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Christian Thielemann
Amahl
Luisa Miller
Nachrufe: Götz Friedrich Giuseppe Sinopoli

Man muss Dinge im Dunkeln lassen können

Christian Thielemann und Hans Pfitzner - eine Narkose

Ein Gespräch mit dem damaligen GMD der Deutschen Oper Berlin im Dez.1998

Thielemann 2003Was die "narkotische Wirkung von Musik"; anlangt, sagt Christian Thielemann, sei er "schwer empfänglich". Begonnen habe das schon, als er erstmals den Tristan hörte. Und jedes Mal, wenn er vor dem Orchester stehe bei einem Ring, dann wisse er, "warum ich Dirigent geworden bin". Wieder gefunden habe er diese "anziehend narkotische Wirkung" auch bei Pfitzner im Palestrina Diese dunkle Rotwein-Instrumentierung – das sei, was ihn fasziniere; und auch die Art, wie manche Ältere, zumal Furtwängler, Musik gemacht haben. Was ihn heute "so wahnsinnig" störe, sei der "absolut helle, überbrillante Klang", weshalb er in seinen Aufnahmen auch so "rigide" achte auf dies völlig andere Klangbild. Und wenn er "geohrfeigt" werde dafür, dann wisse er doch, es sei angekommen, was er wollte.

Einen Sturm der Entrüstung hatte der Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin Christian Thielemann entfacht, als er vor zehn Jahren als frisch gebackener GMD ausgerechnet in Nürnberg, 29 Jahre jung und etwas ahnungslos, den Pfitznerschen Palestrina als Einstand wählte; fünfzig Jahre war das Werk dort nicht mehr erklungen, wie viele meinten: zu Recht. Thielemanns Aufsehen erregendes Palestrina-Dirigat dann im Januar 1997 an Londons Covent Garden spaltete nicht nur Presse und Publikum, sondern auch das "board of directors". Als unverschämt wurde empfunden, gerade den Palestrina auf die königliche Bühne zu stemmen, und dies als einzige echte Premiere in der Fünfzig-Jahre-Jubiläums-Spielzeit. Allerdings war diese Produktion die erste professionelle dieser Oper überhaupt  im Vereinigten Königreich ­ achtzig Jahre nach der Uraufführung unter Bruno Walter in München.

"Beglückende Momente"; neben "lärmend Irrelevantem" empfanden die einen Kritiker, eine Mischung aus "Exaltiertheit und Allgemeinplätzen", aus "Kitsch-Szenario mit teutonischer Ernsthaftigkeit und kontrapunktischer Korrektheit" die anderen. Ähnlich divergierend auch die Reaktionen dann ein halbes Jahr später beim Gastspiel dieser Produktion in New York; erstmals in Amerika erklang der Palestrina dort. Und immer wieder wurde angemerkt: diese Musik hinterlasse "Bitternis" beim Hören vor dem Hintergrund von Pfitzners Rolle im Dritten Reich. Verstörend sei an dieser Musik, dass sie den Nazis als Vorwand gedient habe gegen die so genannt entartete Kunst. Gleichwohl, meinte ein Kritiker der New York Times, jeder, der sich für Oper interessiere, müsse dies Werk gehört haben, und zumal in Thiele­manns Leitung, und auch wenn beim Hören dieser in weiten Zügen autobiographisch gefärbten Künstler-Oper "Vergnügen und Pein" immer "eng beieinander" lägen.

Was für Thielemann an Pfitzner zählt, ist im Palestrina der eigen gefärbte Meistersinger- und Tristan-Ton, auch wenn er immer wieder sich ergießt in einen introvertierten Leidensmodus, die Engels-Reinheit  von deutscher Seele, auch wenn sie eher gespielt wirkt, die Heroik à la Lohengrin im Käthchen-Vorspiel oder die etwas schwiemelige Schwüle in der Oper Das Herz. In der Brutalität des Palestrina-Mittelakts mit dem Konzil – "wenn man das so spielt, wie es gehört, hat man sich nach zehn Minuten die Finger durchgesägt" – hört Thielemann die grimmige Ironisierung der Kirche mit einem Wunschtraum-Papst, der am Ende zu dem Komponisten in die Kate gekrochen kommt, damit der ihm die gewünschte Messe im alten Stil komponiert. Die vielen kammermusikalisch fein ziselierten Instrumentalfarben im ersten und noch mehr im dritten Akt mit schon dem Vorspiel "zum Absaufen" - die haben es ihm angetan, "was Schöneres gibt es nicht".

