kob 2019-2022

 

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Intendanz-Ende: Kosky
Neue musikalische Leitung
Mahagonny
Œdipe
Corona-Spielplan für Herbst 2020
Weinbergers Frühlingsstürme
Harry Kupfer gestorben
Die Bassariden (The Bassarids)

Ende der Kosky-Intendanz

Versuch eines Resumees

Zum Ende der 10jährigen Intendanz gab es nochmal einen jiddischen Liederabend. Und in einem Interview des "Tagesspiegel" (2.Juli 2022) hat Barrie Kosky (geb. 1967) noch ein paar Geheimnisse ausgeplaudert. Z.B. dass der frühere Berliner Regierende Bürgermeister und Kultursenator Klaus Wowereit ihm 2008 die Intendanz nach der Premiere eines Musicals ("Kiss me Kate") angetragen habe. Dass er dann die Aufarbeitung der (überwiegend jüdischen) Operetten-Vergangenheit des früheren Metropol-Theaters (ab 1948 Komische Oper) angegangen ist, war zwar verdeinstvoll, dem künstlerischen Niveau des Hauses aber nicht unbedingtt dienlich.

Am interessantesten aber, was Kosky über die Art seines Probenmanagements sagt: dass er dagegen sei, alles vorher genau auszutüfteln, dass seine Proben eine Mischung aus "Improvisation und Ausprobieren" sei. Gewiss, eine zu starre Vorausplanung von Proben ist wenig zielführend. Aber bei seinen Inszenierungen merkte man auch allzu oft, dass sie zumal in der zweiten Hälfte zerplätscherten, dass Unterhaltsamkeit wichtiger war als tiefer zu bohren. Dass er sich dennoch als würdiger Nachfolger am einstigen Hause Walter Felsensteins fühlte, war gewiss eine Selbstüberschätzung.

Zehn Jahre für eine Intendanz seien genug, habe er von Anfang sich gedacht und dann auch danach entschieden. Weniger Jahre wären allerdings mehr gewesen. Das Haus hat zwar enorm an Publikumszuspruch gewonnen. Aber um welchen Preis. Seinen eigenen Marktwert hat er indes sehr gesteigert.


Hoffentlich nachhaltig

Neue musikalische Leitung unter neuer künstlerischer Leitung für die Konische Oper

04. Jan. 2022

Mit musikalischen Leitern hatte die Komische Oper selten Glück. Ausnahmen: Kurt Masur, Václav Neumann und vor allem Kirill Petrenko. Selten blieben sie lang, aus künstlerischen (Masur) oder politischen Gründen (Neumann), mit Ausnahme des Glücksfalls Petrenko. Der Verschleiß an GMD in diesem Hause hat sich in den letzten Jahren allerdings erheblich gesteigert. Müßig die Namen alle aufzuzählen. Frage vielmehr: Woran hat es gelegen? Falsche Wahl der Dirigenten? Falsche Wahl der Regisseure, die man mit ihnen zusammenarbeiten sollten?

Ab der Spielzeit 202/24 tritt ein neuer GMD an, James Gaffigan, New Yorker; wie er betont, aus ärmlichen Verhältnissen, sodass er nur mithilfe einer Stiftung zur Musik kam. Zehn Jahre hat er zuvor das Luzerner Symphonieorchester geleitet neben den üblichen Gastdirigaten rundum. Den dirigentischen Wanderzirkus hat er nun aber satt und will mit all seinen Kräften vor Ort sein – neben einer Leitungsposition am „Palau de les Arts Reina Sofia Valencia“. In alle Abteilungen des Opern-Betriebs will er eintauchen, nicht nur das gängige Repertoire bedienen, sondern auch Abgelegeneres, auch die leichtere Muse und vor allem Education.

