet sie vor die Tore der Stadt und wird von dem grauhaarigen Männlein, das wohl sowas wie Gott sein soll, ausgeschlossen. Ende.

Das musikalische Pfund dieser „Nabucco“-Inszenierung sind die von William Spaulding einstudierten Chöre. Machtvoll und wie in dem berühmten „Va, pensiero“ auch sensibel singen sie unter der intensiven Gesamtleitung des jungen Andrea Battistoni. Mit imposantem Volumen, wenn auch etwas zu starkem Vibrato, kann die Abigaille von Anna Smirnova beeindrucken. Die übrigen Solisten stehen da doch etwas zurück. Zumal Johan Reuter als Nabucco findet erst langsam zur Form.

Das Publikum zeigte sich begeistert und spendete Ovationen. Den letzten „Nabucco“, den es an dem Haus gab, hatte Hans Neuenfels inszeniert. Und da toste es im Haus 180° in die entgegengesetzte Richtung. Aber auch wenn das, wie im Programmheft eingefordert, keine „Nabucco-Musterinszenierung“ war – spannender war die allemal, und man durfte nicht nur eine Druckmaschine als quasi Allerheiligstes anbeten wie hier. Man war gebeten mitzudenken. Hier muss man sich nur in die Musik versenken.


Luftnummer

Spielzeit-Eröffnung (2013/14) mit Kagels „Himmelsmechanik“ u.a.

22.08.2013

Modern first. Das soll ein Versprechen der neuen Leitung des Hauses sein. Hatte man in der vergangenen Spielzeit mit Lachenmann – immerhin der sonst kaum gespielten Oper „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ – begonnen, so prangte diesmal Mauricio Kagel auf dem Plakat, die ebenfalls kaum gespielte, fast vergessene „Himmelsmechanik“, ein hintergründiger Spaß des vor einigen Jahren verstorbenen aus Argentinien ins damalige Moderne-Mekka Köln eingewanderten De-Komponisten.

Indes Kagel und seine Aufspaltung der Wettermaschinerie erwiesen sich als bloßer Blickfang für eine ziemlich hohle Installation eines Berliner Künstlerkollektivs namens „phase7“. Begann man das „Wandelkonzert“ im obersten Foyer mit Kagel, ging’s nach einigen Minuten eine Etage tiefer, wo auf gläsernen Wänden Lichtpulse projiziert waren. Ein Nachrichtensprecher wurde in einer Sänfte umher getragen, der Wort-Würfel übers Wetter durcheinander schüttelte. Dazu erklang Elektronisches aus Lautsprechern und Live-Gesang. Abschluss dann in einer Art Labor, wobei man weiße Kittel angezogen bekam.

Aber was es bringen sollte – ein netter Gag. Sonst wie viele derartige son-et-lumière-Unternehmungen. Hübsch anzusehen, aber doch die Sinne kaum berührend. Und irgendwie fühlte man sich auch verschaukelt ob der hochtrabenden Erörterungen der Künstlergruppe „phase7“ um den Regisseur Sven Sören Beyer mit Librettistin Christiane Neudecker und dem Komponisten Christian Steinhäuser im Programmheft. Eine Luftnummer, par excellence.


Im Maschinen-Flitter

Leicht verunglückter Beitrag zum Verdi-Jahr: „Rigoletto“

21.04.2013

Musikalisch war dieser „Rigoletto“ gewiss ein Höhepunkt der Saison. Der junge, aus Andalusien stammende Pablo Heras-Casado, aufgewachsen mit Vokalmusik der Renaissance und inzwischen ebenso geschätzt als Interpret zeitgenössischer Musik, dirigierte diese Verdi-Partitur, wie man sie sich nur wünschen kann. Zumal im ersten Teil hat das Spannung und Feuer. Schon der instrumentale „Prologo“ im hochgefahrenen Graben überzeugt mit fein abgestimmter Dynamik, präzisen Akzentuierungen, hingetupften Farben, fliessenden Tempi. Federnd begleitet Heras-Casado die Sänger, animiert die Chöre zu verblüffender Energie. Und mit der ganz kurzfristig als Cover eingeflogenen russischen Sopranistin Olesya Golovneva hatte er eine Gilda auf der Bühne, die den musikalischen Glanz dieser Aufführung mit ihrem sowohl kraftvollen wie leichten Sopran noch überstrahlte. Die eigentlich für die Partie studierte Lucy Crowe musste am Premierenmorgen wegen Stimmproblemen absagen, konnte die Rolle nur mimen.