So viel habe er bei Pfitzner gefunden, was ihm gefalle, so viel auch  durch Pfitzner für sein Verständnis Schumanns und dessen Art des Instrumentierens gelernt, dass er sich im Innersten gedacht habe: "jetzt bloß Dir das nicht durch die Politik kaputt machen lassen!" Und die Reaktion des Publikums in London und New York hätten ja das eigene Gefühl bestätigt. Fast alle Vorstellungen waren ausverkauft. Die Leute kamen oft mehrmals, am Ende tobend. Für das Jahr 2001 ist eine neue Aufführungsserie  mit neuen Sängern in London vereinbart. In seinen Sprödigkeiten und Schroffheiten erschließt das Stück sich ja tatsächlich nur schwer und gewiss nur einem begrenzten Publikum. Immer wieder lässt Pfitzner einen Melodie-Faden abreißen, lässt die Figur des Palestrina zurückfallen in eine Endzeit-Stimmung und todesmüde Depressivität – für Thielemann der einzige Punkt, an dem er Schwierigkeiten hat mit dem Stück.

Soll man einen Komponisten beurteilen nach seinen menschlichen Qualitäten und politischen Haltungen? Thielemann verweigert hier political correctness. Auch Wagner war gewiss kein Engel und so sympathisch wohl nicht, sagt er. Aber wer einen Tristan schreibt – vor dem "rutschen die Leute von hier bis nach Bayreuth und zurück; das sind Dinge, die sich entziehen". Thielemann pocht auf seinen Spaß beim Musizieren. Ihm gehe es um Musik und nicht um Politik. "Ich gehe einfach danach, ob mir was gefällt oder nicht", sagt er. "Und wenn Sie mir mit einer Huldigungskantate für Stalin kommen, und ich weiß das nicht, weil ich russisch nicht verstehe, und mir gefällt das, dann werde ich auch davor nicht zurück schrecken", setzt er kess eins drauf.

Für Thomas Mann war der Palestrina, als er ihn einst noch vor der Uraufführung kennen lernte, etwas "absolut Bezauberndes", in das er sich "sofort über beide Ohren verliebt" habe, ein "Stück sterbender Romantik", etwas "Letztes aus der Wagner-Schopenhauerschen Atmosphäre". Sogar einen Freundeskreis wollte er für Pfitzner organisieren. Was beide mehr und mehr entfremdete, war die an Pfitzner erst bewunderte, dann zur granteligen Rechthaberei umschlagende Diskutierlust, die immer weiter auseinanderdriftende  Beurteilung der politischen Verhältnisse der Weimarer Zeit. Pfitzners, wenn auch zögerliche, Mitunterzeichnung des Anti-Mann-Manifests 1933 wegen des Autors kritischer Wagner-Gedenkrede zum 50.Todestag brachte den nie mehr gekitteten Bruch.

Als vor allem menschliches Problem möchte Thielemann Pfitzners immer tiefere Entfremdung von der Wirklichkeit begreifen, ausgelöst durch den Verlust auch seines Straßburger Kapellmeister-Amtes mit dem Ende des ersten Weltkriegs, seine in ihrem Ressentiment immer verbitterteren Attacken gegen Busoni und Schönberg und das Sich-Eingraben in eine vermeintliche "deutsche Volksoper", seine partielle Anbiederung an die Nazis, gipfelnd in jener noch über den Krieg hinaus manifestierten Nibelungentreue für den als Kriegsverbrecher verurteilten, wenn auch künstlerisch an ihm interessierten ehemaligen Generalgouverneur in Polen, Hans Frank. Zum anderen der ungeschmälerte und beneidete Erfolg des im Kalkulieren auf Wirkung ungleich versierteren und ob seiner Weltläufigkeit mehr geliebten Richard Strauss. Schon Hofmannsthal urteilte über Pfitzner als Theaterkomponist, ihm fehle "das Funkelnde, das Lockende, die Reizzone".

