kob 2004-07

 

index
home-kob

Land des Lächelns
Iphigenie auf Tauris
Hoffmanns Erzählungen
Zauberflöte
Mahagonny
Goldene Hahn
Hip H'Opera
Rosenkavalier
Orest
Maria de Buenos Aires
Königin auf der Erbse
Don Giovanni
Butterfly
Onegin
Albert Herring
Figaro
Lady Macbeth
Don Quijote
Sweeny Todd
6 Kurzopern

Im Land des Abmurksens

Peter Konwitschny und Kirill Petrenko mit
Lehárs „Land des Lächelns

1. Juli 2007

Shocking?

Barrie Kosky inszeniert Glucks „Iphigenie auf Tauris“

22.04.07

Bedeutungsschwanger-bedrohlich beginnt es. Über die Saallautsprecher ertönt die Vorgeschichte: wie und warum es die Agamemnon-Tochter Iphigenie nach Tauris verschlagen hat, was sie in dem skythischen „Barbarenland“ seit 15 Jahren tut – alle fremden Männer abschlachten, die die Insel betreten. Der Inselherrscher Thoas hat eine Phobie. Ihm ist geweissagt, dass ein Fremder ihn einst töten werde. Und schon beginnt das heitere Theater-Blutbad. Ein Mann, der kopfüber im Lendenschurz durch die Bühne pendelt, wird herabgelassen, von der stämmigen Priesterin Iphigenie mit dem Küchenmesser bearbeitet, in einen Trog gesteckt und zu Serum verdickt. Gleich stolpern noch weitere Männer herein, gefesselt an Händen und mit Tüten über den Köpfen, angetrieben von Soldaten in GI-Uniform. Das Ritual geht weiter, dann auch mit Orest und Busenfreund Pylades. Das ganze Abu-Ghuraib-Bildprogramm wird abgespult. Die Soldaten verhöhnen die Gefangenen, treiben mit ihnen ihre sadistischen Spielchen, ritzen ihre Rücken, bepinkeln sie, machen ein Foto davon mit Polaroid oder Handy. Shocking? Oder nur Gähnen machende Ödnis der Ideen?

Der australische Regisseur Barrie Kosky ist bekannt dafür, dass er seinen spätpubertären Fantasien auf der Bühne gern freien Lauf lässt. Schon in seiner ersten Inszenierung an der Berliner Komischen Oper, mit der er sich eine gewisse Berühmtheit verschaffte, Ligetis Grand Macabre, präsentierte er als Höhepunkt eine Figur, die genüsslich auf einem von brauner Brühe überquellenden Klo ihre Notdurft verrichtet. Jetzt lässt er in endlosen Einstellungen Blut aus menschlichen Körpern tropfen. In großen Bratpfannen wird dies dann wie in einer Plasma-Aufbereitungsanlage hin und her gewälzt. Wenn von Iphigenies Mutter die Rede ist, färbt sich die Flüssigkeit muttermilchweiß. Eine Gruppe von Senioren, Männlein und Weiblein nur mit Höschen bekleidet, bevölkert die Bühne. Die ihrer Eltern gedenkenden Kinder, Iphigenie und Orest, dürfen sich an sie schmiegen. Wenn die Geschwister am Ende sich zu erkennen gegeben haben, Freund Pylades den blutrünstigen König Thoas erschossen hat und das allgemeine Gemetzel von der blutgesättigten Göttin Diana beendet wurde, sitzen Iphigenie, Orest und Pylades einsam wie in einem Ruderboot und fahren zum happy endenden Schlusschor Richtung Heimat – ein wie in einen Bilderrahmen gegossenes Stück Felsen, mit dem Bühnenbildner Klaus Grünberg die Bühnentiefe auf Sandkastenformat halbiert.

Unmutsäußerungen über diese „ab 16 Jahren“ empfohlene Inszenierung gab es bei der Premiere schon auf halber Strecke der auf freundliche hundert Minuten eingedampften, gleichwohl länglich wirkenden Aufführung. Dann sickerten Zuschauer immer wieder Richtung Saaltüren. Die Gebliebenen spendeten dem gesamten Team am Ende fast einhelligen Applaus. Dabei hatte man sich zumindest musikalisch einiges erwartet. Doch Paul Goodwin am Pult dirigiert einen zwar gut aufpolierten aber doch sehr glatt gebürsteten Gluck. Von den Sängern konnte eigentlich nur der Pylades von Peter Lodahl mit seinem hellen Tenor überzeugen. Kevin Greenlaw als Orest wirkte etwas hohl, Geraldine McGreevy als Iphigenie leicht quäksig in der Stimme. Vom Text verstand man in der deutsch gesungenen Fassung von Bettina Bartz und Werner Hintze nur Bruchstücke. Ein langes Leben dürfte dieser Produktion nicht beschieden sein. Das Verfallsdatum ist ihr schon durch den Versuch, die Realität so platt nachstellen zu wollen, eingeprägt.

Es fehlt dieser Inszenierung an die Wirklichkeit durchdringender und übersetzender Fantasie. Das Grauen dieses antiken Mythos mit nachgestellten Fernsehbildern einfangen zu wollen ist nachgerade kindisch, zumal die lediglich als Reizmomittel benutzt werden. Und mit dem Händelschen „Orest“ hat man ja eine Inszenierung im Programm, die szenisch wie musikalisch weitaus kreativer und triftiger mit dem Thema umgeht.


Dicke rote Flecken

„Hoffmans Erzählungen“ - lähmend langatmig

04.Febr. 2007

Das Ambiente ist schick-modern, nicht eigentlich wie man sich die Lieblingskneipe eines Quartalssäufers vorstellt: bordeauxrotes Halbrund, das sich im Antonia-Akt auch schon mal zur Bühne auf der Bühne verwandelt. Im abschließenden Giulietta-Akt mit den Venezianischen Gondeln schwankt dann statt des Bodens die Decke mit kugelartigen Leuchten als gleichsam Lampions. Ebenfalls ein hübscher Effekt.

Hoffmann und die Frauen – geradlinig will der junge Regisseur Thilo Reinhardt mit seinem Bühnenbildner Paul Zoller diese Geschichte des Dichters und seiner diversen Versuche, die Richtige für sich zu finden, erzählen. Recht sinnfällig wird das nicht. Man greift an der Komischen Oper zurück auf die zwar rechtschaffen deutschsprachige aber durch die Forschungen der letzten Jahre völlig überholte Oeser-Fassung von Hoffmanns Erzählungen zurück. Und das in einem Haus, das mal berühmt war für seine quellenkritische Penibilität. Allerdings – Reinhardt hat relativ kurzfristig die Regiearbeit übernommen. Zu kurzfristig bei diesem von Offenbach nur als Torso hinterlassenen Werk, von dem sich jeder Inszenierende erst einmal tief in die Quellen vergraben muss, ehe er ans Entwickeln einer Konzeption denken kann. Ursprünglich war Willy Decker als Regisseur dieser Neuinszenierung vorgesehen. Und was Reinhardt als Konzept ausgibt, statt der von Offenbach zugespitzten Fragen zu Kunst und Künstler die nach den Frauen zu untersuchen, bleibt hier auch wieder nur künstlich.

Reinhardt, der aus der Schule des in seinem Ruhm längst verblassten Götz Friedrich kommt und mit Hospitanzen dann auch bei den üblichen Verdächtigen, von Harry Kupfer bis Peter Konwitschny, sich der höheren Weihen versicherte – versucht sich in einem Realismus, der an dem Stück selbst immer wieder scheitert. Deutlich wird das zumal in den ja streng durchgeformten Chorpartien der Rahmenhandlung, aber auch in der Begegnung Hoffmanns mit der Puppe Olympia. Reinhardt kann sich da nicht recht entscheiden, ob er die Olympia als Maschinenmenschen oder als Frau aus Fleisch und Blut vorführen will. Als erotisch wild Gewordene darf die Androide dem verdutzten Hoffmann dicke rote Flecken auf den Mund platzieren. Das sieht zwar putzig aus, sagt aber über die Verstörungen des Mannes Hoffmann und zumal woraus diese Verstörungen resultieren nichts.

Immerhin hat man mit Timothy Richards als Hoffmann einen Sänger zur Verfügung, der mit schlanker, cremiger Stimme die Partie glänzend bewältigt. Vom Typ her als eine Mischung aus Helge Schneider und König Gustav Adolf zeigt er sich auch darstellerisch als höchst wandlungsfähig. Eine Klasse für sich Stella Doufexis als seine Muse, verschmähte Freundin und „Sekretärin“ für alle Lebenslagen in einem. Auch die von Katharina Gault in hellen Pelz mit Stiefeletten und Sonnenbrille gehüllte Olympia der Cornelia Götz kann mit ihren Koloraturen prächtig punkten. Eine kühl kalkulierende Giulietta in rückenfreier roter Robe ist Karolina Gumos. Das Orchester der Komischen Oper hat man schon sehr viel konzentrierter spielen gehört. Kimbo Ishii-Eto am Pult hat doch einige Mühe die Balance recht auszutarieren.