Narr als Hase: RigolettoGleichwohl waren die szenischen Anforderungen schmal. Jan Bosse, als Opernregisseur wenig erfahren und bisher nur in Basel mit zwei Barockproduktionen hervorgetreten, hat sich von Stéphane Laimé die Bühne so zubauen lassen, dass szenische Aktionen marginal sind. Im ersten Akt sieht man auf der Bühne ein Spiegelbild des Parketts der Deutschen Oper plus Rang. Aha, wir sind gemeint: Der Chor als vergnügungssüchtiges Publikum hockt da, darf zur Show immer mal mit dem Oberkörper wippen. Hofnarr Rigoletto kommt als Lametta-glitzernder Monster-Hase hereingetänzelt, drängt sich durch die Reihen. Der Herzog, eine Art Country-Popstar in buntem Hemd und Jeans, schmettert seine Arien selbstverliebt auf dem Souffleurkasten. Eric Fennell – ebenfalls Einspringer, wenn auch nicht ganz so kurzfristig – kann allerdings nur mit einer eher schmalen, gleichwohl agilen Stimme aufwarten.

Im zweiten Akt wird dann eines der Rang-Elemente verschoben, und ein enges gitterartiges Gestänge als Gildas Gefängnis fährt hoch. Ein bisschen erinnern soll das an Natascha Kampusch. Aber sehr weit trägt der Vergleich nicht, zumal Gilda sich ja wirklich in den Herzog verliebt. Für das Schlussbild werden die Rangteile der Bühne aufgespalten und ganz nach hinten geschoben, der Bühnenwagen mit den Parkettsitzen wird auf die Rückseite gedreht. Das ist dann Maddalenas Rotlicht-Kneipe. Wenn Gilda ermordet wird, versinkt dieser Wagen mit in den Bühnenboden. Aller Flitterkram, den Kostümbildnerin Kathrin Plath den Männern in Form von Röcken umgehängt hat, ist endlich im Orkus. Vater Rigoletto (würdevoll Andrzej Dobber) verabschiedet sich in Pietà-Pose von der Sterbenden auf einer leeren Bühne.

Gildas GefängnisIm Programmheft kann man einige kluge Interview-Sätze Bosses lesen, etwa warum er die Aufseherin Gildas im Hause Rigolettos, Giovanna, und Maddalena von derselben Sängerin darstellen lässt (Clémentine Margaine). Aber es bleibt Papier. Das Berliner Publikum, das die erst umstrittene aber dann jahrzehntelang umjubelte Neuenfels-Inszenierung im Kopf hat, konnte mit solch armseligem Maschinen-Ausstattungs-Theater wenig anfangen, buhte das Inszenierungsteam kräftig aus. Dabei hat das Haus unter der neuen Leitung von Dietmar Schwarz an Publikumszuspruch einiges gewonnen. Knapp achtzig Prozent Auslastung meldet die Statistik für die Hauptbühne bei allerdings nur etwas über hundert Vorstellungen bislang in der verkürzten Saison. Die ambitionierteste Produktion, Helmut Lachenmanns „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ zum Saison-Auftakt, war bei stark reduziertem Platzangebot ausverkauft. Die neu eingerichtete kleine Studiobühne, vor allem für Experimentelles und Kinder- und Jugendtheater genutzt, kommt bei 25 Vorstellungen auf über neunzig Prozent.