Christian Thielemann 2001Aus seiner konservativen Grundhaltung macht Thielemann, der sich selbst mal als "Wilder" bezeichnet hat, kein Hehl. Er möchte nicht , wie heute üblich, querbeet "herumhoppeln in diesen Repertoires", er möchte in bestimmte Stücke sich vertiefen können und andererseits nicht alles auswendig dirigieren müssen. Das bedeuten für ihn die kapellmeisterlichen Traditionen. Seine Affinität zu Pfitzners Fortschritts-Skeptizismus muss nicht, die zu dessen dunkel grüblerischem Ton kann verwundern. Und so sehr er die Diskussionen um Pfitzner leid ist, so sehr findet er sie doch "nützlich". Kunst ist nicht a priori politisch, beharrt er; was ihn interessiert an Pfitzner, ist dessen ganz besondere Farbe. Die hat er sich zu seiner eigenen erkoren. Von daher auch seine neuerliche Affinität zu Hans Werner Henze und dessen Klangsinn.

Man muss seinen Gefühlen vertrauen, sich loslassen, man muss "Dinge im Dunkeln lassen können", sagt er. Und auch wenn Pfitzner auch ihm in vielem eklektisch erscheint – aber was konnte er schon Neues finden, wo doch Richard der Einzige, wie Thielemann Wagner tituliert, "alles revolutioniert" hat, entgegnet er. "Wie komponieren nach Tristan" also das eigentliche Thema im Fall Pfitzner? Pfitzner als der Radikale, den man gezwungen hat, ein Konservativer zu sein, wie in Umkehrung des Schönberg-Worts Bernhard Adamy formuliert? Von der "Ratlosigkeit gegenüber Pfitzner" sprach der Kulturpsychologe Arthur Seidl schon 1913, vor dem Palestrina. Die Ratlosigkeit hat sich eher noch verstärkt.

Bei den Bayreuther Festspielen 2002/03 gilt er als der eigentliche Superstar.
Zu Spielzeitende 2003/04 verlässt er vorzeitig die Deutsche Oper und geht nach München als Chef der Philharmoniker
Zu Spielzeitende 2011 wird es für Thielemann auch in München bei den Philharmonikern zu Ende sein. Der Stadtrat wollte seinen Vertrag nicht verlängern. Thielemann verlangte gegenüber dem Intendanten Müller die absolute Entscheidungskompetenz über das Programm. Einen Intendanten hatte er schon "verschlissen". Die Zeit selbstherrlicher Pultgrößen ist ja eigentlich schon seit Karajan vorbei. Nun dürfen sich vielleicht die Dresdner freuen, die ihren Chef Luisi spätestens 2012 los werden, wenn der mit Homoki nach Zürich wechselt.


Wie weit(er) mein Himmelsstern?

Mit Menottis Amahl und die nächtlichen Besucher verabschiedet sich Götz Friedrich definitiv von Berlin

Premiere 8.Dez.2000

Besonders Tröstliches hatte in der anschließenden Premieren-Feier noch der Senator zu verkünden, als er dem "großen Zauberer" Götz Friedrich für sein "Abschiedsgeschenk an Berlin" dankte. Es gebe in Berlin keinen "Opernkrieg", meinte Kultursenator Christoph Stölzl. Es gebe nur ein "kleines Problem", eine, wie er sagte, 400jährige Institution aus "aristokratisch-verschwenderischen Zeiten" überzuführen in eine neue Zeit mit ihrer demokratischen Regeln unterworfenen Buchführung. Aber man dürfe zuversichtlich sein hinsichtlich der neuen Ordnung. Umstürzlerisches werde es nicht geben. Auf "Entwarnung" stünden die Zeichen, seit der Bund "ein Türchen" aufgemacht, die Mäzene den "Ernst der Lage" erkannt hätten und sogar das Parlament erstmals "selbstkritisch" mit den Dingen sich befasse. Bald werde er etwas vorstellen, das über Weihnachten dann noch mal überschlafen und im kommenden Februar in einen Senatsbeschluss umgewandelt werde. Alle würden zufrieden sein. Ein "Ranking" der Berliner Opern werde es nicht geben. Alle drei Häuser würden "unmittelbar zum Publikum" arbeiten können. Wunder freilich dauern immer etwas länger. Aber "alles wird gut, wenn die Menschen guten Willens sind" - griff er die Botschaft der soeben erlebten Premiere auf.