Alles in allem: Einen triftigen Hoffmann sah man hier nicht. Mit über drei Stunden Dauer ist die Aufführung auch ziemlich lang und – über weite Strecken – langweilig geraten. Das Publikum zeigte sich dennoch beifallsfreudig. Man hat sich gelabt an den bekannten Melodien.


Käfer und Krüppel

Hans Neuenfels inszeniert Mozarts „Zauberflöte“

Sarastro dämmert vor sich hin im Rollstuhl. Zu kämpfen hat er ständig mit Herzattacken. Sein linkes Bein ist lädiert. Seine Priesterschar ist ein Schwarm von Insekten, die käfergleich das Gelände mit ihren Fühlern absuchen. Selbst lässt er sich bewachen von drei Löwen, auf die er sich manchmal auch stützt. Sein Tempel der Weisheit ist leer, eine Türattrappe, hinter der er ein schleimig süßlicher Priester mit Schmalzlocke und auf etwas zu großem Fuß die Prüflinge empfängt. Und wenn er besonders salbungsvoll wird, leiht ihm der als Skulptur daneben stehenden Diskuswerfer sein Wurfinstrument als Heiligenschein.

Aber auch sein Widerpart, die nachtstrahlende Königin, hat längst allen Glanz eingebüßt. Von einer Chemotherapie offensichtlich lädiert, wankt sie, eine Hoffmanneske Singmaschine, zu ihrer ersten Arie herein wie auf Krücken. Der kahle Kopf ist mit einem Haardutt toupiert, die linke Hand eine Prothese, die sie dem schaudernden Prinzen Tamino als geschmackvolle Aufforderung, die Tochter zu befreien, entgegen wirft. Nach ihrer Arie muss man sie auf einer Trage abtransportieren, wobei sie ihre Beinprothese verliert. Später erscheint sie mit Aufputschmitteln gedopt wie eine rächende Jeanne d’Arc, die aus diversen Schlitzen ihrer silbrigen Montur jede Menge Dolche zieht.

Eine etwas andere Zauberflöte ist das schon, die Hans Neuenfels und sein Ausstatter Reinhard von der Thannen für die Komische Oper erfunden haben. Auch Elisabeth Trissenaar ist mit von der Partie. Als „Spielleiterin Marie-Louise“ greift sie schon zu Beginn den Darstellern massiv ins Gehege. Die drei in pepitagemusterte Kostüme mit Blondhaar gestopften Damen werden gleich nach ihrer ersten musikalischen Einlage abgeschoben durch die Drehtür dieses wie eine Mischung aus Sportstudio und ausgetrocknetem Wasserspeicher gebauten Bühnenraums. Den Dialog und auch viele andere Partien übernehmen Trissenaar und zwei „Gehilfen“, meist in von Neuenfels bearbeiteter Textfassung.

Der Brechtische Verfremdungseffekt hat viel Gutes. Die oft peinlich steife Sitzung der Priester im zweiten Akt etwa wird hier von dem Trio nur gemimt, während Sarastro in der Sonne döst. Oder auch des Monostatos Erörterungen über die Hautfarben schwarz und weiß werden hier mit einem in einem Eisklotz gefrorenen Pamina-Double zur Satire dessen, was die Nazis in ihrer unseligen Ausstellung der „entarteten Musik“ einst predigten. Aber mit den vielen Erklärungen stockt auch immer wieder der Fluss der Handlung. Der von vielen empfundene „Machwerk“-Charakter der Zauberflöte wird eher noch verstärkt. Ein eigentlicher Sog entwickelt sich bei diesem so vielschichtigen Werk nicht.

Dabei kann man viele Kabinettstückchen bewundern. Etwa im Auftritt der Geharnischten, zwischen militalt=""ärischem Drill und „rührt euch“-Pose. Oder auch in den Szenen mit Papageno, der in Jens Larsen einen idealen Sänger-Darsteller hat. Nicht der naive Waldmensch ist er, sondern mit seiner Vogelklaue wird gezeigt als Krüppel, der durch den Kampf der Systeme Sarastro kontra Königin um sein Leben geprellt wird. Das von den drei Knaben (in wechselnden Erscheinungen: mal als Rauschebart-Zwerge, mal in tintenblauem Sonntagsputz, mal als Zirkusdirektoren) gereichte Essen wird ihm als „kaschiert“ aus dem Maul gerissen. Der von Marie-Louise ihm präsentierten Papagena kullern beim gemeinsamen Duett statt den „vielen kleinen Kinderlein“ nur viele kleine Eierlein aus dem offenbar unfruchtbaren Bauch.

Schon zur Pause schwenkt Spielleiterin Marie-Louise Baguette und Weinflasche als Trophäen einer mehr erdigen Sinnlichkeit. Am Ende zieht der Chor, kostümiert nach Art von Clochards, mit Baguette und Weinflasche auf die Bühne, während Sarastro einer neuerlichen Herzattacke erliegt. Die hehren Tugenden seines Weisheitstempels, abgeleitet aus den Parolen der französischen Revolution und in seinem Reich pervertiert zu einem leeren Gebäude von kukluxklanartigen Akklamationsritualen, sollen wieder lebbar gemacht werden. Was in Sarastros Insekten-Reich vor allem kastriert ist, wird einem freilich etwas knüppeldick serviert: Die Zauberflöte nämlich ist ein elefantöser Penis, das Glockenspiel eines aus silbrigen Hodensäckchen. Die drei Damen präsentieren beides gut verstaut in zwei Ebenholzschränken den Prüflingen als wegweisende Morgengabe der Königin.

Musiziert wird unter dem jungen, von manchen schon zur Nachwuchs-Spitzenklasse gezählten Markus Poschner mit viel Elan und Eleganz. Durch den Einsatz von Naturhörnern gewinnt das Orchester der Komischen Oper noch zusätzlich an Kontrast und Farbigkeit. Eine in ihren Spitzentönen wunderbar leichte, wenn auch nicht immer ganz sauber singende Königin der Nacht ist Cornelia Götz, Maria Bengtsson die zumal in ihren dramatischen Partien besonders überzeugende Tochter Pamina. Blasser Peter Lodahl als knickerbockriger Tamino und James Creswell als vor sich hin müdender Sarastro. Ein Schmunzelstückchen liefert Peteris Eglitis als Sprecher. Und exzellent sind die drei Calwer Aurelius Sängerknaben.

Am Ende gab es viel Beifall für die Sänger, den Chor und den Dirigenten. Hans Neuenfels und sein Team mussten die erwarteten Buhs einstecken. Die Komische Oper hat mit dieser Produktion ihren Mozart-Zyklus beendet. Und diese Zauberflöte ist sicher nun sein Glanzstück. Dass es zu erheblichen Verwerfungen kam während der Produktion, muss man bedauern. Die Debatte um die Idomeneo-Absetzung an der Deutschen Oper hatte die Spannungen aber auch unnötig verschärft.


Bauchlandung in der Disco

Brecht-Weills „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“
zum Saisonauftakt

24.Sept. 2006

Am Schluss gelingt der Aufführung dann doch noch ein recht sinnfälliges Bild. Jim Mahoney, der das Gesetz der allgemeinen Glückseligkeit erfunden hatte mit seinem „du darfst“, sieht man da ganz allein auf der Bühne, verlassen von allen Freunden – eine fast schon religiöse Ikone. Auf einem glitschigen See von wertlosem Papiergeld stehend schaut er sich um nach Hilfe. Er selbst hatte kein Geld mehr, konnte nicht bezahlen. In dieser Gesellschaft ein tödliches Verbrechen.

Ansonsten allerdings fragt man sich den ganzen Abend, warum der Intendant der Komischen Oper, Andreas Homoki, unbedingt diese Oper von Kurt Weill und Bert Brecht inszenieren wollte. Wie kaum ein anderes Werk des 20.Jahrhunderts schreit Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny mit seiner so sehr von der Tanzmusik der Zeit inspirierten Partitur nach einer durchchoreografierten Szene. Ein Tanzensemble gibt es an der Komischen Oper längst nicht mehr, und dass Homoki wenig vom Tanz hält, hat er in der Vergangenheit immer wieder zu erkennen gegeben. So dürfen Sänger und Chor auf der Bühne außer Disco-Hopsen, Ärmchen-Wedeln, Rampensitzen oder Herumstehen kaum Differenzierteres zeigen.

Allerdings ist Hartmut Meyers Bühne auch wenig angetan, irgendwelche Sinnlichkeit auszustrahlen. Auf einen fast bühnenfüllenden mobilen Quader werden Stichworte gepinselt und die Bühnenanweisungen projiziert. Der Quader ist dazu mit braunem Packpapier bespannt. Im zweiten Teil wird das Papier abgerissen, und darunter erscheinen halbtransparente Plastik-Lamellen mit aufgemalten Palmen, bunt angestrahlt als Lockmittel in den Vergnügungspark. Für die Gerichtsszene wird der Rahmen herunter gelassen, die Lamellen werden ausgeklinkt. Am Ende ist der ganze Kasten abgeräumt, und übrig bleibt nur noch das verausgabte Geld, das auf den Boden rieselte wie herbstliches Laub.