Was die Bühnenästhetik anlangt, ist das Haus noch nicht auf dem Niveau, das man erwarten darf. Christoph Stölzl lieferte im „Parsifal“ mit einem „ethnologischen Blick“ auf die Religionen eher Kitschpostkarten für ein monumentales Oberammergau. Robert Carsen verwandelte Prokofjews „Liebe zu den drei Orangen“ in eine quietschbunte, leicht klamaukige Berlin-Persiflage. Eine „Mahlermania“ genannte Produktion zur Einweihung der neuen kleinen Spielstätte auf der Rückseite des Gebäudes zeigte allzu laienhaftes Off-Theater mit ein paar technischen Gags; immerhin der von Stephan Braunfels umgestaltete Raum klingt gut. Die kommende Spielzeit verspricht mit Regie-Namen wie Keith Warner, Christof Loy, Christian Spuck, Irina Brook auch eine nur verhaltene Mischung, unterfüttert mit Poppigem auf der Studiobühne. Immerhin will man zum Auftakt in den Foyers des Vorderhauses Mauricio Kagels surreale „Himmelsmechanik“ von 1965, eine szenische Komposition verquerer Wetterphänomene, als „crossmediale“ Performance einrichten.

Zwar leidet das Haus noch unter der teilweisen Sperrung der grossen Bühne wegen Sanierungsarbeiten. Und gewiss ist es schwierig, eine eigene Linie zu finden im Konzert der drei Berliner Musikbühnen. Aber dürres Konzepttheater braucht’s nicht noch mehr, das gibt’s schon genug.

Fotos: Bettina Stoess

Bissel absurd – bissel brav

Donald Runnicles und David Alden mit Benjamin Brittens „Peter Grimes“

25.01.2013

Es war der Wunsch des GMD. Donald Runnicles ließ die „Peter Grimes“-Produktion der English National Opera London einladen. Es ist halt neben Wagner- und Verdi- auch Britten-Jahr (100.Geburtstag). Runnicles selbst dirigierte. Etwas grob klang das bisweilen. Aber die berühmten Seebilder träufelten ganz sanft ins Ohr.

Die Inszenierung von David Alden geht die bei diesem US-Regisseur bekannten Wege: ein bissel absurd mit zwei zickenden jungen Frauen in wechselnden Kostümen (Brigitte Reiffenstuel), ein bissel brav. Der Chor darf diverse choreografische Einlagen geben wie Hände hoch schwingen oder in das einer blechernen Fischhalle ähnelnde Bühnenbild von hinten herein spülen – wie das Meer.

Überhaupt die Bühne (Paul Steinberg). Einige Großvatersessel im zweiten Bild. Und viele Tische, die zu vielerlei Zwecken herumgetragen und aufgestellt werden. Aber besonders spannend ist das alles nicht. Eine gute Figur machte der Sänger der Titelfigur, Christopher Ventris, darstellerisch wie stimmlich. Eigentlich gab er allein der Aufführung Gesicht und Kraft.

Dann doch bissel wenig.


Die Polizei ist immer dabei

Robert Carsen mit Prokofjew/Meyerholds „Liebe zu den drei Orangen“

09.Dez. 2012

Laut geht’s hier zu, krachend laut. Gleich zu Beginn stürmen sie durchs Parkett auf die Bühne: Die einen fordern Tragödie, die anderen Komödie, dritte was Lyrisches. Oder einfach Spektakel. Auch die Kunst-Polizei ist mit von der Partie, lümmelt anschließend in der ersten Parkettreihe mit MG im Anschlag als Spaßguerilla und greift auch immer wieder ein.

Ein Theaterstück über Theater sollte nach den Vorstellungen des russischen Theater-Erneuerers Wsewolod Meyerhold diese „Liebe zu den drei Orangen“ nach Carlo Gozzis Komödienentwurf „L‘amore delle tre melarance“ sein. Theater nicht mehr als illusionistische Imitation des Lebens sondern eines, das nach eigenen künstlichen Gesetzen funktioniert und diese Künstlichkeit auch ausstellt.

In der Inszenierung der von Sergej Prokowjew nach Meyerhold (1919-21 in Chicago) komponierten Oper in Berlin sitzt der König, der seinen gemütskranken Sohn geheilt wissen will, vor einer Brecht-Gardine mit dem in Sütterlin schwarz geschriebenen Titel „Dreigroschenoper“ und rot darüber dem französischen 3Orangen-Stück-Titel. Brecht betrachtete sein Theater bekanntlich als Kind des russischen Theater-Oktobers.

Die Theatermacher inklusive Dramaturgie der Berliner „Drei Orangen“-Produktion an der Deutschen Oper nehmen allerdings die Brecht-Meyerholdschen Vorgaben nicht besonders ernst, blicken mehr auf den eigenen Bauchnabel als in die Welt der Abstraktion, die da mal gemeint war.

