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H.W.Henzes Floß der Medusa
Exil im Schiller-Theater
Hamlet von Ambroise Thomas
Fritschs Holländer
Auftakt mit Nonos Intolleranza

Bedingt faszinierend

Hans Werner Henzes „Floß der Medusa“ in der Fliegerhalle

16.09.2023 (gesehen: zweite Aufführung 23.09.2023)

Ein Spektakel? Sicher. Die Besucher drängen sich in der Halle am ehemaligen Tempelhofer Flughafen. Und die Geretteten des Floßes der Medusa werden am Ende auch abgeholt mit dem „Follow Me“. Der einzige Punkt des Abends, an dem man ein bisschen schmunzeln konnte.

Hans Werner Henzes „Floß der Medusa“ hatte in den 1968-Iger Jahren einen schwierigen Start. Die Premiere dieses Oratoriums in Hamburg wurde von linken Studenten gestört und fand nur im Funk statt. Das Thema wäre gerade heute aktuell: Rettung von Flüchtlingen aus Seenot, zwar nicht im Mittelmeer, sondern im Atlantik in der Zeit nach den Napoleonischen Raubkriegen.

Hier in der Inszenierung der Komischen Oper von Tobias Kratzer ist es ein allzu naturalistisches Schauspiel. Wegen des mehrjährigen Um- und Ausbaus des Haupthauses an der Behrenstraße ist man in die riesige Flughalle nach Tempelhof ausgewichen. Dort wurde ein massiges Bassin zwischen zwei Tribünen aufgebaut (Ausstattung Rainer Sellmaier). Die musikalische Erlebbarkeit des Werks ist dank der schwierigen Akustik begrenzt.

enze FLOSS DER MEDUSA, Kom.Oper 2023

Das Medusa-Bild von Théodore Géricault kennt man, und die Geschichte dahinter in etwa auch. Es wird einem auch als lebendes Bild beim Eintritt in die Halle präsentiert, dazwischen in immer anderen Formationen wiederholt. Der Platz auf dem Floß ist mal dichter, mal „luftiger“ bevölkert. Immer wieder versuchen einige Schiffsbrüchige diesem offenen Gefängnis zu entkommen. Sogar ein Jesus auf den Wassern wird als vermeintlicher Retter präsentiert. Vergebens. Bis eben zum Schluss.

Der Aufwand, den man getrieben hat, ist erstaunlich, die Präzision, mit der das etwa 80-minütige Opus abläuft, höchst beeindruckend. Irgendwie berührend ist es nur, wenn die ersten zwei Opfer, Kinder, vom Floß in die See gespült werden und abgehen. Der Tod, eine Frauenfigur (Gloria Rehm im schwarzen Glitzerkleid), lockt von allen Ecken der Halle, kämpft auch mal mit dem, der sich als Führer des Floßes herausschält.

Zentrale Figur auch die anfangs in einem Schlauch-Rettungsboot angerudert kommende Erzählerin, Charon. Sie (Idunnu Münch) versucht, die Dramatik des Geschehens mit einiger Intensität nachzuahmen. Wenn man die distanziert-ruhige, sonore, aber immer auch leicht ironische Stimme von Ernst Schnabel, der für Henze die Texte schrieb, noch im Ohr hat, eine leider totale Fehlbesetzung. Allerdings muss sie auch gelegentlich in Schönberg‘schem Sprechgesang die Texte rezitieren.

Titus Engel am Pult hat an der Längs-Seite der Halle das Riesenorchester und über Bildschirme auch den Riesenchor und die wenigen Solisten sehr gut im Griff. Die Produktion läuft wie am Schnürchen. Die Texte zu verstehen, ist nicht leicht. Akustisch, und weil die nur zwei Übertitel-Tafeln nicht von allen Sitzplätzen gut einsehbar sind.