Musikalisch ist der Abend bei Kirill Petrenko in allerbesten Händen. Der GMD der Komischen Oper arbeitet die harmonischen und instrumentalen Schärfen der Weillschen Partitur präzise heraus. Und besonders sensibel intoniert hört man bei ihm die weichen, sehnsuchtsvollen Stellen, auch wenn etwa beim so intimen Kranich-Lied, in dem Jim sich verabschiedet von seiner Jenny, die ganze Mädchen-Meute mit auf der Bühne steht und Intimität nie sich einstellt. Den Benares-Song, der die Vereinsamung und Ausweglosigkeit nach dem für einige tödlichen Rausch des Genießens thematisiert, hat man ganz gestrichen. Die Bühne bleibt hermetisch selbstreferenziell. Es teilt sich nichts mit.

Szenenapplaus gibt es denn auch so gut wie keinen. Und das bei dieser süffigen Musik und diesen wunderbaren Sängern auf der Bühne. Christiane Oertel ist eine kühl kalkulierende aber auch durchaus lustvolle Witwe Begbick, Jens Larsen der durchtriebene Dreieinigkeitsmoses. Tatjana Gazdik gibt, vielleicht mit etwas zu kleiner aber schön timbrierter Stimme, die letztlich auch nur ins System einfunktionierte Jenny, Kor-Jan Dusseljee den Jim Mahoney, der mit seinem naiven Glauben ans ewige Glück eine Bauchlandung hinlegt. Am Ende eher höflicher Beifall und einige Buhs fürs Team. Leider kein sehr geglückter Spielzeitauftakt an der Komischen Oper.


Auf Tauchstation

„Der goldene Hahn“ von Nikolai Rimski-Korsakow - ein neuer Versuch ihn zum Krähen zu bringen

28.Mai 2006

Eine Opernsatire? Sogar eine mit anarchistischer Tendenz? Im „Mächtigen Häuflein“ galt der in der militärischen Tradition seiner Familie erzogene Nikolai Rimski-Korsakow als der Unpolitische. Und mit dieser Oper ließ er sich Zeit, bis wirklich nichts mehr ging, und alles nur noch hoffte auf das Ende.
1908 kurz vor seinem Tod komponierte Rimski-Korsakow den Goldenen Hahn [Solotoi Petuschok]. Die Uraufführung 1909 in Moskau erlebte er nicht mehr. Die Zensurbehörden hatten gar zu viel einzuwenden gegen dieses „Märchen“: Ein Astrologe schenkt dem verschnarchten Gut-Zaren Dodon einen vergoldeten Hahn. Der kräht immer dann, wenn seinem Reich Gefahr droht. Und der Hahn hat viel zu krähen. Aufgescheucht wird der Zar, als man ihm meldet, seine beiden Söhne seien tot. Die haben sich freilich gegenseitig umgebracht im Kampf um eine schöne junge Frau. Die wickelt nun ihrerseits den Zaren um den Finger. Und am Ende holt den sich der Hahn. Die bange Frage des Volks, ob es ohne Zaren wird überleben können, beantwortet die Königin auf ihre Art.

Die Zeitgeschichte um 1905, als die landesweiten Erhebungen das Zarentum in den Grundfesten erschütterten und die Zarin sich in die Arme des Geistheilers Rasputin flüchtete, ist in Andreas Homokis Neuinszenierung an der Berliner Komischen Oper, die mit diesem „Goldenen Hahn“ eine kleine Rimski-Korsakow-Renaissance einleiten möchte, weitgehend getilgt. Von Hartmut Meyer hat Homoki sich die Bühne als vergoldetes Kuppeldach bebauen oder auch zubauen lassen mit einem drehbaren Rohransatz wie ein Lufttauscher oder ein U-Boot-Fernrohr. Durch dieses kommen die Mannen anfangs in langen Nachthemden mit Ami-Army-Jacken und -Helmen gestolpert. Der Zar selbst in Pantoffeln.

Im zweiten Akt, wenn Dodon sich auf die Suche nach den sportverliebten Söhnen begibt und dabei auf die schöne Königin vor ihrem vom Himmel herab schwebenden Zelt trifft, zieht er los mit Texas-Hut. Und die Liebesdienerinnen der Königin ziehen seine Soldaten in diesen Liebesschlund, aus dem sie später, offensichtlich stark mitgenommen, wieder herauspurzeln. Der Zar selbst bekommt von der Königin, die vielerlei Gestalten annimmt von der Haremsdame bis zum Animier-Girlie und die schließlich als Cleopatra-Zarin reüssiert, ein Hawaii-Blumendress mit Lendenschurz verpasst (Kostüme: Mechthild Seipel). Und im Epilog, wenn der Astrologe, alle Figuren außer ihm und der Zarin für frei erfunden erklärt, entpuppt sie sich als die Krankenschwester, die dem Rollstuhl-Fahrenden Astrologen am Tropf den Saft abdreht.

Einen satirischen Polit-Comic, der alle Regime karikiert, die sich nicht selbst reformieren können, will Homoki hier zeigen. Aber die Figuren agieren etwas schematisch. Die Führung des Chors wirkt nach einem wiederkehrenden Rein-Raus-Muster. Und zumal beim Gefolge der Königin merkt man doch schmerzlich, dass Opernhäuser auf ihre Ballette heute glauben verzichten zu können. Die tänzerische Leichtigkeit, die eine solche Aufführung bräuchte und die in Paris 1914 ja zu einer eigenen Tanzfassung der Oper in Michail Fokins Choreografie führte, erreicht sie nie.

Michail Jurowski am Pult tut mit dem Orchester der Komischen Oper sein Möglichstes, die zwischen seidenweicher Sheherazade-Farbigkeit und kindhaft-poltriger Melodik für den Zaren changierende Musik Rimski-Korsakows impulsiv und luftig zugleich über die Rampe zu bringen. Ein spielfreudiger Zar ist Carsten Sabrowski, Diane Pilcher in Rotkreuzjacke seine handfeste Nothelferin. Den Sicherheitsoffizier in Ché-Guevara-Look gibt fuchtelig James Creswell. Als Königin der Herzen darf Valentina Farcaş brillieren. Für den Astrologen hat man Jochen Kowalski auf die Bühne geholt, der mit seinem darstellerischen Können die kurzen Fäden zieht, bis das Staats-Schifflein ganz abgesoffen ist.

Es gab am Ende viel Beifall für die Sänger, fürs Inszenierungsteam aber reichlich Buhs. Zu viel zu Widerstreitiges wollte Homoki hier ineinander schichten. Es fügt sich nicht zum Ganzen. Und von der neuen, pointierten Übersetzung Werner Hintzes und Reinhold Anderts versteht man auch nur Partielles. Dabei entstammt die Vorlage der Oper einem Poem von Alexander Puschkin. Und der war bekanntlich Meister schillernder sprachlicher Vieldeutigkeit.


Crossculture mit Mozart

Die Hip H’Opera „Così fan tutti

4.-6.April 2006

Die Ouvertüre beginnt so, wie der Opernbesucher sie kennt: Mozart original. Aber gelegentlich mischen sich schon tiefe Elektrobass-Töne dazwischen. Die 40 Jugendlichen von der Tanzcrew beginnen sich zu bewegen, roboterhaft, sie schließen sich gleichsam auf. Und dann wird auch schon bald gewechselt in eine andere Klangsphäre. Der Test kann beginnen, den ein Herr im grauen Anzug mit zwei Jungs in Trainingsklamotten startet. Ob ihre Bräute auch wirklich treu sind?

Radikal gekürzt ist die Oper für dieses „Crossculture-Projekt“ mit der „Così“. 1/3 ist Mozart original, 1/3 Rap, 1/3 Fusion. Die beiden Männer sind gestandene HipHopper, die beiden Frauen Opernsängerinnen. Auch der Testmoderator Alfonso bleibt eher im Klassischen. Am fischigsten zwischen den Fronten bewegt sich Despina, die Zofe, versucht sich sowohl in einer Art klassischem Probenton wie im Rapgesang: Jasmin Shakeri, die tänzerisch und sanglich versierteste.

OSTROP: Das war der Grundsatz: Wir machen das pur. Wir lassen das pur aufeinander knallen.

So Anne-Kathrin Ostrop, die Theaterpädagogin der Komischen Oper. Sie hat das Projekt über die Monate betreut.

OSTROP: Es waren immer die tollsten Momente, wenn wir die nächsten Schritte in den Proben gegangen waren. Als plötzlich die Opernsänger mit den Rappern zusammen trafen. Die erste Probe war total spannend. Oder als der DJ das erste Mal gemeinsam mit dem Orchester geprobt hat. Also diese Momente wirklich der Begegnung.

Das Projekt lief parallel zu der „Così“-Produktion, die Peter Konwitschny und der Dirigent Kirill Petrenko dort im Herbst erarbeiteten. Man besuchte sich gegenseitig in den Proben.