Amahl und die nächtlichen Besucher.Gian Carlo Menottis 1951 entstandene Kinder-Weihnachtsoper ist des Hausherren Götz Friedrich letzte eigene, von ihm selbst an der Deutschen Oper verantwortete Premiere, sein Vermächtnis, wie er verlauten ließ vorab. Fast tragisch, dass er die ins amerikanische Wellblech-Milieu versetzte Drei-Königs-Botschaft nicht mehr selber "verkünden" konnte. Seit einer Woche liegt er im Krankenhaus. "Thrombose" lautet die offizielle Erklärung. Hinter vorgehaltener Hand flüstern die Auguren Ernsteres. Wie bei seiner ersten Inszenierung als Chef an der Bismarckstraße, 1981 mit Janáceks Gulag-Ahnung Aus einem Totenhaus, ließ Friedrich sich ein Bahngleis auf die Bühne bauen von Bühnenbildner Gottfried Pilz. Die drei Bettler-Weisen aus dem Morgenland soll es zu dem neuen König und seinen Verheißungen führen.

Etwas rührselig ist die von Menotti, dem musikalischen Bürger zweier Welten, selbst geschriebene Story. Der Legende nach ließ er sich dazu von Hieronymos Boschs Anbetung der drei Könige inspirieren. Es war die erste nur fürs Fernsehen komponierte und bei NBC auch uraufgeführte Oper - welch in der Tat wunderbare Zeiten! Die drei Bettel-Könige mit einem den nun schon opern-erprobten Aldi-Einkaufs-Wagen hinter sich herziehenden Pagen suchen Quartier bei einer alleinstehenden Mutter mit einem gehbehinderten Kind. Die will den Dreien was von ihren gesammelten Opfergaben heimlich stibitzen. Als sie ertappt wird, will Amahl - mit wunderbar weicher Stimme und bühnengewandt Thomas Timmer vom Tölzer Knabenchor - seine Krücken als Gabe für das gelobte Kind mit drauf legen. Und siehe - er kann plötzlich selbst gehen ohne Stützen. Friedlich tippelt das Quintett nun gemeinsam dem Stern nach mit dem Schweif, entlang den Bahngeleisen.

Zu einem eigens (von Douglas V. Brown) hinzukomponierten Vorspiel lässt Friedrich den Magier Igor Jedlin auftreten. Zur Freude der vielen Kinder im Parkett darf der aus leeren Papiertüten knallrote Tücher oder schneeweiße Tauben zaubern, Zeitungsseiten wie Götzenstatuen auf dem Finger balancieren und endlos Tennisbällchen aus dem Mund kotzen. Ein weiterer Kommentar - im Vorspiel seiner Luisa-Miller-Inszenierung jüngst ließ Friedrich von einem Heckenschützen das Bild des Territorialherren vom Haken schießen -, ein weiterer Kommentar zur Art der Verabschiedung des scheidenden Intendanten nach zwei Jahrzehnten aus seinem Berliner Amt? Man müsse ihn schon aus dem Haus tragen, hatte er alle Fragen zu einem möglichen selbst bestimmten Abschied noch bei seinem 65.Geburtstag vor fünf Jahren abgewehrt. Jetzt hat die deutsche Opernkonferenz, die selbsternannt ein Gegengutachten zum so genannten Stölzl-Papier erstellte, genau dies als einen der Hauptgründe herausgefunden in der misslichen Berliner Lage: dass zwei Patriarchen in Berlin zu lange zu fest in ihren Stellungen sich eingegraben hätten. Die gleichen x Opern-Weisen sagen das, die über Jahre mit ihrem "Hosianna" Friedrich als ihren König auf den Schild hoben. Nun zieht die Karawane weiter, sagt uns Amahl.

Alles ist gespannt, wie künftig die sich gestaltet: Ob Senator Stölzl etwa die Kraft hat, nach den programmierten Wechseln an Bismarck- und Behrenstrasse, auch für frische Lüftchen Unter den Linden zu sorgen oder ob er mit seinem weihnachtlichen "allen wohl und niemand weh" nur klein bei gibt. Friedrich immerhin, der anfangs immerhin auch einen Hans Neuenfels oder einen Achim Freyer als Regie-Konkurrenz an sein Haus zog, hat in seiner letzten Spielzeit noch einmal bewiesen, dass er beim allgemeinen Wettwerfen um die Speckwurst zu Korrekturen fähig ist. Amahl und Luisa Miller sind dafür schöne Beispiele - die ästhetischen Ergebnisse hin oder her. Bei Homoki an der Komischen Oper setzen wir fest darauf, bei Barenboim und Co aber warten wir noch immer, eher bange und ohne allzu viel Zuversicht.