Eine neue Erste Kapellmeisterin soll es auch geben und schon ab der Spielzeit 2022/23: Erina Yashima, in Heilbronn geboren, ausgebildet u.a. an der Eisler-HfM, Stipendiatin in Chicago bei Riccardo Muti. Gegenwärtig noch Assistant Conductor bei Yannick Nézet-Séguin in Philadelphia, hat sie auch schon eine kleine Tour von Gastdirigaten hinter sich. Sehr jung, aufgeweckt wirkt sie – jedenfalls bei der Video-Botschaft, mit der sie sich bei der Pressekonferenz vorstellte. Man wird sehen, ob das künftige Leitungsduo Susanne Moser / Philip Bröking eine nachhaltigere Wahl getroffen haben als ihr Vorgänger Kosky. Dessen letzter GMD – siehe unten – hat zuletzt doch erhebliche Schwächen gezeigt.


Smooth

Brecht-Weills „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ an der Komischen Oper

02.20.2021

Die Einlassungen Barrie Koskys im Programmheft über „Mahagonny“ als gleichsam Kettenglied zwischen Schönbergs „Moses und Aron“ und „Anatevka“ lesen sich interessant: Menschen in der Wüste, auf der Suche nach ihrem Gott. Fatty den „Prokuristen“ (Ivan Turšić) und Dreieinigkeitsmoses (Jens Larsen) lässt Kosky bei ihrem ersten Erscheinen denn auch als Schläfenlocken-Rabbi und katholischen Priester auftreten. Und der von allen verlassene, geblendete und an den Händen gebundene Jim Mahoney irrt zwischen Spiegelwänden mit seinem „nur die Nacht“ als der wegen Geldmangels Verurteilte umher, wird schließlich von jedem einzelnen auf der Bühne außer der Geliebten Jenny niedergestochen und als eine Art moderner Christus verhöhnt und zu Tode malträtiert. Bei der Premiere gab’s da allerdings einen Zwischenruf „scheiße“. Da mag man nicht unbedingt widersprechen außer vielleicht: Theaterblutzoll-Übererfüllung für den „Schmerzensmann“.

Die beiden Sequenzen sind indes die einzigen szenischen Ausarbeitungen von Koskys Schönberg-Weill-These. Ansonsten bleibt man der Szene merkwürdig distanziert. Es berührt nicht, lässt kalt wie die ferngesteuerten Affen-Gottheiten am Schluss. Die Auftritte der Solisten organisiert Kosky schematisch meist aus den Bodenöffnungen der Bühne. Jenny und ihre Mädchen dürfen von dort auch gleich den Mond über Alabama aufgehen lassen. Auch die Fickzentrale im zweiten Akt ist treppab-souterrain lokalisiert; nach vollbrachtem Akt kommen die Männer mit hängenden Hosen an die Oberfläche. Selbst das Fressen und das Boxen sind inszenatorisch-praktisch auf diesen engen Funktionsraum beschränkt. Eindrucksvoll gestaltete Vorgänge muss nicht erwarten. Die Massenszenen sind in sich bewegt, Fußwippen, Händewedeln usw., aber sie „transportieren“ wenig.

Die Bühne von Klaus Grünberg ist ein schlichter schwarzer Raum mit Neon-Funktions-Oberlicht, formiert durch schräg stehende Seitenwände als Dreieck oder Trapez. Anfangs hängen als Zeichen auf dem Weg zur „Netzestadt“ schwarze Vorhänge mit weißem Netzmuster vor den Wänden. Für den zweiten Akt werden die Vorhänge weggezogen und die narzisstischen Spiegel (plus Pailletten-Kostümierung aller außer Jim) bestimmen mit ihren Vervielfachungen die Optik. Das ergibt mitunter interessante Perspektiven. Die größte Enttäuschung dieser Produktion indes ist der unter Ainārs Rubiķis Dirigat erzeugte Sound. Ihm fehlt die Weillsche Trockenheit und Schärfe, etwa in der Harmonik beim „Doch wie man sich bettet“ auf das grandiose „bin ich es“. Vielleicht hätte Rubiķis mal reinhören sollen in die „Mahagonny“-Aufnahme des Hauses in der Inszenierung von Joachim Herz (1977) mit Robert Hanell als Dirigenten. Insgesamt setzt Rubiķis mehr auf smoothe musicalhafte Bar- bis geglättete Opern-Begleitung denn auf deutliche Akzente.