OSTROP: Und plötzlich kam es zu Parallelen: dass die Jugendlichen merkten, Mensch der Petrenko ist ja Russe, so wie ich auch. Oder sie plötzlich erlebt haben – einer sagte, jetzt hab’ ich endlich verstanden, was pianissimo heißt.

Was das erstaunlichste ist, wie gut sich beide Sphären in dieser von dem Dirigenten Chatschatur Kanajan und dem Regisseur Markus Kosuch erarbeiteten Version gegeneinander behaupten, wie gut sie sich mischen. Als gleichsam siebente Figur fungiert hier der von der Choreografin Nadja Raszewski einstudierte Bewegungschor. Sie begleiten, kommentieren das Geschehen. Am Ende holen sie die durch den positiv - oder auch negativ - verlaufenen Test frustrierten Paare beim Marsch über den Catwalk ins reale Leben zurück. Gesucht worden waren die „tanz- und sangeswütigen“ Jugendlichen per Zeitungsannonce.

OSTROP: Manch einer von denen war noch nie vorher in seinem Leben im Theater und ist sehr böse gewesen auf die Eltern und Lehrer, die das nie gewagt haben, mit ihnen ins Opernhaus zu gehen. Und manche von denen tanzen, andere sind Klassikfreaks.

Anwenden lässt sich ein solches Collage-Verfahren gewiss nicht generell. Bei Mozart funktioniert es. Mozart hält es aus.

OSTROP: Die Oper ist stark. Sie wird überhaupt nicht angegriffen durch diesen Musikstil, der dazu kommt. Mir kommt die Cosi manchmal vor wie ein Sessel in diesem bekannten schwedischen Möbelhaus, der dauergetestet wird.

Mit immer wieder Szenenapplaus und standing ovations am Schluss feierten die Jugendlichen im Saal das gesamte Team, inklusive das Schüler-Orchester vom Musikgymnasium Carl Philipp Emanuel Bach. Einmal mehr zeigt sich, aufschlussreich gerade in der gegenwärtigen Diskussion, dass man mit klugen Angeboten Jugendliche für Klassik interessieren und auch begeistern kann. Man muss nur respektvoll auf sie zugehen.


Rosen mit scharfen Brocken

Andreas Homoki und Kirill Petrenko mit Strauss-Hofmannsthals „Rosenkavalier“

02.April 2006

Wie eine Fledermaus-Erscheinung aus einer anderen Welt wirkt der Auftritt des Sängers zum Lever der Marschallin. Der kahle weiße Raum ist ganz leer. Die Marschallin durchschreitet ihn langsam wie einen Korridor aus Licht. Immer wieder gibt es in Andreas Homokis „Rosenkavalier“-Inszenierung solche Inseln und Schneisen. Die Zeit scheint hier still zu stehen. Etwa auch wenn die Marschallin ihrer eigenen Vergänglichkeit inne wird und ahnt, dass sie ihren jugendlichen Liebhaber Octavian verlieren wird an die jüngere Sophie.
Als Komödie im Geiste von Mozarts „Figaro“ dachten sich Hofmannsthal und Strauss den „Rosenkavalier“ ursprünglich. Homoki hat das ursprüngliche Konversationsstück 1999 schon einmal in Basel inszeniert. Auf dies Konzept griff er zurück, nachdem er eine geplante Neuinszenierung von Richard Jones aus Kostengründen absagen musste. Den Charakter als Kammerspiel verstärkt Homoki trotz manch alberner Turbulenzen nun noch mehr. Ein enger Kasten mit Luken und Türen ist Frank Philipp Schlößmanns Bühne, durch den man gleichsam auf eine vergangene Epoche blickt.

HOMOKI: Der Umstand, dass man vom Vorabend des 1.Weltkriegs zurückschaut auf ein Rokoko, das es so nie gegeben hat, das idealisiert ist, das durch eine Künstlichkeit der Sprache auch bewusst als künstliche Kreation exponiert wird. Und wir führen das Geschehen aus dem Rokoko, in dem der erste Akt beginnt, über die Ereignisse, die dann eintreten, bis ins 20.Jahrhundert, dass man das Gefühl hat, der Raum selber ist etwas Durchlässiges. Durch diesen Raum weht die Zeit hindurch.

Kommt im zweiten Akt mit der verfehlten Werbung des Baron Ochs um Sophie die alte Welt schon ins Rutschen – im dritten Akt steht sie kopf. Die Möbel liegen durcheinander wie nach einem Bombeneinschlag. Baron und Marschallin haben hier keinen Platz. Sie streift ihren Reifrock ab und das Toupet. Die vergessene Silberrose schnappt sich ein Straßenjunge.

Format bekommt der Abend durch die Sänger, zumal den Octavian der Stella Doufexis mit ihrem schlanken Mezzo. Und besonders durch Kirill Petrenko am Pult des Orchesters der Komischen Oper. Die Partitur durchleuchtet er wunderbar scharfbrockig und süffig. Jubel am Ende.


Kannibalisch wohl

Händels „Orest“ mit Thomas Hengelbrock und Sebastian Baumgarten

26.Februar 2006

Alles ist hier anders. Das Orchester sitzt nicht im Graben sondern wie bei Brechtens hinten auf der Bühne. Ein eigentliches Bühnenbild gibt es nicht. Nur Versatzstücke und Videoeinspielungen. Die Sänger selbst müssen sich beteiligen als Kameraleute. Oder sie müssen wie bei einer Wanderbühne die (Betttuch-)Leinwand halten für den Einleitungsfilm. Da wird, etwas umständlich und in Großbuchstaben, die Vorgeschichte dieses Orest erzählt. Und es wird der eigentliche Ort der Handlung lokalisiert in schimmrigen Seebildern: Tauris, die heutige Krim.

Als (Continuo-)Spieler für die Rezitativ-Begleitung sitzen denn auch zwei als Matrosen gekleidete Musiker mit auf der Vorderbühne. Der eine mit Balalaika, der andere mit Akkordeon. Die spielen nicht unbedingt, was in den Noten von Händel steht, sondern gelegentlich auch Schräges, quatschen auch schon mal russisch dazwischen. Der Akkordeonist hält immer auch den Finger auf der „Clear“-Taste, wenn’s allzu heftig wird. Eine Art lang gezogenen hohen Tinitus-Ton sendet er da dazwischen. Und die beiden dürfen auch allweg Brotzeit machen. Ein Rädchen Wurst, ein Bissen Brot, ein Scheibchen Paprika, einen Schluck Wasser – oder auch die namensgleichen härteren Wässerchen.

Essen ist überhaupt sehr wichtig im Reich des hier regierenden Thoas, bei dem Iphigenie Priester-Dienst tut und auf die Orest bei der Suche nach psychischer Linderung für seinen Muttermord trifft. Die Göttin Artemis als eine Art Küchenmamsell mengt (per Video) derweil ununterbrochen in einer Riesenschüssel einen Teig an, um das Opferfleisch bekömmlicher zu machen. Am Ende hängt allerdings Werbung für die Fritten einer weltumspannenden Fastfood-Kette an den Wänden der Spielzeug-Hochhäuser.

Da ist der Menschenfresser-König Thoas, der anfangs an jedem Eindringling in seine Halbinsel wie ein Stier auf Essbarkeit hin schnüffelt, schon gestürzt. Nach der Palastrevolution wird er selber in der Kiste verpackt, in die er zuvor Hermione, Orests Frau, die ihm folgte, eintackern wollte. Der Guantanamo-Käfig mit Überwachungskamera, in dem deren Begleiter Pylades und dann auch Orest, eingebuchtet wurden, ist geschlossen. Und das Geschwisterpaar Iphigenie-Orest genießen die neue Macht. Iphigenie hat ihre Scharfrichtermaske und das viel zu schwere Beil in Ruhestand geschickt. Sie sitzt jetzt Orest auf dem Schoß und der im Rollstuhl.

Hermione muss mit Pylades dem neuen nepotistischen Herrscherpaar den Sonnenschirm halten bei der Spritztour im Boot vor der Schwarzmeerküste. Alle gemeinsam haben sie sich zuvor noch an Thoas’ Fleisch gelabt, bis die Münder vor Blut troffen. „Alle Ängste sind vorbei“ heißt es zum Opernschluss im obligaten lieto-fine-happyend. Wohl kaum. Das Fressen und Gefressenwerden geht weiter. Nur die Konstellationen haben sich geändert. Kannibalisch wohl.

Man kann Händel so spielen. Zumal ein solches „Pasticcio“ wie dieses aus dem Jahre 1734, in dem der in Geldnot geratene Barockgroßbäckermeister die schönsten seiner Arien mit einem neuen Libretto – unter Anweisung wohl der Küchengöttin Artemis – zusammen „gemengt“ hat. Und der Rückgriff auf eine Brechtsche Spielweise in modernisierter Trash-Form ist nur legitim, bedenkt man die Ableitung der Dreigroschenoper aus der Massen-Bäckerkonkurrenz der Barockzeit. Sebastian Baumgarten, der Regisseur dieser Neustrukturierung des Händelschen Orest, hat hier mit seiner Vorliebe für fragmentarisierende Aufbrechung von tradierten Kunstwerken einen glücklichen Griff getan.