Der Revierförster fliegt vom Haken

Mit Verdis Luisa Miller verabschiedet sich Götz Friedrich von der großen Bühne

11.Nov.2000

Meuchelnde Finsterlinge schwappen durch die Szene. Die Pistolen liegen wie Essbesteck offen in der Vitrine. Briefe werden mit Flinten geschrieben und signiert. Jeder bedient sich hier gern der Schießwerkzeuge, und geballert wird mächtig. Auch wenn es nur Platzpatronen sind. Es ist wie im Berliner Opernkrieg.

Götz Friedrich verabschiedet sich aus der Regiekanzel des fast zwei Jahrzehnte von ihm geführten und fast bis ins Trudeln gebrachten Musik-Dampfers Deutsche Oper Berlin. Mit Verdis Luisa Miller hinterlässt er wenigstens noch eine Preziose der Opernliteratur. Zugleich versteht man aber auch, weswegen man dem 1849 für Neapel komponierten Werk, Verdis dritter Schiller Adaptation, so selten auf den Spielplänen begegnet. Es ist ein Rigoletto mit gebremstem Schaum. Die Zensur hat das Schillersche Auflehnungsdrama gegen Feudalwillkür Kabale und Liebe zu einer, wie bei Verdi ja geläufigen, Dreiecks-Eifersuchts-Geschichte mit Todesfolge schrumpfen lassen. Zu bewundern gleichwohl des Meisters musikdramatischer Spürsinn, seine immer wieder selbst in den nicht als "Meisterwerke" geltenden Opern zu beobachtende Fähigkeit, eher disparat scheinende Handlungsfäden zu bündeln in großen Ensembles.

Die Berliner Neuproduktion von Luisa Miller aus Anlass des im Jahr 2000 weltweit ausbrechenden "Verdi-Jahres" glänzt mit Stimmenpracht. Vor allem Ana Maria Martinez in der Titelpartie der einfachen Soldatentochter Luisa kann, immer mehr sich steigernd, beeindrucken durch eine außerordentlich feinfühlige Figurengestaltung. Ihr adeliger Liebhaber Rodolfo - Schillers Ferdinand, der aber wegen Namensgleichheit mit einem damals regierenden Bourbonen umbenannt werden musste im Libretto - ist der inzwischen sehr ins Heldentenorale gewachsene Richard Leech. Etwas unsauber in der Tongebung singt Igor Morosow den an den Rollstuhl gefesselten invaliden Vater der Luisa. Als hoffmanneske Zuhälter-Schatten-Figur Wurm versucht sich der spillerige Arutjun Katchinian. Den Oberschurken im Bratenrock, Graf Walter, gibt mit Sonorität Reinhard Hagen.

Götz Friedrichs Regie hat sich, noch ehe die Oper beginnt, ins Selbstzitat verabschiedet. Die Vorgeschichte vom Grafen-Mord, dem der regierende Walter seinen Aufstieg verdankt, wird wie eine Freischütz-Moritat mit vom Haken fallenden Bild nachgestellt. Alle Unsäglichkeiten der in die Tiroler Alpen verlegten Geschichte bebildern Friederich und sein Ausstatterpaar Gottfried Pilz und Isabel Ines Glathar mit getreulichem Naturalismus. Seidenpapier-Hänger im Alpenpanorama grenzen die intimen Räume ab. Pirouetten drehende Diener mit Gesichtsmasken sollen auf dem polierten Schachbrettmuster-Steinboden eine gespreizte Glas-Wasser-Operettigkeit beschwören. Als Gustaf Gründgens des Musiktheaters möchte Götz Friedrich sich wohl für die Geschichtsbücher empfehlen.

Das Publikum ist gnädig und bezieht ihn ein in die Jubelchöre für die Sänger, den Chor, das ganze Team. Die Regie-Schlachten sind geschlagen an der Bismarckstraße. Die aktuellen werden auf ganz anderem Felde geführt. Etwa dem des Orchesters. Und wie immer die Barenboimsche Staatskapelle als Lordsiegelbewahrer des Opernorchester-Klangs in der Stadt derzeit sich gebärdet, das Orchester der Deutschen Oper, von Christian Thielemann in den letzten Jahren auf Hochkurs getrimmt, muss mitnichten vor dem der Lindenoper kuschen. Im Gegenteil. So konzentriert, so transparent und klangschön sie ihren Verdi - zudem unter einem ganz kurzfristig eingesprungenen Dirigenten, Frédéric Chaslin - spielen, das mögen die Kollegen in Mitte bei ihrem Verdi eine Woche später mit Macbeth ruhig nachmachen.