Was freilich auch zusammen hängen könnte mit den zur Verfügung stehenden Stimmen. Allan Clayton ist als etwas rundlicher Jim Mahoney zwar eine gute Verkörperung dieses Holzfällertyps und überstrahlt alle mit seinem kräftigen Tenor. Auch Nadja Mchantaf, mit vielleicht zu lyrischer Stimme, gibt der Jenny eine sinnliche Note. Nadine Weissmann als Leokadja Begbick fehlt stimmlich die hier so notwendige Mittellage. Als Figur kann sie nicht überzeugen, scheint als Typ mehr angelegt als Witzfigur denn als die gerissene Manipulatorin und Händlerin, wie Brecht sie aus Typen seiner „Mann ist Mann“-Skripte entwickelte. Vielleicht bin ich mit meinem Urteil ja „geschädigt“ durch die „Mahagonny“-Inszenierung, die Ruth Berghaus mit Markus Stenz 1992 in Stuttgart realisiert hat. Da war man berührt von einer großen Klarheit und Schärfe, ohne (bloß Versprechen bleibenden) religionsphilosophischen Überbau. Und diese Inszenierung war so ganz anders pointiert als die von Joachim Herz 1977 an der Komischen Oper mit ihren die Nazizeit und die Konsumträume in der DDR assoziierenden hyper-realistischen Einsprengseln.

„Mahagonny“ als bloß antikapitalistisches Manifest zu inszenieren, ist gewiss zu kurz gegriffen. Da hat Kosky recht. Die menschliche und philosophische Tiefe auszuloten allerdings wäre was anderes.


 

Nachwischen für Sisyphos

„Œdipe“ von George Enescu (1936)

29.08.2021

Blut. Viel Blut. Ein Baden in Blut – und Wasser. Wie ein Menetekel wird es an die blecherne Wand gemalt. Vom Titelhelden noch im Sterben abgewischt.

Blutig beginnt es schon mit einer des späteren Vatermörders und Muttergatten zelebrierten Geburt, bei der er auch selber vom Beckenrand zuschauen darf. Ein Baby mit zu großem, ihm nachgebildeten Kopf wird herumgereicht. Leicht zappelig bewegen sich seine Glieder, wenn es schutzlos einfach am Beckenrand abgelegt wird. Immer wieder wird es herumgereicht, wie eine Todes-Monstranz, von dem bucklig-buckelnden Hirten, der es einst als Findelkind in einer verlassenen Bergschlucht fand und dann ins nachbarliche Korinth zur Pflege gab.

Und der Knabe wuchs heran und wurde mit seinem großen Kopf so klug, dass er das Rätsel der ebenfalls ihm ähnelnden Sphinx lösen konnte – Was ist größer als das Schicksal? Der Mensch! – und der deswegen zum Retter seiner ihm nicht bewussten Heimatstadt Theben berufen wurde. Dass er vorher den eigenen Vater totschlug, der offenbar gegen ein Votum der Götter verstieß und ihn zeugte, weiß er da nicht. Jedenfalls macht die verwitwete Königin Iokaste gleich die Beine breit. Und es könnte so schön weitergehen mit der Blutschande.

Aber das Unheil nimmt seinen Lauf. Und Zug um Zug wird bekannt, wer er eigentlich ist, und dass das Schicksal wohl doch die stärkere Macht ist. Die aber will unser Titelheld erst nicht sehen. Als er sie erkennt, blendet er sich und stirbt einsam aber angeblich innerlich friedlich, geläutert und mit sich im Reinen. Oder doch nicht ganz: wie Sisyphos den Stein wälzt, wischt er bis zum Ende das Blut vom Boden und von den Wänden.

Mit ziemlich dickem Pinsel ist das von dem russischen Regisseur Evgeny Titov auf die Bühne der Komischen Oper gemalt. Das von Rufus Didwiszus als endlos in den Bühnenhimmel ragendes metallenes Gefängnis gebaute Bühnenbild, trapezförmig angelegt mit in der Mitte quadratischem Pool, bildet den Einheitsraum. Kein Entkommen. Überdeutlich müssen die Darsteller und die für den (im obersten Rang postierten) Chor posierenden Statisten agieren. Geheimnisvoll ist das nicht. Mangels Differenzierung ermüdet die an die Gestik mittelalterlicher Kathedral-Figuren angenäherte Spielweise schnell. Eva Desseckers Kostüme für die Hofgesellschaft, erinnernd an die früher „Irrenanstalten“, helfen dem kaum ab.