Allerdings bedurfte es dazu eines Dirigenten, der kreativ an diesem Konzept mitarbeitete. Und was Thomas Hengelbrock an diesem Abend aus den Musikern des Orchesters der Berliner Komischen Oper heraus holt an geschliffen perlendem Händel-Klang, ist einfach phänomenal. Der eigentliche Glücksfall. Dazu kommen Sänger, die musikalisch wie darstellerisch mit allen Fasern dabei sind: Valentina Farcaş, eine wunderbar schnippische wie resolute Hermione, Maria Bengtson, eine furiante, schwer an ihrem Beil schleppende Iphigenie, Charlotte Hellekant, ein so versonnener wie zupackender Orest. Vorbildlich die Textverständlichkeit, gefördert allerdings durch das Spiel fast immer auf der am Globe theatre orientierten Vorbühne.

Es gab am Ende auch vehemente Buhs für die Aufführung. Aber Baumgarten hat seine Methode des fragmentarischen Inszenierens an gewiss untauglicheren Objekten erprobt. An diesem Abend geht sein Kalkül auf – auch wenn es manchem Opernbesucher fremd erscheint, den Alltag heute so „nackt“, wenn auch so substanziell, auf die Bühne geholt zu bekommen. Gewiss auch scheint das Konzept der Videoeinspielungen arg überstrapaziert, denn nur dann, wenn Baumgarten zu theaterspezifischen Mitteln greift, springt der Funke. Auch stimmt das Timing nicht. Die 135 Minuten ohne Pause sind am Ende doch etwas lähmend lang. Insgesamt aber ein geglückter, ein wichtiger Abend fürs Musiktheater heute.


Verlorene Vitalität

Astor Piazzollas Tango-Operita „Maria de Buenos Aires“

22.Jan. 2006

An der Komischen Oper bekam Katja Czellnik eine neue Chance. Mit Benjamin Brittens Peter Grimes eher gescheitert, versucht sie sich jetzt an Astor Piazzollas Maria de Buenos Aires. 1999 hatte sie das schon mal inszeniert in Kiel. Ihr Bühnenbildner von dort, Bernd Damovsky, ist auch ihr Ausstatter jetzt. Er hat einen türkishellen Kasten gebaut. Wie eine Ausstellungskoje.

Die 1968 entstandene „Tango-Operita“ hat etwas Mystisches, Magisches. Es ist eine Metapher auf Piazzollas Versuch, den Tango neu zu kreieren aus den Ursprüngen, damals gegen heftige Widerstände. Katja Czellnik versucht mit ihrer Inszenierung an das Existenzielle dieser Musik anknüpfen. Aber da es kein Tanztheater mehr gibt an der Komischen Oper, arbeitet sie mit Laiendarstellern. Mit ihnen baut sie bewegte Bilder. Die Darsteller haben jeder ein Spielzeug-Bandoneon, ordnen sich mal in Reih und Glied, rennen gegen die Wand, blasen auf dem Instrument, versuchen von ihm als Startrampe abzuheben, drängen sich in Paaren Rücken an Rücken. Dazwischen gleitet El Duende, der Geist des Bandoneons als Alter Ego Piazzollas. Er versucht Maria, die gleichsam Seele des Tango und einer verlorenen Vitalität, zu erhaschen.

Mit der Argentinierin Julia Zenko hat man eine Maria, die den Geist dieser Musik und ihres besonderen auch sprachlichen Milieus inwendig kennt. Gleiches gilt für den Duende des Daniel Bonilla-Torres. Den eher kryptischen Text von Horacio Ferrer behält man im Original bei; erstmals an dem Hause arbeitet man mit Übertiteln. Tango tanzen sieht man lediglich ein Paar – eher karg für die neunzig Minuten Spieldauer. Und das etwas Laienhafte der an Pina-Bausch-Vorbildern sich orientierenden Choreografie ist leider auch nicht zu übersehen. Dennoch gab es am Ende in der Komischen Oper viel Applaus, zumal für die Musiker unter dem Bandoneon-Spezialisten Per Arne Gorvigen, für Katja Czellnik und ihr Team aber auch Buhs. „Oper akut - neue Werke, neue Formen“ nennt sich die Reihe. So neu war das nun wirklich nicht.


Bei Königs im Matratzen-Lager

Ernst Tochs „Prinzessin auf der Erbse“

04.Dez. 2005

Probestrampeln im Matratzenlager König. Elf Schichten hoch muss die „Prinzessin“ sich betten. Zwischen Matratze zwei und drei ist eine Erbse versteckt. Die Wahrheit ist nicht von vorn sondern hinten, weiß Mutter König. So verordnet sie der Braut ihres Sohns einen besonderen Sensibilisierungs-Test: Die junge Frau soll durch viele pfühlweiche Deckenschichten hindurch die Rundung einer Erbse spüren.

1927 hat Ernst Toch nach dem Märchen von Hans Christian Andersen seine Oper von der Prinzessin auf der Erbse komponiert. Die Musik mit ihrer an Prokofjew und Hindemith erinnernden Motorik und den eingängigen Kinderliedern ist vor allem rhythmisch prägnant. Von der Gefühligkeit eines Humperdinck und seinem Kinder-„Klassiker“ Hänsel und Gretel hat sie nichts. Für den Versuch der Berliner Komischen Oper, einen alternativen Versuch mit einer Kinderoper zu Weihnachten zu wagen, hat das Regieteam um die junge Cordula Däuper, Tochs eigentlich für Erwachsene und als märchenhafte Satire auf adeligen Dünkel geschriebene Oper umformatiert. Sie haben es aufgebrochen mit Dialogen und ihm eine Rahmenhandlung verpasst, die das Stück ins Heute holt.

So finden wir den Prinzen nicht mehr in einem Schloss. Die Königs sind ganz bürgerliche Besitzer eines Matratzengeschäfts und die königlichen Minister zwei Angestellte der dickeren & dooferen Art, die mit allerlei Slapstickeinlagen die Matratzen zu Hochbetthöhe aufschichten für den Prinzessinnen-Testschlaf. Allerdings ist die Prinzessin kein Hypersensibelchen mit einem besonders feinfühligen Hintern. Ihr Liebster, der Prinz, spioniert immer eifrig aus, was die Eltern und ihre Helfer an Gaunereien aushecken. Mit ihrem Versteckspielen tricksen sie die Alten aus. Am Ende macht die Test-Prinzessin so viel Pseudo-Terror, dass Polizei, Feuerwehr und die ganze Nachbarschaft einschließlich Blinden anrücken. Aber das Ziel Liebesheirat ist erreicht.

Als Weihnachts-Märchen-Ersatz funktioniert das bei den Kindern der Premieren-Vorstellung in der Berliner Komischen Oper ganz gut, auch wenn einige Gags arg abgewetzt und gar nicht so plastikverpackt niegelnagelneu erscheinen wie die vielen schönen Federkernmatratzen. Vor allem mit Prinz und Prinzessin konnten die Kinder sich als positiven Identifikationsfiguren anfreunden. Die grotesken Dienerfiguren fanden, wie eine private Umfrage zeigte, weniger Anklang. Wolfgang Wengenroth leitete das auf die linke Hälfte des Grabens zusammen geschrumpfte Orchester mit Verve. Die rechte Hälfte des Orchestergrabens ist überbaut, sodass das Geschehen rampennäher präsentiert werden kann. Vom Text versteht man aber auch so fast nur die Dialoge.

Von den Sängern gefiel vor allem Miriam Meyer als „Prinzessin“ und Bettina Jensen als Frau „Königin“, die immer mal wieder per Lautsprecherdurchsage ihre Angestellten zur Kasse zitiert. Gespielt wird etwas überzeichnet affektiert – so wie man sich Theater für Kinder halt vorstellt. Toch, der 1933 vor den Nazis fliehen musste und nach dem Krieg fast vergessen im amerikanischen Exil starb, hätte sich sicher dennoch gefreut, seine Oper so eingesetzt zu wissen. Die Komponisten jener Zeit waren weniger eitel als manche Macher heute. Was einen dennoch stören kann, ist die Reduzierung auf einen bestimmten als volkstümlich vermuteten Stil. Immerhin hat die Komische Oper trotz des schwerwiegenden Unfalls mit einer eigens neu komponierten Kinderoper in der vergangenen Saison sich auf diesem Feld der Nachwuchspflege nicht entmutigen lassen. Weitere Ansätze wären wünschenswert.


Swinger Safari - philosophisch

Peter Konwitschny und Kirill Petrenko machen den Elch-Test bei Mozarts Così fan tutte

20.Nov.2005

Traum-Frauen

Calixto Bieito mit Puccinis Butterfly

25.Sept. 2005
 

Zynisch-aufreizend die Werbung der Komischen Oper für ihre neue Produktion: „Nach Tsunami neue Sexwelle“. Doch der Skandal blieb aus. Die Buhs und Bravos am Ende waren heftig aber kurz. Gleichsam mit angezogener Handbremse oder Unterwäsche lässt Regisseur Calixto Bieito das Spiel um die junge Asiatin Cio-Cio-San ablaufen, die sich als Dollarprinzessin von einem Amerikaner auf Urlaub heiraten lässt und dann mit ihrem Kind sitzen bleibt.