Dass der Abend an der Bismarckstraße aber dann doch eher unbefriedigt lässt, ist dem ungenügenden Gesamteindruck zuzuschreiben. Das Stück erzählt bekam man nicht. Eher die selbstmitleidige Geschichte über den heimtückischen Abschuss eines Opern-Revierförsters vom Bilderhaken. Aber man darf ja nun nach einer kurzen Fermate vielleicht doch hoffen auf kommende Zeiten.




Der Bühnen-Patriarch

70 jährig starb Götz Friedrich in Berlin

4.Aug.1930-12.Dez.2000

Goetz Friedrich: wie wir ihn immer sahen (mit Zigarette)Einen "Dino des Musiktheaters" nannten sie ihn, ein Arbeitstier war er. Seine Bilanz: mehr als 170 Inszenierungen in 42 Jahren. Er selbst bezeichnete einmal als seine "eigentlichen Universitäten" die Musik, die Partituren, die Filme, nicht Opern-, nicht Theater-Aufführungen. Und was er von seinem Lehrer Walter Felsenstein vor allem gelernt habe: die "Arbeitswut und eine unerhörte Zeitdisziplin". 21jährig kam er zu ihm als Praktikant an die Berliner Komische Oper.

Dabei wollte der aus Naumburg gebürtige Anwaltssohn, wie er seinem "liebsten Feind" einmal gestand, eigentlich zu Brecht. "Aber Brecht war ausverkauft" hinsichtlich Assistenten-Stellen, und "ich wollte nicht einer von vierzig sein". So wurde Felsenstein sein "Chef", wie der liebevoll an der Komischen Oper genannt wurde und wie Friedrich auch selbst sich gern nennen ließ später an seiner Deutschen Oper. Zu Felsensteins ewigem Kronprinzen stieg er auf. Über zwanzig Jahre arbeitete er "unter ihm, mit ihm"; es hatte ihn "gepackt", von Felsenstein zu lernen, "was Oper sein kann", wie man sie "ganz anders" machen kann, was das heißen könnte Realismus - immer sich fragen und es auf der Bühne begründen, warum einer singt.

Seine Debüt-Inszenierung war 1958 in Weimar Così fan tutte. Als seine wichtigsten Aufführungen danach bezeichnete er die Jenufa 1964 an der Komischen Oper und 1970 die legendäre Produktion von Porgy und Bess mit Manfred Krug in der Hauptrolle. Einschneidende Zäsur in Friedrichs Leben war das Jahr 1972. Beim Holland-Festival konnte er Falstaff inszenieren und dann bei den Bayreuther Festspielen den heftig angefeindeten Tannhäuser. Zum Betriebskampfchor "Rote Lokomotive Leipzig" fühlte sich da etwa der damalige CSU-Chef Franz Josef Strauß ob des dumpfe Assoziationen weckenden Getümmels auf der Wartburg versetzt. Ein anschließendes Gastspiel in Drottningholm mit Così nutzte Friedrich auf eine Weise, wie es viele machten: Der DDR und seinem Ziehvater Felsenstein kehrte er endgültig den Rücken.

In Hamburg bei August Everding und ab 1976 an Londons Covent Garden, wo er mit einem spektakulären Ring reüssierte, fand er neue Wirkungsstätten. In aller Welt konnte er nun inszenieren. Wien, München, Stuttgart, Zürich, Salzburg und Oslo waren weitere Stationen. Dass er als Felsensteins "Muster-Schüler" dann als ausgegrenzter Republik-Flüchtling galt, war für ihn immer eine Last. Die Abnabelung vom "Meister" war jedenfalls keine innere. Sie musste eine geographische und dann auch politische sein, weil man damals nicht anders "ungestraft" kommen konnte "von dem einen Deutschland in das andere".

Programmatisch eröffnete er seine Generalintendanz an Berlins Deutscher Oper 1981 mit Janáceks Gulag-Ahnung Aus einem Totenhaus. Spektakulär sein zweiter Ring 1984, den er in einer Art Zeittunnel spielen ließ und der auch in Tokyo und Washington viel Beifall fand. Einen dritten Ring hatte Friedrich noch einmal für das neue Opernhaus in Helsinki gestemmt. Von seinen Uraufführungen bleiben in Berlin vor allem Wolfgang Rihms Oedipus (1987) und Hans Werner Henzes Verratenes Meer (1990) in Erinnerung und zuletzt für seinen Freund Siegfried Matthus dessen Kronprinz Friedrich (1999) zur Wiedereröffnung des Schlosstheaters Rheinsberg. Dass Friedrich neben sich einen Regie-Berserker wie Hans Neuenfels ans Haus zog mit vielen umtosten Inszenierungen wie Bernd-Alois Zimmermanns Soldaten oder Verdis Rigoletto, oder dass er Achim Freyer mit Glucks Orfeo oder Händels Messias anfangs an das Haus zu binden wusste, hat vor allzu großen stilistischen Einseitigkeiten bewahrt.