Umso erfreulicher die musikalischen Qualitäten dieser in den 1920/30iger Jahren entstandenen, knapp zweistündigen Oper von George Enescu. Deren Libretto basiert auf Sophokles‘ „Ödipus, der Tyrann“ und „Ödipus in Kolonos“. Enescu schrieb dazu eine eher von Debussy und Saint-Saëns inspirierte Musik mit einer zwischen Tradition und Moderne schillernden Harmonik. GMD Ainārs Rubiķis weiß diese, auch Momente des Sprechgesangs implizierende, Musik sehr plastisch zu beleuchten. Klanglich (wenn auch nicht szenisch) ein großer Gewinn, die Platzierung des Chors im oberen Rang. Von den Solist*innen besonders beeindruckend Katarina Bradić als Sphinx und Karolina Gumos als Iokaste. Leigh Melrose als Œdipe kann mehr sängerisch als darstellerisch überzeugen.

Vielleicht wäre man insgesamt von dem Abend mehr beeindruckt, hätte der Regisseur mehr auf die Feinheiten von Enescus Partitur gehört. Andererseits: in einer früheren Version der Œdipus-Geschichte ist Iokaste ja nur seine Stiefmutter – und die ganze Sache halb so aufregend. Und: Immerhin, es gab mal wieder eine respektable Premiere im Corona-mäßig gänzlich halb-voll besetzten Haus. Hoffnung auf eine Nach-Corona-Normalzeit.


Shit happens“

Barrie Kosky stellt an der Komischen Oper einen Corona-Ersatzspielplan für September bis Dezember 2020 vor

25.06.2020

Er gehört gewiss zu den quirligsten Opernleitern an deutschen Theatern: Barrie Kosky. Und dass er auf die Corona-bedingte Schließung des normalen Theaterbetriebs „flexibel-pragmatisch-inspiriert“ und nicht einfach mit Abwarten reagieren will, war zu erwarten.

Ob das, was er nun in einer Pressekonferenz mit hygiene-konformer Platzierung der angereisten Kolleg*innen zu verkünden hatte, auch künstlerisch überzeugen kann, muss sich weisen. Los gehen soll es am 30. September mit Dagmar Manzel in Schönbergs „Pierrot lunaire“. Die im achten Jahr erfolgreiche halb-video-choreografierte Stummfilm-„Zauberflöte“ wird mit Tänzer*innen auf der Bühne und Sänger*innen in den Logen re-designed. Offenbachs „Großherzogin von Gerolstein“ soll in einer zu Offenbach-Zeiten üblichen kleinen Besetzung auf die Bühne gebracht werden und Glucks „Iphigenie auf Tauris“ (Update 17.11.2020: gecancelt wg. Corona) wird, wie alle anderen Performances, ohne Chor ihre Rettung durch den Bruder aus der Gefangenschaft auf der Krim neu die Heimfahrt nach Griechenland antreten. Das Orchester ist jeweils auf maximal 16 Musiker*innen begrenzt.

Griechisches Theater sei immer schon eines „auf Abstand“ gewesen, meint Kosky, und kündigt Kostüme von Klaus Grünberg an mit automatischer Abstandsregelung. Aber griechisches Theater auch ohne Chor? Geht eigentlich nicht – oder für Kosky doch, der auch alles selbst inszenieren will, um dann ab Dezember am Berliner Ensemble Brecht-Weills „Dreigroschenoper“ zu inszenieren und gleich danach in München einen „Rosenkavalier“. Viel Holz, aber „the show must go on“. Daneben will der Chor mit Schumann-Liedern in kleinen Gruppen zu einer „Mondnacht“ bitten, und zum Auftakt im September sind Gastauftritte der freien Gruppe Bob Squad mit ihrem „Super night shot“ angekündigt. Auch das Orchester ist gefragt mit drei Strawinsky-Abenden „Igor I bis III“.