Einen Sex- und Massagesalon à la Pattaya mit allen pink- und plastikfarbenen Ingredienzien wie Muschel-Badewanne und Fitnessgeräten zeigt die erste Szene. Das Warten auf den entfernten Yankee dann in einer immer leerer geräumten tristen Behausung. Pinkerton als Cowboy in Weißgold reitet nur im Traum den Spielzeugstier. Und als er dann mit Ehefrau, Scheck und Geschenken endlich aufkreuzt, hat Cho-Cho-San schon ihr Kind und ihre Vertraute Suzuki umgebracht. Verloren und einsam steht sie da, das blaue Papier, den US-Pass schwenkend, auf dessen blaue Sterne sie wohl eigentlich schielte. Sie hat sich verrechnet.

Ein starker Schluss in einem ansonsten eher lauen Abend, auch musikalisch unter der Leitung von Daniel Klajner und mit einer Butterfly, Juliette Lee, die eher durch ihre zarten Töne anrührte als die großen Ausbrüche.  Man spielte das Werk in der vom früheren Intendanten Joachim Herz hergestellten und mit viel Erfolg auch weltweit exportierten Fassung. Herz durfte nach der Vorstellung im mit dunklen Spiegeln, graublauer Decke und Wechselleuchtwänden wie bei einer Bio-Sauna neu renovierten, aber etwas gruftig geratenen Foyer die Ehrenmitgliedschaft des Hauses entgegen nehmen. Ein, wie Intendant Andreas Homoki meinte, „überfälliger“ Akt.


Papiergeschnetzeltes für den Macho

Andreas Homoki inszeniert Tschaikowskys Eugen Onegin

22.Mai 2005

Gedacht hätte das bis vor wenigen Jahren noch keiner, dass die Berliner Komische Oper einmal ein Markenzeichen vor allem auch für musikalische Ereignisse der Extraklasse sein würde. Zumal wenn ihr Chefdirigent Kyrill Petrenko im Graben agiert, darf man Besonderes erwarten. Jetzt hat er sich Peter Tschaikowskys Eugen Onegin-Partitur gewidmet. Temperamentvoll, feinfühlig, expressiv, bis ins kleinste Detail durchleuchtet fächert er diese Musik auf mit ihrer Einschmelzung russischer Folklore, ihrem Wagnerschen Lohengrin-Glanz und der sublimen Mozartschen Delikatesse. Kein Fett, keine lastende Schwermut, nirgends. Dass der große Apparat nicht immer ganz exakt zusammen ist, nimmt man angesichts einer lebendig durchpulsten Agogik gern in Kauf.

Regisseur Andreas Homoki zeigt die Puschkinsche Figur vor allem als Wohlstandsmenschen von heute: übersättigt, oberflächlich, blasiert. Stets grinsend, machohaft mit angewinkelten Knien, in Fußballer-Trikot (Fanclub Brasilien), Turnschuhen, weißem Stenz-Anzug segelt er mehr über die Bühne, als dass er geht. Und erst ganz zum Schluss, wenn er behauptet, Tatjana wirklich zu lieben, zeigt er sich in gesetzterem Braun (Kostüme: Mechthild Seipel). Beim Duell mit seinem Exfreund Lenski will er eigentlich sich schon selber die Pistole ansetzen – nur einen einzigen Revolver hat der Sekundant mitgebracht. Aber dann entreißt Lenski ihm den und erschießt sich. Dafür macht Onegin beim Ball in Petersburg gleich weiter mit russischem Roulett, läuft Amok und ballert um sich herum, dass alle in Deckung gehen. Freilich das Magazin ist fast leer.

Hartmut Meyer hat eine starre Einheits-Bühne gebaut mit dem Charme einer Flughafenlounge. Ein Irrgarten ist das mit fest eingepfählten Drehstühlen. Die Airline, mit der es hier im rasenden Stillstand rund um die Welt geht, heißt erst „Sommer“ dann „Winter“ – an der Bühnenrückwand geschrieben in russischen Lettern. Auf Erzählzeit und –ort darf man hier ansonsten sich nicht versteifen. Und der Chor bewegt sich auf dem stark angeschrägten Feld herein und heraus, als ob der Traffic auf dem Rollfeld immer Hochsaison hat, mal einzeln, mal in Gruppen, aber nicht besonders individualisiert. Tatjana ist ein Mädchen mit dem Walkmanknopf im Ohr und Buch unterm Arm. Wenn sie ihren nächtlichen Liebesbrief aufsetzt, gucken ihr die Chorfrauen über die Schultern. Onegin, dem sie ihn schreibt – und man fragt sich ständig: warum eigentlich schreibt sie ihm einen Liebesbrief? – überlässt den auch schon mal den ihn umkreisenden Voyeuren. Wenn er ihn Tatjana zurückgibt, zerstückelt die ihn in kleinste Schnitzel. Und zugleich zerfleddert sie das Buch, aus dem sie ihre Liebesergüsse sog.

Viel Tempo ist in dieser Aufführung, aber auch viel Leerlauf, vom Publikum mit starken Buhchören quittiert. Immerhin das sängerische Niveau der Aufführung ist höchst erfreulich, auch wenn die Tatjana der Sinéad Mulhern eine vielleicht doch etwas zu kleine Stimme hat. Beeindrucken kann James Creswell als Gremin, ein fast jugendlicher Fürst mit dicker Hornbrille und rotblonden Haaren, bei dem Tatjana ohne viel Verzicht angekommen scheint. Die Olga von Hilke Andersen ist ein eher oberflächlicher Backfisch, der ganz gut zu Onegin passen würde. Dass dieser Onegin (Gabriel Souvanen) seinem etwas hypertrophischen Freund Lenski (Matthias Klink) auch schon mal in die Eier greift und vor dem letalen Ende ihn inbrünstig küsst, soll ein autiobiografischer Hinweis auf den Komponisten sein, wenn auch nur bedingt triftig. Insgesamt bleibt doch vieles von der Partitur hier auf der Strecke, so modern diese Aufführung sich auch gibt.


O heilige Jungfrau!

Willy Decker inszeniert Brittens Albert Herring

6.März 2005

Wer redet eigentlich heute noch von Tugend? Der Hit ist es nicht gerade, was Britten in seinem Albert Herring thematisiert. Für Regisseur Willy Decker ist der Tugendbegriff „in Verruf“ geraten, weil damit manipuliert wird. „Die Gesellschaft bedient sich einer formulierten Moral, um vor allem ihre jüngeren Mitglieder bei der Stange zu halten, ihre Ausbruchsversuche auszubremsen“, sagt er. Für Decker geht’s in diesem Stück vor allem darum. In einem britischen Städtchen soll alljährlich das tugendhafteste Mädchen zur Maienkönigin erkoren werden. Doch diesmal findet man keine heilige Jungfrau. Stattdessen wird Albert, ein etwas schüchterner schlaksiger Junge gewählt. Und der weiß auch jetzt wieder nicht, wie ihm geschieht. Es ist eine sehr britische Komödie in einem England, das sich hier karikaturistisch den Spiegel vorhält. Und auch Britten selbst hat sich mit seinen musikalischen Vorlieben für Wagner und die Märsche der Heilsarmee in dieser Oper sanft ironisiert.

Von Ausstatter Wolfgang Gussmann hat sich Decker eine lindgrüne Konzertmuschel bauen lassen. Davor und hinter deren schwarzer Rückseite lässt er das 1947 uraufgeführte Stück spielen. Ein Panoptikum von Kleinstadtchargen marschiert auf, die beim Fest mit Torte, Creme und Alkohol der Reihe nach aus der Rolle kippen. Eher ungläubig in der Mitte: Albert, mit Sparbuch, Sparschwein und Märtyrerchronik behängt und beglückt. Hier im Festbild werden Stück und Interpretation am glaubwürdigsten. Und am Ende ist Albert nicht mehr der, der er war. Nach der durchzechten Nacht will auch er das Leben genießen, startet mit den ihn anhimmelnden Kleinstadt-Schönen nach London. Den etwas vagen Schluss hat Decker geändert. Schon bei der Uraufführung war Britten das eher unentschlossene Finale angekreidet worden. Decker öffnet da ein Türchen. Mitten durchs Parkett geht’s mit Albert hinaus ins städtische Nachtleben.

Viel Beifall gab’s am Ende bei der Premiere in der Berliner Komischen Oper, zumal für den langsam sich frei spielenden Finnur Bjarnason in der Titelpartie. Aber auch etwas Ratlosigkeit hinterlässt diese zwischen den eher düsteren Peter Grimes und Billy Budd als gleichsam Satyrspiel eingeschobene Komödie. Etwas länglich wirkt sie, zumal die Textverständlichkeit zu wünschen übrig ließ. Das Stück ist trotz Brittens autobiografisch motivierten Bemühungen um Außenseiter wirklich sehr sehr britisch. Der Humorfaktor doch eher verinselt fern.