Ein Glücksfall dann das Engagement von Christian Thielemann als Generalmusikdirektor, nachdem er mit Giuseppe Sinopoli noch vor dessen Amtsantritt sich überworfen hatte. Aber auch mit Thielemann kam es schon bald zum Zerwürfnis wegen Besetzungsfragen. Mit Friedrichs dritter Frau Karan Armstrong wollte Thielemann nicht weiter musizieren. Angespannt in den letzten Jahren hat das Klima an der Bismarckstrasse vor allem aber, dass Friedrich in die politische Schusslinie geriet wegen des Defizits an der Deutschen Oper. Geschmerzt hat das ihn immer sehr, die Kartenpreise wollte er erschwinglich halten, Oper wollte er als "Bürgeroper". Gern reichte er den Schwarzen Peter an die Politik zurück: die habe einmal gegebene Finanzzusagen nicht eingehalten.

Ohnmächtig schaute er dem Bedeutungsverlust der nach der Wende aus der "Mitte" an die westliche Peripherie gerückten Deutschen Oper zu. Nur widerwillig stimmte er einem erzwungenen Ausscheiden aus seinem Amt zum Ende dieser Spielzeit nach 20 Jahren zu. Bitter hat er das auch auf der Bühne immer wieder kommentiert. Als sein "Vermächtnis" hatte er seine letzte Inszenierung bezeichnet, das Kinder-Weihnachtsmärchen Amahl und die nächtlichen Besucher von Gian Carlo Menotti. Den Beifall bei der Premiere konnte er selbst nicht mehr entgegen nehmen. Die Eingeweihten wussten, es stand sehr ernst um ihn: Lungenkrebs.

Am 12.12.2000 ist Götz Friedrich gestorben im Alter von 70 Jahren nach kurzer schwerer Krankheit. Nicht einmal das Ende seiner Generalintendanz der Deutschen Oper im Sommer 2001 konnte er noch erleben. Pläne für danach hatte er trotz seiner schon beachtlichen Œuvres schon wieder viele. Loslassen können - das hatte er nicht gelernt, dieser Wotan und Mime des Musiktheaters in einem. In Erinnerung bleiben wird er als Meister eines populären musikalischen Volkstheaters, als (durch DDR-Erfahrung) gewiefter und unermüdlicher Taktiker und Streiter für sich und die Belange der Oper.



Unnachgiebig

Giuseppe Sinopoli

2.Nov.1946 in Venedig -20.April 2001 in Berlin, beigesetzt 23.04.2001 in Rom

Schicksalhaft, unheimlich, gespenstisch-makaber scheint dieser Tod. Noch lebhaft erinnert man sich jener Szene im Juni 1990:Giuseppe Sinopoli Zu einer Extra-Pressekonferenz hatte der designierte GMD der Deutschen Oper in ein Berliner Hotel geladen. Zur offiziellen Jahrespressekonferenz der Deutschen Oper war er nicht erschienen. Temperamentvoll zog er vom Leder gegen den damaligen Generalintendanten Götz Friedrich. Lügen, Vertragsverschleppung warf er ihm vor, übergangen fühle er sich, undemokratisch behandelt, behindert in seinen Schallplattenplanungen mit dem Orchester. Der definitive Rücktritt noch vor Amtsantritt war nur eine Frage der Zeit.

Zwar eröffnete Giuseppe Sinopoli die Saison dann doch mit der lange geplanten Strausschen Salome. Und so glutvoll, klangschön, lautmalerisch nuanciert bis ins Detail, so auftrumpfend in den Zarathustra-Tönen, so glühend, brennend, sich verbrennend, schwelgend in den Orientalismen und verschliert in den Endstadien des Wahnsinns, so plastisch hatte man die Strauss-Partitur nie gehört; die spätere CD-Produktion ließ den Premiereneindruck kaum erahnen. Sinopolis Sinne schweiften da aber auch schon zu dem neuen Orchester, das um ihn buhlte und das er selbst als eines der ganz wenigen schätzte mit einem ganz besonderen eigenen samtigen Klang, Richard Wagners "Wunderharfe". Im August 1992 trat Sinopoli in Dresden sein Amt an als Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle, programmatisch mit einem Schönberg-Bruckner-Abend.