So geht’s in dieser Produktion unter Leitung des Regisseurs Robert Carsen (Bühne: Paul Steinberg, Kostüme: Buki Shiff) doch recht krass über Stock und Stein. Der Spaßmacher Truffaldino (Burkhard Ulrich), den der König (Albert Pesendorfer) engagieren lässt, um den Prinzen zu erheitern, rauscht im Spielmobil über Bühne und Bildschirm mittenmang ins mit Arznei-Kapseln tapezierte Krankenzimmer des Prinzen.

Auch beim Ausflug in einen Puff regt sich beim Prinzen nichts trotz Damen-Akrobatik. Nicht mal die feine Gesellschaft, die auf dem roten Teppich versammelt wird, um der Eröffnung der Berlinale im „Zoo-Palast“ und 3D-Versionen von Chaplins großem Diktator beizuwohnen oder stummen Interviews mit dem Berlinale-Chef Dieter Koslick zu lauschen, kann den Prinzen erheitern. Nur das Vorbeischlurfen einer Plastiktüten-bepackten Alten löst bei ihm einen Lachkrampf aus.

Doch die Alte ist die böse Fee Fata Morgana (Heidi Melton), des Prinzen Feindin. Sie verflucht ihn, die drei Orangen in der Wüste zu suchen, die allerdings erst mal der Köchin (Tobias Kehrer), die gerade auf dem Klo sitzt, entrissen werden müssen. Und wenn man die Orangen öffnet, entsteigen ihnen durstige Prinzessinnen – wobei die Theatermacher sich nun wirklich einen dicken Scherz erlaubt haben.

Als die drei Orangen werden die drei Berliner Opernhäuser dargestellt, die weniger nach Wasser als nach Geld dürsten, was der mit Hojotoho der Deutschen Orange entsteigenden Prinzessin Ninetta (Heidi Stober), auch übergekübelt wird. Triumph!

Im Abspann leuchtet dann noch das Signet des „berliner ensemble[s]“ auf. Aber ob ein Brecht mit solchen Kruditäten sich hätte anfreunden können? Das Opernpublikum allerdings war’s zufrieden, klatschte heftig Beifall. Und immerhin musikalisch geht es unter Steven Sloane zackig zur Sache.

Recht zu sich gekommen scheint das Haus an der Bismarckstraße allerdings noch nicht. Nach dem nur musikalisch bemerkenswerten Auftakt mit Lachenmanns „Mädchen mit dem Schwefelhölzchen“, einem im Religions-Kitsch vergeigten „Parsifal“ und der Einweihung der neuen Kleinen Bühne mit einer dilettantischen Off-Truppe nun diese klamaukige „Liebe zu den drei Orangen“.

Wo geht’s denn nun zur Theater-Kunst?


Off-Mania

Die Deutsche Oper weiht ihre kleine Spielstätte ein mit „Mahlermania“

27.11.12 (besucht: zweite Aufführung: 5.12.12)

Der Raum klingt gut. Und als Aufführungsort ist die ehemalige Tischlerei – jetzt mit eigenem Eingang und Foyer – ein guter Ersatz für die kleine Bühne, wie sie schon seit Götz Friedrichs Zeiten immer wieder in den Plänen der Intendanten bzw. Generalintendanten der Deutschen Oper schwirrte.

Aber hätte man sie doch auch mit einer Aufführung eingeweiht, die den Aufwand wert gewesen wäre! Die Truppe, die sich Intendant Dietrich Schwarz und sein neuer Chefdramaturg Jörg Königsdorf da eingeladen haben, kann zwar dank gekonnter PR schon etliche Auftritte bei Off-Bühnen und -Festivals vorweisen, Dringliches zu sagen hat sie nicht. Nicola Hümpel und ihre sogenannten Navigators segeln auf der früher mal vielversprechenden Welle des unangepassten, sympathisch unprofessionellen Mitmach-Theaters, wo Sich-selbst-erfahren, -ausdrücken, -einbringen schon als halbe Miete galt. Heute ist das nur noch abgestanden und langweilig.