Wo sind meine Kontakt-Linsen?

Barrie Kosky nimmt sich des Figaro an

Schrankwände haben’s dem australischen Regisseur Barrie Kosky und seinem Bühnenbildner Klaus Grünberg angetan. Sie türmen, sie stapeln sich, sind Versteck, Schlafkammer, Sarg oder Schuhregal. Und natürlich fehlen immer wieder die Schlüssel, und der leidgeprüfte Herr Graf muss mit Golfschlägern oder Bohrmaschinen – er braucht wirklich gleich ein Paar – drauf los, um sie zu öffnen. Eine besonders witzige oder witzig gemeinte Variante ist das Zimmer, das der Graf seinem Figaro und dessen präsumtiver Braut Susanna zu überlassen angedroht hat, eine Durchreiche mit allerhand Klappen, auf denen es sich sitzen lässt wie auf einer Kloschüssel, oder durch die es sich wirklich verschwinden lässt. Für den Grafen das geniale Versteck seiner diversen one-night-Bräute. Die Personalversammlung seines gesamten Schlossgesindes vermittelt ihm jedenfalls ein wohliges Gefühl von Stehmatratzen-Sardinenbüchse.

Die Hochzeit des Figaro an der Komischen Oper. Eigentlich von Wolfgang Amadeus Mozart und seinem Librettisten da Ponte. Hier in einer an die Marx Brothers angelehnten freieren Version. Natürlich deutsch in einer schönen neuen Übersetzung, sofern man was akustisch davon versteht. Die Figaro-Neuinszenierung setzt den Mozart-Zyklus fort, der so hoffnungsvoll mit Peter Konwitschnys Don Giovanni-Version begann und den dann von Calixto Bieito mit der Entführung in andere erogene Zonen sich vertiefte. Höhepunkt in Koskys Figaro-Einrichtung ist eine Hochzeit, die Doppel-Hochzeit der Paare Figaro/Susanna und der wieder gefundenen Eltern Figaros. Kosky, selbst Jude, gestaltet sie nach jüdischem Ritus mit Baldachinen und Herumtragen der Brautpaare auf Stühlen. Orientalisches hatte Regisseur Kosky aus Mozarts Musik heraus hören wollen. Die meiste Zeit freilich sucht die versammelte Hochzeits-Gesellschaft nach den verlorenen Kontakt-Linsen der älteren Braut.

Und dann ist da noch die Gartenparty. Zentnerweise Äpfelchen werden dazu aus einer turmartigen Schütte auf die Spielfläche gekippt. Zum einen dienen sie als Versteck, zum anderen auch als eiserne Ration, wenn sonst nichts zu greifen ist. Und immerhin – sie vertreiben den Alkoholdunst der reichlich bechernden und über die sonst leer geräumte Szene torkelnden Hochzeits-Gesellschaft mit angenehm fruchtigen Wohlgeruch. Cherubino freilich, angeduselt wie er ist, verwechselt den Haufen – wohl bekomm’s – mit einem Pissoir. Späße dieses Kalibers prägen Barrie Koskys Neuinszenierung. Immerhin gesungen wird auf hohem Niveau. Zumal Maria Bengtsson als Gräfin und Brigitte Geller als Susanne können beeindrucken, aber auch Carsten Sabrwoski als Figaro und Tom Erik Lie als Graf. Kirill Petrenko hat sein Orchester bestens präpariert. Sein Mozart-Klang ist präzis, geschliffen, fein abgestuft. Aber man spürte auch eine gewisse Distanz zum Bühnentreiben. Am innigsten klingt sein Orchester in den leisen, nach innen gekehrten, der slapstickhaften Betriebsamkeit entzogenen Partien.

Das Publikum zeigte sich gleichwohl beifallsfreudig wie immer an diesem Haus trotz kleiner Havarien und sonstiger Unpässlichkeiten am Premierenabend. Hinwegtäuschen kann das indes nicht über die gähnende Langeweile, die solch boulevardeske Knallfrosch-Komik auch auslösen kann. Mozart in der Bütt, das Verfallsdatum ist begrenzt.


Pikant - gegen die „Kraut und Gemüse“-Beliebigkeit

Hans Neuenfels inszeniert Schostakowitsch: Lady Macbeth von Mzensk

21.Nov. 2004

Höchst detailgenau ist diese Aufführung gearbeitet und von wohltuender Strenge. Gisbert Jäkel setzt ins Zentrum der Bühne ein kastenförmiges Doppelbett, Kampfplatz der Lust und Leiden dieser Lady Macbeth. Wie ein Monument ragt es auf einer polierten Steinplatte. Eine Art Gatter umgrenzt es wie ein Grab - oder wie einen Boxring. Um die Spielfläche läuft eine Galerie von Türen wie von Abhörkabinen. Katerina wälzt sich auf dem Bett in ihrem fliederfarbenen Kleidchen zu Anfang hin und her, zertrampelt das Kopfkissen, zerrt an den Schnüren um ihre Brust. Alle Figuren, auch die Knechte und Mägde, laufen hier in Monturen eingeschnürt wie Pakete. Katerinas Mann Sinowij trägt um den Hals einen goldenen Bilderrahmen wie einen Kragen. Der seine Lüsternheit mühsam zügelnde Schwiegervater greift sich immer wieder an den steifen rechten Arm. Mit seiner weißen Nachtmütze wirkt er, eine Ochs-von-Lerchenau-Parodie, wie ein Gespenst (Kostüme: Elina Schnizler).

Ganz bildlich will Regisseur Hans Neuenfels die Unterdrückung von Menschen zeigen, die eingepresst sind in ein System. Als „verzweifelten Amoklauf einer Frau zwischen Traum und Realität“ versteht er die Suche dieser Frau nach Liebe. Sie wird dabei zur Mörderin an Schweigervater und Ehemann und stirbt auf dem Weg ins Lager. Für Dmitri Schostakowitsch waren diese Ismailows eine „ganz normale russische Familie, deren Mitglieder sich schlagen und vergiften“. Stalins Verdikt gegen die Oper 1936, zwei Jahre nach der Uraufführung und fast hundert Aufführungen in Moskau und Leningrad, wegen angeblich überhitzt dargestellter Liebesnächte machte aus dem „grünen Bengel“ Schostakowitsch, wie er sich selbst sah, den „Volksfeind“.

Neuenfels tappt nicht in die Falle, die Sexszenen allzusehr herauszukitzeln. Er zieht lieber einen „Blackl“, wenn’s allzu hitzig wird auf der Bühne. In seiner Inszenierung mischen sich erzählte Zeit und Entstehungszeit der Oper. Katerina ist eine Blondine in 1930er-Jahre-Frisur. Ihr Liebhaber blättert auch schon mal rotjackig in der „Prawda“, das Stalin-Porträt auf der Titelseite schnell überblätternd. Eine Figur in Schostakowitsch-Maske fragt den örtlichen Polizeichef, ob nicht auch Frösche eine Seele haben. Herrlich leicht die Parodie dieser Tee trinkenden und ihre Pistolenschäfte streichelnden Ordnungstruppe in karnevalesk-grünem Satin. Derwischhaft auch der Pope in seinem eigelben Talar; am liebsten würde er ja sich selbst auf dem Schoß der Lady einnisten. Aber Neuenfels wäre nicht Neuenfels, gäbe es nicht auch einige hinzuerfundene Figuren. Hier sind es drei halbnackte Männer mit schwarzen Übermänteln und rot flammenden Haaren: Hexen à la Shakespeare. Sie halten die Mühlräder der Triebe und des Todes in Gang, sie geben Katerina (nach ihrem letzten Mord aus Eifersucht an der neuen Geliebten ihres Mitverurteilten Sergej) den letzten Tritt in die Grube.

Erstmals inszeniert Hans Neuenfels an der Komischen Oper. Nach seiner letzten Berliner Produktion, Mozarts Idomeneo an der Deutschen Oper, schien er zunächst ein von den Musikbühnen der Stadt Verbannter. Ioan Holender, der Wiener Operndirektor und Interims-Administrator an der Deutschen Oper, hatte ihm wegen Querelen zuvor in Wien den Laufpass gegeben. Die Arbeit jetzt am einstigen Felsenstein-Haus ist eine Tat, ein Akzent gegen die landläufige „Kraut und Gemüse“-Beliebigkeit – nicht ohne Pikanterie. Die Stringenz von Neuenfels’ Theatersprache sticht deutlich ab auch von dem, was man sonst hier in den letzten Jahren zu sehen bekam. Das Premieren-Publikum jedenfalls zeigte sich begeistert, bejubelte insbesondere Anne Bolstad als so lebenssüchtig-kokette wie leidende Katerina, den endlich wieder zu einer adäquaten Aufgabe geforderten Chor und das gesamte Team. Vassily Sinaisky am Pult entfesselt hellsichtig die Partitur Schostakowitschs zu einem tönenden Kosmos. Ein Meisterwerk der Moderne, meisterhaft realisiert.