Ein Tüftler, ein Genauigkeitsfanatiker war er, alles wollte er selber im Griff haben, impulsiv der Zeichengebung, mit dem ganzen Körper gleichsam sprechend ähnlich Furtwängler, ein Kopf- und Bauchmusiker mit stechendem Blick. Seine erste Berufung war das Dirigieren aber nicht. Am 2.November 1946 in Venedig geboren, studierte er neben Musik und Komposition auch Medizin und Psychiatrie in Padua und promovierte. 1968 pilgerte er nach Darmstadt, Bruno Maderna und Karlheinz Stockhausen waren seine Lehrer, in Siena Franco Donatoni. Ab 1972 belegte er Dirigierkurse bei Hans Swarowsky in Wien. 1975 gründete er sein eigenes Ensemble "Bruno Maderna", versuchte sich zu profilieren als Komponist. Der gnadenlose Misserfolg seiner Oper Lou Salomé, uraufgeführt 1981 in München in Götz Friedrichs Regie, beendete diesen Zweig seiner Lebensplanung. Aber da war er schon ein umworbener Dirigierstar. Nach einer frühen Aida und einer Tosca (1976/77) in Venedig kam mit Verdis Macbeth 1980 an der Deutschen Oper Berlin der Durchbruch. Hamburg, Wien, London waren die nächsten Stationen.

Was seine Interpretationen auszeichnete, war die strukturelle und philologische Durchleuchtung der Partituren, ihre gleichsam explosive Ausdeutung. Sinopoli glaubte nicht den überlieferten Texten, machte sich auf "archäologische" Spurensuche nach dem Verdischen Urtext in den Ricordi-Archiven. Unzählige Schlampereien in den gedruckten Ausgaben konnte er tilgen. Mit seinen textkritischen Vorarbeiten setzte er neue Maßstäbe der Verdi-Interpretation. 1983 wurde er Chefdirigent der Santa Cecilia Rom undauch beim Philharmonia Orchestra London. Bruckner, Mahler, Schumann, Strauss galt nun seine besondere Liebe. Ein gleicher Erfolg wie beim italienischen Repertoire war ihm hier nicht vergönnt. So flimmernd und an Zwischentönen reich seine Mahler-Interpretationen waren - die große Form zerfloss ihm oft. Nicht unumstritten auch seine Wagner-Interpretationen. 1985, im Jahr seines Debüts an der Met mit Tosca und auch beim New York Philharmonic, dirigierte er erstmals in Bayreuth am Grünen Hügel: Tannhäuser, ab 1990 den Holländer, ab 1994, dem Jahr seines Scala-Debüts mit Elektra, den Parsifal und im letzten Jahr den Flimm-Ring.

Ab 2003 wollte Sinopoli, nachdem er von der aussichtslosen Reform der Römischen Oper sich verabschiedet hatte, die Gesamtleitung der Dresdner Semperoper übernehmen. Nun ist Giuseppe Sinopoli gestorben, nach Herzinfarkt am Pult zusammengebrochen im 3.("Nil"-)Akt einer Aida-Aufführung am 20.April 2001 in Berlin. Mit Götz Friedrich hatte der inzwischen auch Archäologe vor zwei Jahren das Gastspiel verabredet. Friedrich hatte es sich gewünscht als Bonbon in seiner Abschiedsspielzeit an der Deutschen Oper und äußeres Zeichen der Versöhnung. In einem "Aida per Götz Friedrich" überschriebenen Text, den Sinopoli dem Programmheft beilegen ließ, notierte er, was vor allem ihn selbst auch charakterisierte: Verbunden habe beide die "radikale Betrachtungsweise menschlicher Existenz, kompromisslos und ohne Einschränkungen. Unsere Unnachgiebigkeit war der Grund für Schwierigkeiten." Und fast prophetisch wie ein Nachruf auch auf sich selbst die Friedrich in den Mund gelegten Schluss-Worte, entnommen dem Ödipus des Sophokles: "Du und diese Stadt ... im Wohlergehen erinnert Euch immer mit Freude an mich, wenn ich tot sein werde."