Die große Besetzung heischt zwar für sich große Aufmerksamkeit. In dem Rezital „El Cimarrón“ hat Henze mit der kammermusikalischen Formation von Sänger (Bariton), Flöte, Gitarre, Schlagzeug sehr viel durchsichtiger und eindrucksvoller zwei Jahre später ein ähnliches Sujet auf die Bühne gebracht. Dies Werk fasziniert noch heute, das „Floß der Medusa“ nur bedingt.

Foto: gfk


Sechs Jahre „Exil“ im Schiller

Die Komische Oper ab Spielzeit 2023/24

Jahrespressekonferenz 20.04.2023

Die Komische Oper muss ab der Spielzeit 2023/24 ihre Hauptspielstätte in das etwas kleinere Schillertheater verlegen. Das Haus an der Behrenstraße wird renoviert, umgebaut und erweitert für 478 Millionen Euro (Stand Juni 2023).

Einige aushäusige Events werden zum Beispiel in den Alt-Flughafen Tempelhof verlegt, etwa gleich der Saisonauftakt mit Hans Werner Henzes einst skandalträchtigem „Floß der Medusa“ (Regie, einer der Lieblinge zumal der Deutschen und der Hamburger Oper, Tobias Kratzer).

Oder es wird für die „Ossis“ vor dem Roten Rathaus ein Theaterzelt aufgebaut und darin Gerd Natschinskis Operette „Messeschlager Gisela“ exhumiert.

Hauptakteure in der Regie sind ansonsten die beiden Lieblinge des Hauses: Barrie Kosky („Chicago“ und „Hercules“) und sein Freund Kirill Serebrennikov („Figaro“). Da beide, insbesondere Kosky, auch mit Wiederaufnahmen stark vertreten sind, könnte man die Komische Oper vielleicht auch in Ko[m]sky-Oper umbenennen?

Wenn’s denn nicht bald doch mal zu viel wird…


Lasst Trompeten erschallen

Ambroise Thomas‘ „Hamlet“-Oper, eine Wiedererweckung?

16.04.2023

Eine Hochzeit wird gefeiert. Eine Staatshochzeit. Ein bissel schnell, nachdem der frühere König tot ist. Der neue König: sein Bruder, die Frau: die gleiche. Das neue Paar hat ein bisschen nachgeholfen, dass der legitime König tot ist. Aber der spukt noch als Geist im Kopf des Sohnes. Hamlet soll den Vater rächen. Und das tut er.

Die „Hamlet“-Oper von Ambroise Thomas wurde 1868 in Paris uraufgeführt. Eine Grand Opéra nach dem Erfolg von Thomas mit der Goethe-Oper „Mignon“ noch als Opéra Comique. Shakespeare war in Mode als Stichwortgeber fürs Theater im 19. Jahrhundert. Das Bildungsbürgertum wollte sich seines Codex versichern. Und Thomas mit seinen Opéra-comique-Librettisten Michel Carré und Jules Barbier schuf ihm eine süffige Musik mit stark blechhaltigem Pomp, lyrischen Einlagen und auch ein bisschen Offenbachschem Esprit.

In der Inszenierung an der Komischen Oper sieht man von letzterem leider wenig. Die Bühne von Etienne Pluss ist eng. Ein kleines Plüsch-Theater im Theater, ein großer Treppenaufgang mit Galerie und eine als Running Gag immer wieder durch die Szene marschierende Inspektoren-Crew mit Aktentasche und Melone (hello Britain), die die Standfestigkeit des Palastes inspiziert.

Hamlet und sein etwas schwuler Hofnarr wird denn auch bald die Axt ans Pappgemäuer legen und Löcher einschlagen. Es ist bekanntlich was morsch im Staate Dänemark. Auch in dieser Inszenierung? Anfangs hat man noch den Eindruck, die Regisseurin Nadja Loschky (Chefin in Bielefeld) versuche, auf die Musik zu hören und daraus ein Konzept zu entwickeln. Aber so recht taugt diese Musik nicht und so bleibt die Szene stark im Realismus verhaftet. Mit auch wenig einfallsreichen Kostümen (Irina Spreckelmeyer). Erst am Ende, wenn Hamlet (laut der Pariser Urfassung) zum neuen König ausgerufen ist und – hier – auf einer Glocke in den Himmel entschwebt, weitet sich der Blick ins Ungewisse.