344 Sitzplätze stehen für die Aufführungen nach derzeitiger Planung zur Verfügung. Sollten sich Änderungen der Vorschriften ergeben, will man flexibel reagieren – auch für den unwahrscheinlichen Fall, dass über Nacht alle Beschränkungen aufgehoben werden. Der Ersatzplan gilt zunächst bis Ende Dezember. Danach muss man weitersehen. Durch Einsparungen und teilweise Kurzarbeit hofft man die erwarteten Mindereinnahmen weitgehend ausgleichen zu können. Generell fühlen Kosky und sein Team sich aber „privilegiert“ in einem staatlich subventionierten Ensemble-Repertoire-Theater wie der Komischen Oper. Die meisten internationalen Bühnen arbeiten mit Gästen und oft im Stagione-Betrieb, genießen keine so starke auch finanzielle Unterstützung von Seiten des Staates bzw. der Kommunen in der jetzigen Krise.

Auch die anderen beiden Berliner Opernbühnen haben ihre Spielpläne für den Herbst revidiert, allerdings setzen sie mehr oder weniger auf konzertante Aufführungen. Die Deutsche Oper brachte eine revidierte Freiluft-Fassung des „Rheingold“, das aber kaum Erwartungen erfüllte. Aber auch Kosky meinte, das meiste an Opern-Repertoire sei mit den geltenden Anstandsregeln nicht zu meistern. Deshalb auch werden die für den Herbst 2020 angedachten Produktionen um ein Jahr verschoben. Dennoch entbinde es die Theater nicht, angemessen auf die Krise jetzt mit Ideen zu reagieren. „Shit happens“, meint er flapsig. Und sein Motto: „hope the best, expect the worst”.


Richtung Herbst

Jaromir Weinbergers Operette „Frühlingsstürme“  wiederentdeckt

25.01.2020

Verdienstvoll ist es, an den tschechisch-jüdischen Komponisten Jaromir Weinberger zu erinnern. Bekannt ist von ihm heute nur noch in Wunschkonzerten sein „Schwanda der Dudelsackpfeifer“. Seine letzte in Berlin uraufgeführte Operette „Frühlingsstürme“ ist vergessen. Am 20.Januar 1933 im Admiralspalast uraufgeführt mit Richard Tauber war sie ein Publikumserfolg – bis die Nazis das Regime übernahmen. Im März ‘33 fiel der letzte Vorhang. Weinberger musste auswandern, fasste künstlerisch nie mehr Fuß.

Das Stück spielt am Rande des russisch-japanischen Kriegs 1904/05 in der Mandschurei. Es geht um zwei Paare, die Schwierigkeiten haben, zueinander zu kommen, ein sogenannt „hohes“ und ein buffoneskes. Und dann gibt’s auch noch ein drittes – Personal-„Resteverwertung“. Die Dialoge sind sehr witzig – gute alte Operetten-Tradition. Es gibt direkte Anleihen an berühmte Werke von Franz Lehár, etwa das „Land des Lächelns“ oder die „Lustige Witwe“. Auch die Musik erinnert in vielem an diese genialen Werke, ohne allerdings deren Ohrwurm-Qualitäten zu erreichen. Dennoch erweitert sich die Skala hin zum „Jazz“, etwa mit einer Charleston-Einlage oder anderen Modetänzen der Zeit.

Von Weinbergers Bühnenwerk ist keine Partitur überliefert, es gibt auch keine Orchester-Stimmen. Nur der Klavierauszug und das Libretto fanden sich. Norbert Biermann hat das für die Wiederaufführung in der Berliner Komischen Oper neu instrumentiert – durchaus gelungen. Barry Kosky, dem die Operette und zumal die jüdischer Autoren besonders am Herzen liegt, hat „Frühlingsstürme“ recht klar in Szene gesetzt. Ohne extensive Überdrehtheit. Lediglich gegen Ende wird es dann doch recht slapstickhaft – an einer Hotel-Drehtür. Koskys Haus-Choreograf Otto Pichler hat schmissige (diesmal) Frauen-Balletts einstudiert. Die Tänzerinnen sind von Dinah Ehm für jede Nummer jeweils neu eingekleidet.