Rotierendes Mobile

Hans Zenders Don Quijote als Gastbeitrag der „Zeitgenössischen Oper“

24.Okt.2004

Ein bisschen wie Slalomfahren wirkt das derzeitige Angebot der Komischen Oper. Mal entdeckt man die Traditionen des Hauses als einstige Fluchtburg fürs Rotlichtgewerbe, mal versucht man sich als Hort des Nachwuchses mit knorrigen Studio-Produktionen. Dazwischen der eher verunglückte Versuch mit dem makabren „Thriller“ von Stephen Sondheims Sweeny Todd sich ins Musical-Geschäft einzuklinken – freilich mit einer sehenswert schrägen Dagmar Manzel als kruder Menschenfleisch-Pastetenbäckerin Mrs.Lovett. Nun gewährt man unterm schmissigen Label „Komische Oper ’Akut“ der „Zeitgenössischen Oper“ Gastrecht. Die Off-Truppe um den Dirigenten Rüdiger Bohn und die Regisseurin Sabrina Hölzer hat seit der Umformatierung des Hebbel-Theaters zum Szeneschuppen „hau1“ keine rechte Basis mehr.

Vorgenommen hat man sich Hans Zenders vor etwa zehn Jahren in Stuttgart uraufgeführtes „Theatralisches Abenteuer“ von Don Quijote de la Mancha. Das eigentlich zweiaktige Werk hat man verkürzt auf gute achtzig Minuten. Zender selbst hat Eigen-Bearbeitungen als Möglichkeit vorgesehen. Die Umsetzung dieses musikalischen Setzkastens zu einem szenischen ist freilich ein Theater der arg kurzen Wege. Ausstatterin Mirella Weingarten hat dafür ein dreistöckiges Gestell entworfen, in das die Figuren oft wie Scherenschnitte eingepasst werden. Dort dürfen die wie Blondy-Cats aufgemachten Sänger ihre Texte singen und sprechen – trotz Verstärkung leider nur gelegentlich verstehbar. Oder sie dürfen mal trappelnde Bewegungen machen oder die Beine von der einen Seite auf die andere überschlagen, am Ende in Kürzest-Slapstick-Bildern sich präsentieren.

Ohnehin hat man bei der Truppe ja einen eher statischen Begriff von Theater. Was wir an dieser theatralischen Aktion entdecken könnten als Zeitbezug, wird denn auch so recht nicht erkennbar. Auch ist der Humorfaktor doch reichlich begrenzt. Zwar hat die Ausstatterin an dem Bühnengestell eine Art Mobile angebracht mit rotierenden Windmühlenrädern und einem im Kreis galoppierenden Ross Rosinante, Sancho Panza darf schon mal auf einem ulkigen Draht-Dreirad durch die Gasse preschen. Aber so recht will der Funke nicht springen. Am besten noch die rein instrumentalen Zwischenspiele, wo Zender endlich auch mal den Musikern Futter gibt. Und mit Tom Sol hat man auch einen einprägsamen Hauptdarsteller, der am Ende sich oben im Dachfirst zur Ruhe betten darf wie ein betagter Hütehund.

Ein bisschen wird die Komische Oper wohl noch an ihrem neuen Profil feilen müssen. Als Geschenkpackung, wie sie sich mit dem dicken roten Band ums Haus neuerdings präsentiert, kann man sie nach der Abwicklung der Tanzsparte so recht noch nicht wahrnehmen.


Verschenkt

Sweeney Todd – der Musical-„Thriller“ zum Erblassen

26.Sept.2004

Die Produktion wird getragen einzig von Dagmar Manzel in ihrem Musical-Debut. Als Mrs. Lovett ist sie eine wunderbar schräge, kauzig überdrehte Pastetenbäckerin, die mit dem rachsüchtigen Mr. Todd gemeinsame Sache macht. Der (Roger Smeets) rasiert auf dem Barbierstuhl etwas gründlicher als gewohnt, und sie verarbeitet die Leichen zu leckeren Pasteten. Aber bitte nicht mehr als eine pro Tag!

Die Musik von Stephen Sondheim kommt trotz des schwarzhumorigen Sujets übder den üblichen Musical-Sound nicht hinaus. Dafür ist der Aufwand umso größer, das mit „Sound-Design“ und sonstigem PiPaPo auf die Bühne und über die Lautsprecher zu bringen. Die Inszenierung sollte eigentlich der Sado-Hammer werden. Aber als der avisierte Regisseur Hans Hilsdorf Calixto Bietos Entführung ansichtig wurde, erblasste und erkrankte er auf Nimmer-Wiedersehen.

Der als Arrangeur eingesprungene Librettist Christopher Bond macht braves Rampen-Stehtheater. So richtig was für ein Haus, das nicht müde wird, auf seine lebendige Felsenstein-Tradition zu verweisen. Schade um das viele Geld, um die genasführten Besucher. Dabei ist das Jack-the-Ripper-Sujet durchaus virulent und von einiger Substanz. Verschenkt.


Windungen

„Sechs abseitige Kurzopern“ - Ein Studioprojekt zum Saisonauftakt

10.09.2004

Aus einem mit rotem Plastikmaterial bezogenen Spielkasten fliegt etwas Buntes hoch. Wie halb aufgeblasene Luftballons sieht es zunächst aus. Beim näheren Hinsehen entpuppt es sich dann als ein Meer von bunten Plastik-Raschern, die den Kasten füllen. Lange hört man dazu nur die verlorenen Klänge des Hackbretts. Dann erheben sich aus dem Spielkasten langsam zwei Figuren, eine Frau und ein Mann. Sie scheinen miteinander zu feixen, einander zu necken. Sie hängen ihre Körper über die Brüstung, mal in die eine mal in die andere, meist entgegen gesetzte Richtung. Die Frau versucht den Mann zu einer Reaktion zu animieren. Ohne Antwort. Ihr Ton wird immer schriller. Schließlich brüllt sie ihn an: Er soll doch endlich sagen, ob er sie liebt. Er bleibt stumm, wendet sich ab, windet sich in einem Tanz. Dann geht sie. Sie wollen nur noch ihre Ruhe.

K(l)eine Morgenstern-Szene heißt das etwa 15-minütige Stück. Der junge Komponist Jörg Widmann schrieb es vor einigen Jahren. Es ist eine, die interessanteste (Regie: Nurkan Erpulat, Ausstattung: Florent Martin, Sopran: Dana-Aliza Muszkatblit, Tänzer: Jean Marc Lebon) von sechs „abseitigen“ Kurzopern, wie es neckisch im Einladungstext heißt mit der die Berliner Komische Oper ihre Saison eröffnet. Als Ausführende angekündigt sind Studierende aller vier Berliner Kunsthochschulen, der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“, der Kunsthochschule Weißensee und der beiden Musikhochschulen mit ihren Bühnenbild-, bzw. Regie- und Musikerklassen. Die Morgenstern-Szene sieht man etwas später noch in einer anderen früheren Fassung des von den Nazis vertriebenen Komponisten Ernst Toch. Da singt die Frau im Tänzerinnen-Tütü mit immer schwindligeren Koloraturen ihn an, damit er sich regt, bis sie schließlich zum Messer greift. Aber er stülpt sich einen Schafskopf über, will sie erschrecken. Und auch sie, nicht dumm, verwandelt sich in einen Bären und murkst ihn ab.

Drei Stunden währt der Abend, bei dem man noch zwei Fassungen eines von Friedrich Goldmann vertonten Heiner-Müller-Textes und zwei eher musicalartig slapstick-hafte entschieden zu lange Kurzopern von Tom Johnson bzw. Ned Rorem geboten bekommt. Der Abend findet statt – und das ist das Pikante – im teils mit Plastikbahnen blau ausgeschlagenen ehemaligen Ballettsaal des Hauses. Mit den studentischen Produktionen soll auch etwas die Lücke gefüllt werden, die durch die Abwicklung des Tanztheaters der Komischen Oper zum Ende der letzten Spielzeit entstanden ist. Aber mit den an einen solchen Abend gesetzten Erwartungen sind die Studierenden doch arg überfordert. Erfüllen können sie sie kaum. Zu unterschiedlich ist das künstlerische Niveau. Zu unterschiedlich ist schon das Material, mit dem sie hier arbeiten. Spannung aufbauen und sich verdichten kann sich da nur in Spurenelementen. Und die Winkelemente, mit denen das schmale Publikum ins Haus gelotst und per Trillerpfeife kommandiert wird, zu den jeweiligen sechs Schauplätzen im Saal sich die unbequemen Bänke selber zurecht zu rucken, nutzen sich ebenfalls schnell ab.

Es bleibt die gute Idee, Studierenden eine Chance unter semiprofessionellen Bedingungen zu eröffnen. Die rechte Form dafür muss man erst noch finden. In ein professionelles Opernhaus kommt man mit Erwartungen an eine professionelle Bühne, auch wenn sie sich vorsorglich als „Studiobühne“ deklariert. Eine plausible Dramaturgie zu finden wäre das erste. Und weniger ist in der Kunst bekanntlich meistens mehr.

Felsenstein DVD-Edition