„Mahlermania“ heißt das Opus. Rechts auf der Bühne sitzt in einem dünnmaschigen Zylinder ein Kammerorchester (Ltg. Moritz Gnann). Sie spielen Ausschnitte aus Mahler-Symphonien, begleiten Lieder – durchaus auch unbekannte wie einige über das Militär. Als Sänger treten auf Simon Pauly und Katarina Bradic, stimmgewaltig und nuanciert, aber szenisch allein gelassen. Dazu gibt es eine Tänzerin und zwei Tänzer, die den Leerlauf mit allerlei Aktionen überbrücken sollen bzw. vertiefen. Mit einer von verschiedenen Darstellern gehandhabten Kamera mit WLAN-Anschluss werden Fotos geschossen, die nach wenigen Sekunden auf einer Leinwand an der Stirnseite projiziert werden – die einzige bemerkenswerte Novität. Video-Projektionen gibt’s obendrein auch hier.

Zu Beginn tritt eine auf ältlich gemachte Dame mit Fuchsschwanz-Pelzhütchen auf, die wohl als Alma-Alias gemeint ist. Sie rattert einen Text herunter, fungiert gelegentlich als Moderatorin. Am Ende der Party gießt sie sich Wasser in den Ausschnitt mit einem Sektglas, in das sie zuvor auf verquere Weise Sekt einzugießen versuchte. „Arte“, eigentlich bekannt als Kultursender, hat das Ganze mit 6 (!) Kameras bei der zweiten Vorstellung aufnehmen lassen. Die TV-Zuschauer werden begeistert sein. Die Hoffnung, mit solchen Produktionen lasse sich ein junges Publikum für die Oper begeistern, dürfte sich allerdings kaum erfüllen. Schon in dieser zweiten Aufführung waren die Jüngeren in der absoluten Minderzahl. Dilettantismus zu bewundern gibt’s auch billiger anderswo.


Wo geht’s hier zur Erlösung?

Der neue „Parsifal“ mit Donald Runnicles und Philipp Stölzl

21.Okt. 2012

„Parsifal“ als eine Mischung aus Oberammergau und „Im Zeichen der Rose“ – hat uns das noch gefehlt? Zum Vorspiel lässt Regisseur Philipp Stölzl Golgatha nachspielen: Jesus hängt am Kreuz, der Stich des römischen Soldaten mit der Lanze in seine Seite, Jünger Johannes hält einen Kelch an die Wunde und fängt darin „Blut und Wasser“ auf, aufbereitet später zum Gral. Jesu Anhänger nehmen den Leichnam ab, lassen sich von dem Soldaten den Speer geben – aber „vergessen“ die Nägel.

Ja und so als Kreuzritter-Drama zwischen zwei Pappmaché-Felsen geht’s weiter im Ersten Akt. Rechts oben auf dem Felsen wird zur Gralsenthüllung ein Kreuz aufgestemmt und die riesige Grals-Lade hereingetragen. Unten rechts davor ist der kleine Tümpel mit der Quelle, in dem Amfortas sein frischendes Bad nimmt. Parsifal im modernen Straßenanzug hat keinen Schwan abgeschossen, nur ein paar Federn am Ärmel. Die Grals-Zeremonie beobachtet er vom gegenüberliegenden Felsen. Titurel ist bei Stölzl noch nicht bettlägerig, sondern tritt höchst persönlich als eine Art Liszt-Übervater auf, um die Grals-Enthüllung beim mit Jesus-Wunde geschwächten Sohn einzufordern. Die Ritter kommen flagellierend zwischen den beiden Felsen zum Mahl hereingestolpert. Es gibt immer nur diesen einen Weg auf der Bühne, sehr bequem. Die Kundry im schwarzen bodenlangen Kleid windet sich zwischen den Mannen. Nach dem Ritual schnappt sich Herr Parsifal ein in den Boden eingerammtes Schwert.

Damit taucht er dann (zweiter Akt) auf in Klingsors Reich, eine Art Petra-Tempelstädtchen für Wüsten-Indianer mit einem trapezartigen Vulva-Tor und einem zur Maske ausgeformten Schlussstein, durch das sich die orientalisch mit Umhängen verhüllten Blumenmädchen herein wälzen. In der Mitte eine Art Opferaltar, auf dem sie gerade einen jungen Mann mit Messern oder Ähnlichem attackieren. Wenn Parsifal zu ihnen hinab steigt, lassen die Damen die Hüllen fallen und bewegen sich wie Hawaii-Mädchen im fließenden Wasser oder Wind, fast immer nur so in Zeitlupe, traumhaft. Man kennt das vom Film. Kundry kann den Parsifal nur kurz für sich allein erobern. Dann erkennt der bei Nennung seines Namens seine Bestimmung, steigt nach oben, ersticht hinterrücks Klingsor und entwindet ihm den Speer.