Ein Glücksfall ist das Protagonisten-Paar. Auf ihre holprige Liebesgeschichte ist die Oper denn auch zugeschnitten. Der Hamlet von Huw Montague Rendall überzeugt mit großer darstellerischer Gelenkigkeit und geschmeidigem Bariton, Liv Redpath schenkt der Ophélie ihren glockenreinen, stilsicheren Koloratur-Sopran. Die junge Marie Jacquot am Pult, gelernte Blechbläserin, lässt die Trompeten kräftig erschallen und den Palast in Wein-Weib-Walzerseligkeit versinken.

Das Publikum war’s sehr zufrieden. Eine wirkliche Entdeckung oder gar Erweckung ist der dreieinhalb-Stunden-Abend nicht.


Selbstverliebt

Herbert Fritsch und Wagners „Fliegender Holländer“

27.11.2022

Ach, Herr Fritsch. Der „Holländer“ nur ein Kasperletheater? Die Figuren als bloße Marionetten? Oder der Holländer als männliche Carmen, wie er im Programmheft verlautbart (Die „Carmen“ hat er gerade in Hamburg kunterbunt auf der Bühne morden dürfen)? Man müsste das Libretto halt ein bisschen genauer lesen, in die Musik genauer hineinhören. Was meinen solche Figuren wie der Holländer. Was machen sie in einer Frau wie Senta für Imaginationen, Befürchtungen, Ängste? Klar, die Gaudi kommt an. Grimassen und 1920iger Jahre Stummfilm-Slapstick oder Fix und Foxi. Aber allzu viel bleibt auf der Strecke. Und wird halt schnell öde. Schema F.

Musikalisch ist der Abend unter der Leitung von Dirk Kaftan streckenweise beeindruckend. Kaftan modelliert sehr plastisch Richard Wagners Partitur. Schon in der Ouvertüre wird das deutlich. Man spielt die Version ohne Pause. Leider stehen nicht die allerbesten Sänger*innen zur Verfügung. Daniela Köhler als Senta (vorzugsweise mit verrenktem Blick gen Himmel) hat zwar Power in der Stimme aber sie intoniert eher unsauber und mit allzu viel Vibrato. Günter Papendell darf als barocker Klabautermann gern mit höhnischem Grinsen über die Szene stapfen, leider dumpf in seiner Tongebung. Caspar Singh gibt einen allzeit grimassierend über die Bühne links-rechts-vor-zurück über die Bühne hüpfenden Steuermann, Jens Larsen den schachernden Daland.

Walter Felsenstein, das sozusagen gute Hausgespenst, hat in seiner Gründeramtszeit von den Wagner-Opern nur den „Holländer“ als für das Haus aufführbar erachtet. Joachim Herz ließ er ran ans Regiepult. Was er von dieser Produktion gehalten hätte? Zwei interessante Aspekte bleiben mir davon in Erinnerung: Im dritten Akt, wenn Senta von ihren heiligen Pflichten als Ehefrau erzählt, wiegt sie (sitzend) den Holländer wie ein Baby in ihren Armen. Am Ende schwebt das neue Geister-Paar als bloße Kleiderhüllen in den Bühnenhimmel. Dass Fritsch sich aus selbigem zum Schlussapplaus abseilen lässt, setzt dann den „passenden“ Schlusspunkt: einfach nur selbstverliebt.