Die Bühne von Klaus Grünberg und Anne Kuhn ist ein variabler, vielfältig wandelbarer dunkelbrauner Kasten, in dem anfangs die russischen Generäle die Schlachtaufstellung besprechen – und der vorgeblich als chinesischer Diener des Generals, Ito, in Wirklichkeit spionierender Oberst der japanischen Armee, nimmt Fotos vom Heeres-„Theater“. Einige Nummern hat man eingefügt, andere gestrichen. Grandios Stefan Kurt in seiner Sprechrolle als etwas beschränkter aber auch pfiffiger General. Militär als karikaturistische Zielscheibe gehörte zu den bevorzugten Milieus der Operette. Dieser General darf noch nicht mal singen; hier allerdings wird ihm eine gekrächzte Onegin-Arie spendiert – und das Publikum johlt.

Auch die übrigen Rollen sind hervorragend besetzt mit Vera-Lotte Boecker als Ito- und Generals-Geliebte Lydia, Alma Sadé als arg überkandidelte Generalstocher Tatjana mit ihrem chamäleonhaften Liebhaber, Dominik Köninger. Das von Jordan de Souza im Graben geleitete Orchester gibt einen süffigen Background. Mit drei Stunden Spieldauer (inklusive Pause) ist der Abend allerdings dann doch etwas zu lang. Insbesondere der Schluss dehnt sich in Richtung Herbst. Kleine Spaßbremse.


Harry Kupfer gestorben

12.08.1935 – 30.12.2019

Die meisten seiner Arbeiten in den 70-iger bis 90-iger Jahren konnte ich sehen. Er war einer der herausragenden Regisseure des Musiktheaters zumal der DDR. Mit Joachim Herz, Ruth Berghaus und Peter Konwitschny prägte er das Bild des Musiktheaters dort. Als Chefregisseur der Komischen Oper von 1981-2002 suchte er die Ideen eines Realistischen Musiktheaters Walter Felsensteins mit denen Brechts zusammenzuführen. Höhepunkte seiner Arbeit waren die beiden Inszenierungen in Bayreuth mit „Fliegender Holländer“ (1978) und dem „Ring“ (1988).

Seinen Durchbruch erlebte er als Chefregisseur in Dresden mit Schönbergs „Moses und Aron“. Die Produktion erlebte über zwanzig Vorstellungen. Sein Weg führte über Halle, Stralsund, Chemnitz, Weimar, Dresden nach Berlin. Er inszenierte auch u.a. in Salzburg, Wien, Zürich, London, Barcelona, Moskau, Sydney, San Francisco. Durch die Wiederaufnahme seiner „Salome“ nach der Wende an der damals noch Deutschen Staatsoper Berlin, zu der er Daniel Barenboim als Dirigenten gewann, bereitete er den Weg für Barenboim als GMD des Hauses Unter den Linden. Gemeinsam starteten sie dann einen Gesamt-Zyklus von Wagners Werken.

Merkmal seines Theaters war ein Bewegungsreichtum, der ihm manchmal auch als Leerlauf vorgeworfen wurde. Eng arbeitete er mit seinen Dramaturgen und seinem Lieblings-Bühnenbildner Hans Schavernoch zusammen. Eine gewisse Leichtigkeit im Umgang mit den Menschen zeichnete den passionierten Pfeifenraucher aus. Man konnte gut mit ihm reden. Theaterleiter wollte er nie sein. Regie führen war ihm alles. Am liebsten mit Musik. Jetzt ist er 84-jährig gestorben.


Distanziert

Henzes „Bassariden“ mit Vladimir Jurowski und Barrie Kosky zum Spielzeit-Auftakt 2019/20

13. Okt. 2019

Gut getimt war das schon, sich jetzt mal wieder Hans Werner Henzes Oper „Bassariden“ vorzunehmen. Es geht da um das Gegeneinander von Vernunft und Lust, Gesetzestreue und Entgrenzung, Begierde. Für beide Prinzipien stehen hier zwei Führungsfiguren: Pentheus, der König von Theben, und Dionysos, der Sohn des Zeus und der Semele, der als geheimer Verführer das Volk von Theben aufrührerisch machen will gegen seinen Vernunft-und-Gesetze-predigenden König. Aber eigentlich will er vor allem den Tod seiner Mutter rächen. Und so ist das auch eine private Geschichte zweier widerstreitender Familien. Hier insbesondere.