Im dritten Akt sehen wir die Golgatha-Stätte ohne Kreuz in grünliches Licht getaucht. Kniende Figuren wie eine Mischung aus Obdachlosen und Hartz-IV-Empfängern warten auf Erlösung. Gurnemanz, staubübersät, auf einen Stock gestützt und nun mit Kassen- statt wie vorher mit adretter Drahtbrille, empfängt den über den rechten Opferfelsen sich mit der eingewickelten Lanze heranschleppenden Parsifal im abgewetzten Anzug. Die Leute greifen nach der Lanze, reichen sie wie einen Heiligenschein über ihren Köpfen herum und wickeln sie aus. Parsifal tragen sie auf Händen zum Quelltümpel (nun mit elektrischer Beleuchtung), und er wird von allen reihum mit einer Schale Wasser getauft. Auch die Kundry wollen sie endlich taufen. Aber die sträubt sich. Man muss sie schon heranzerren und dreimal eintauchen, bis sie Ruhe gibt. Amfortas schleppt sich todeswund über den Kreuzweg herbei mit dem Rest seiner teils wieder flagellierenden Ritterschar. Titurel tragen sie in einem Glassarg à la Waldsassen herein. Amfortas greift in den Sarg. Er will wohl mit dazu, will nicht mehr seines Amts walten, schleudert seine Krone weg (die fast im Orchestergraben landet). Oben rechts schleppen sie schon die Grals-Lade herbei. Da endlich taucht Parsifal mit seinem Speer auf dem linken Felsen auf. Nun übernimmt er „das Amt“, hält den Speer an Amfortas‘ Wunde. Der gibt sich damit aber den letzten „Schuss“. Kundry verdrückt sich in der Menge.

Soweit so nett. Regisseur Stölzl und sein Team (Mara Kurotschka, Ko-Regie; Conrad Moritz Reinhardt, Ko-Bühne; Kathi Maurer, Kostüme) wurden dafür am Ende vom Publikum mit einem gellenden Buh-Konzert bedankt.Gefeiert wurden die Sänger, auch wenn Klaus Florian Vogt eigentlich nur in den lyrischen Partien wie etwa der Karfreitagsszene seine Stärken aussingen konnte; bei den dramatischen Tönen muss er zu sehr pressen. Evelyn Herlitzius gibt der Kundry szenische Präsenz, sängerisch mit ihrem halbtonbreiten Vibrato kann sie weiterhin wenig beglücken. Allein Matti Salminen als väterlicher Gurnemanz ist darstellerisch wie sängerisch voll auf der Rolle, Thomas Johannes Meyer ein würdig leidender Amfortas einprägsam vor allem im dritten Akt. Donald Runnicles im Graben führt das Orchester der Deutschen Oper und den wunderbaren Chor (William Spaulding) überlegt durch die Partitur, baut die Steigerungen dynamisch mit weichen Übergängen auf; manches in der Artikulation hätte man sich allerdings mit mehr Biss gewünscht. Vom Publikum wurde er wie der wahre Heilsbringer gefeiert.

Beim Verlassen des Theaters wurde vorzugsweise der weibliche Teil des Publikums am Ausgang mit einer langstieligen roten Rose beglückt als quasi Dankeschön der Blumenmädchen. Vor dem Theater warteten schon die in grelles Licht getauchten Limousinen des sponsernden deutschen Edelmarken-Konzerns mit dem leitenden Glücksstern. Und wenn sie damit auch den Herrn Parsifal zum Bad kutschiert hätten? Aber vielleicht hat da ja noch das Navi gefehlt. Vor allem hat es dem Regieteam wohl gefehlt bei der Konzeption dieser „Parsifal“-Inszenierung im Springen durch die Jahrhunderte und Kontinente. Von der christlichen Religion hat das Werk sich bekanntlich nur den äußeren Schein geliehen. Wagner selber war schon längst auf dem Weg zu Buddha. Und ihm ging’s bei dem Stoff überhaupt nicht um Religion, sondern ähnlich wie im „Tannhäuser“ um das Wesen der Liebe, die, wie es in einer winzigen Bemerkung Kundrys heißt, gottähnlich macht: als geistige, als körperliche, als überirdische oder irdische. Und dass Religion heute eher für die Mittellosen und Entrechteten taugt denn als Kriegsgrund für ewig-gestrige Kreuzritter, ist doch eine zu dürftige Botschaft.