Assoziationen

Luigi Nonos „Intolleranza“ zum Auftakt der neuen Intendanz an der Komischen Oper

23.09.2022 (gesehen: 2.Vorstellung, 25.09.2022)

2001 eröffnete der damals neue Intendant der Deutschen Oper Berlin, Udo Zimmermann, sein Amt mit einer Produktion von Luigi Nonos „Intolleranza“ (1960/61). Jetzt haben es ihm die beiden Ko-Intendant*innen der Komischen Oper und Kosky-Nachfolger*innen, Susanne Moser und Philip Bröking, nachgetan. Damals war das eine packende Inszenierung von Peter Konwitschny, jetzt ist das eine reichlich aufwändige Installation von Regisseur Marco Štorman und Bühnenbildner Márton Ágh mit den auf Weiß-Schwarz-Grau gestimmten Kostümen von Sara Schwartz. Vor allem der völlig umgestaltete Zuschauerraum des Hauses an der Behrenstraße ist die Attraktion. Alles ist verhüllt mit weißem Tüll. Auch die Besucher bekommen Tüll-Lätzchen zum Umbinden auf die harten Sitze gelegt. Das Parkett-Innere ist überbaut mit einer Spielfläche. Das Publikum sitzt drum herum im Restparkett und im ersten Rang, und auch auf der Bühne. Im zweiten Rang ist das Orchester platziert.

Intolleranza Bühn vor Beginn

Nonos früher eher oratorischer Versuch mit dem Musiktheater, bescheiden von ihm selbst als „azione scenica“ klassifiziert, ist eigentlich ein Reflex auf den Unabhängigkeitskrieg Algeriens. Der Inhalt sehr verkürzt: Ein ehemaliger Emigrant will nachhause, aber eine Flut hindert sein Boot am Fortkommen – ein Bild wie das berühmte, von Peter Weiss in seiner „Ästhetik des Widerstands“ einst analysierte „Floß der Medusa“ des romantischen Malers Théodore Géricault, wird da assoziiert. Konwitschny hatte die Geschichte dieses Emigranten damals mit eindrücklichen Szenen plausibel erzählt. Das Regieteam der Komischen Oper beschränkt sich – modisch – auf ein paar ästhetisch durchgestylte lose Assoziationen. Würde man nicht das Programmheft zu Hilfe genommen haben, würde man wenig bis nichts verstehen. Zwar sind die italienisch oder deutsch gesungenen Texte auf einer Tafel projiziert. Doch, wenn man ungünstig sitzt, blenden an manchen Stellen Scheinwerfer so sehr, dass man die Tafeln nicht lesen kann.

Andererseits stößt einem auch manche Parole der 50iger/60iger Jahre schon etwas seltsam auf, um es freundlich zu sagen. Doch es gibt auch einiges heute noch Aktuelles wie etwa die Überlegungen zur Entstehung von Gewalt: dass sie in vielen kleinen Schritten fast unmerklich entsteht, wächst, und dann umso heftiger zuschlägt. Bewundernswert die Mühen, die man sich mit der musikalischen Einstudierung der schlagzeug-satten Zwölfton-Partitur gemacht hat. Vor allem der Chor leistet hier Besonderes. Sean Panikkar gibt stilsicher den musikalisch nur selten geforderten Emigranten, Gloria Rehm eine tückische Geliebte in Weiß und Deniz Uzun eine in schwarzem Vogelkostüm gekleidete zweite Frau. Stimmlich etwas quetschig klingend Ilse Ritter als Benjamins schwarzer Engel der Geschichte. Gabriel Feltz steuert über viele Monitore vom zweiten Rang aus kompetent den musikalischen Ablauf. So direkt mitgenommen auf die Reise fühlt man sich allerdings nicht – wie auch bei solcher Herangehensweise. Dennoch, auch in der zweiten Vorstellung starker Beifall des am Ende mit Graulicht bestrahlten Publikums. Halt mal was anderes in dem vor der Rekonstruktion stehenden Haus.

foto: gfk


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