Schade für das neue Leitungsteam des Hauses, die wahrlich bessere Schlagzeilen gebrauchen könnte und sich von Stölzls Engagement sicher mehr versprochen hat von Stölzls wie er vorab meinte „ethnologischem“ Blick auf Religionen. Aber Bühne ist nicht Kino. Und die fleißig eingestreuten Popup-Bildchen auf den Felsen links und rechts verstärken allenfalls den Eindruck von Verkitschen.


In den Katakomben der Gesellschaft

Helmut Lachenmanns „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ zum Auftakt der neuen Intendanz

15.Sept. 2012

Die dicken „Brummer“ zuerst. Mit Helmut Lachenmanns 1997 in Hamburg uraufgeführter und 2001 in Stuttgart nachgespielter Oper „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ startete der neue Intendant der Deutschen Oper, Dietmar Schwarz, in seine erste Spielzeit in Berlin. Ein gewagtes Unternehmen. Nicht nur wegen des sperrigen Stücks, sondern auch weil die Bühne derzeit nicht bespielbar ist. Die Obermaschinerie wird erneuert.

Dabei nennt Lachenmann seine Oper eine „Musik mit Bildern“. In einem Programmheft-Interview schildert er seine Erfahrungen der letzten fünfzehn Jahre, wie er sich immer noch an diesem „Wahrnehmungsspektakel“ abarbeite. Es geht in seiner Musik um Übergänge zwischen Klang und Geräusch, um Klangspiralen, die sich in den Raum winden, um Crescendi, die abrupt abbrechen, damit man gleichsam die nachklingende Stille analysieren kann. Es geht um eine Art instrumentale „musique concrète“. Ganz neue Spielweisen sind von den Orchestermusikern gefordert: das, was ihnen im Studium eigentlich zu vermeiden gelehrt wurde, Kratzgeräusche etwa bei den Streichern. Wie schon den Hamburger musste Lachenmann auch den Berliner Musikern erläutern, was genau er wollte.

Es gibt auch keinen eigentlichen Text, den die zwei Sängerinnen zu singen und zu artikulieren haben. Lachenmann hat das der Oper zugrundeliegende Märchen von Hans Christian Andersen in Silben zerlegt, lässt nur die Laute tönen. Ihn interessiert das „klimatische“ Umfeld wie Wärme, Kälte, Frieren, Einsamkeit, Traumverlorenheit. Andersen erzählt in seinem Märchen von einem armen Mädchen, das in einer kalten Silvesternacht von zuhause wegrennt. Es soll Streichhölzer verkaufen, aber weil es keine loswird, entzündet es die selber, um sich daran zu wärmen, verliert sich in Traumwelten und Erinnerungen. Psychologisches bleibt bei Lachenmann ausgespart. Untersucht werden von ihm Zustände, räumliche Konstellationen. Am Ende tritt eine Shô-Spielerin auf, intoniert auf ihrer japanischen Mundorgel. Der Klang-Raum transzendiert.

Für die Inszenierung hat man in Berlin ein junges Team verpflichtet, David Hermann als Regisseur, Assistent einst von Hans Neuenfels, und Christof Hetzer, Schüler von Erich Wonder, als Ausstatter. Da die Bühne nicht verfügbar ist, müssen sie sich auf den Platz vor dem Eisernen Vorhang beschränken. So arbeiten sie in die Höhe. Übereinander getürmt sieht man ein dreistöckiges Gebäude im Aufschnitt. In der unteren Etage steht ein Flügel als einziges Element. Darüber gibt es eine Art Kinoabspielraum und oben drüber einen Holz-Verschlag wie auf einem Dachboden mit einem Tisch davor und Fotoentwickler-Utensilien darauf. Das Gebäude wird durchzogen von einem verwinkelten, transparenten Schacht. Durch ihn hindurch versucht das Mädchen sich immer wieder nach oben zu hangeln. Manchmal gelingt es ihr. Manchmal wird sie von einem Mann gestoppt und nach unten zurückgedrängt.

Im Kinoraum versucht ein Mann ein Video abzuspielen. Eine Schwimmerin am Pool ist da zu sehen, die gegen Ende des Stücks auch leibhaftig in dem Vorführraum erscheint und sich des Mannes bemächtigt. Oft zeigt die Leinwand nur ein Flimmern oder weißes Rauschen. In der unteren Etage agieren die beiden Sängerinnen. Sie bewegen sich minimalistisch im Raum, blättern in einem dicken Wälzer – den Noten, dem Märchenbuch? – oder setzen sich ans Klavier. In emphatischen Momenten stellen sie sich auch darauf. Zwischendurch dringt auch mal ein Mann mit Plastiktüte herein, stellt leere Sektflaschen hübsch in der Reihe wie Zinnsoldaten auf und steckt Feuerwerksraketen hinein. Aber los gehen die in ganz anderer Weise. Das Mädchen träumt sich langsam in den Tod. Es klettert auf die Terrasse in der obersten Etage, wird dort von einem Gerippe empfangen und gleichsam in den Weltenraum hinweg gesogen zu den Sternen.

Am Pult des Orchesters der Deutschen Oper steht wie schon bei den beiden vorherigen Produktionen Lothar Zagrosek. Er begreift Lachenmanns Musik als beständige Aufforderung, über alles immer neu nachzudenken. Fast zentral steht er im Raum. Der Orchestergraben ist hochgefahren und überbaut. Hinter dem Orchester zu beiden Seiten sind die Choristen platziert. Im Raum verteilt, in den Logen des ersten Rangs und auch im Parkett, gibt es weitere Musiker. So wird auch optisch das Orchester zum Mittelpunkt und Akteur. Lachenmanns Musiktheater ist instrumentales Theater im eigentlichen Sinn, und auch die beiden Solistinnen (Hulkar Sabirova und Yuko Kakuta) artikulieren ja meist nur Laute.

Auch die Regie zeigt nur Situationen und Zustände. Vielleicht von Menschen, die in den Katakomben der Gesellschaft vegetieren, nach oben wollen aber immer am Rand bleiben wie das Mädchen. Bini Lee, choreografiert von Sommer Ulrickson, gibt ihr gelenkige Gestalt. Im Stück integriert ist auch ein Text der Pfarrerstochter, Kaufhausbrandstifterin und späteren Terroristin Gudrun Ensslin sowie ein Text von Leonardo da Vinci über Erfahrungen in einem höhlenartigen Raum. In der wenig empathischen Inszenierung von Hermann und Hetzer wirkt das Stück jedoch spröder als es ist – oder in Achim Freyers Uraufführungs-Inszenierung erschien. Die hatte etwas Magisches; man schaute fast zwei Stunden lang gespannt auf die dort von Freyer gebaute schwarze Wandschräge, an der das Mädchen sich rieb. Hier in dieser Inszenierung kann man sich des Öfteren den bloßen Klängen anheim geben und den eigenen Träumen. Auch werden Längen der Partitur offenbar.

Das durch die Überbauungen zahlenmäßig reduzierte Premieren-Publikum applaudierte der Aufführung gleichwohl heftig. Und insbesondere der Komponist Helmut Lachenmann wurde gefeiert wie ein Popstar – was er sich wohl nie träumen liess. Ihm ist am Haus noch ein kleines Festival gewidmet. Demnächst feiert man in dem Bornemann-Bau an der Berliner Bismarckstraße den fünfzigsten Jahrestag der Eröffnung. Und es war sicher ein kluger Schachzug des zuletzt Basler Operndirektors Schwarz, die Jubiläumsspielzeit mit einem Stück zu eröffnen, das einen hohen Anspruch formuliert. Wie weit der eingelöst werden kann, muss sich zeigen. Damals weihte man das Haus mit Mozarts „Don Giovanni“.