An der Komischen Oper hat man sich die Version in der englischen Original-Dichtung von … ausgewählt – weil Regisseur und Noch-Hausherr Barrie Kosky die damals für die Salzburger Uraufführung 1966 nachträglich gemachte deutsche Übersetzung von „The Bassarids“, wie er im Programmheft anmerkt, „einfach furchtbar“ findet. Für die Internationalität des Opernbetriebs ist es auch gewiss passender, zumal er für den Dionysos einen so geschmeidigen Tenor wie den Sri Lanker Sean Panikkar aufbieten konnte.

Henze hat die Partitur 1992 nochmal überarbeitet und die üppige Orchesterpracht etwas ausgedünnt. Freilich auch dieses „kleinere“ Orchester passt nicht in den Graben der Komischen Oper. Man postiert also unter der Leitung von Vladimir Jurowski die Bläser links und rechts an den Seiten der Bühne, einige sogar auch im Parkett und auf den Rängen. Jurowski steht erhöht im Graben. Er agiert gut sichtbar auch fürs Publikum, was aber gewisse Lautstärke-Balancierungs-Probleme nicht eliminiert. Die Bühne von Katrin Lea Tag ist eine schlichte helle Holztreppe im Holzkasten. Auftritte sind meistens von hinten oben durch eine schmale Öffnung organisiert. Abgehen kann man zu den beiden Seiten am Bühnenportal und über die Passerelle aus dem Parkett. Und es wird viel auf- und abgetreten.

Der Spielraum freilich ist sichtbar begrenzt. Und so wird aus der Oper eher ein erweitert-halbszenisches Oratorium. Hauptträger der Aktion ist der Chor, der immer wieder in unterschiedlichen Formen auf- und abtritt, meist aber auf der Stelle mit unterschiedlichen Arm- und Klatschbewegungen die Szene kommentiert. Zusätzliche Kommentarboxen sind im oberen Proszenium links und rechts eingebaut, wo mal Tiresias (grau gepunkteter Mantel und dicke Seher-Sonnenbrille, Ivan Turšić) auftaucht, wenn ihn nicht gerade seine Dionysos-verursachten epileptischen Anfälle überwältigen. Rechts tritt mit wallendem Haaraufbau mal die Schwester der Königin, Autonoe (Vera-Lotte Boecker), auf.

Königin Agaue (Tanja Ariane Baumgartner), nachdem sie von Dionysos sich ebenso wie Pentheus (Günter Papendell) selbst von Dionysos hat verzücken lassen, tötet am Ende mit einem Riesenbeil den eigenen Sohn. Cadmus, der Vater und Großvater (Jens Larsen), von Anfang an in gebückter Haltung im lichtblauen Anzug über die Treppen schlurfend, hat das Unheil schon immer kommen sehen. Er hat sich nicht einlullen lassen, ebenso wie auch die stämmige Amme Beroe (mit kernigem Organ, Margarita Nekrasova). Am Ende bekennt sich Dionysos als der, der er ist – und nicht nur als sein Diener, und beschwört die Wiederkunft seiner Mutter Semele aus dem Reich der Toten und seine Herrschaft über die Welt.
Da endlich wird das sonst während der ganzen Vorstellung brennende Saal- und Bühnen-Arbeitslicht abgeschaltet. Und es entsteht so etwas wie Perspektive, die man den mit zweieinhalb Stunden (ohne Pause) doch arg langen Abend vermisst hat. Kosky wollte mit dieser Art Beleuchtung die Betroffenheit beim Publikum fördern. Ging wohl nicht ganz auf.  Allerdings hätte man sich öfters gewünscht, dass Henze bei der Überarbeitung seiner Erfolgsoper auch das Libretto (W.H.Auden/Ch.Kallman) etwas ausgedünnt hätte. Da ist viel lebloser Antiken-„Zwirn“ mitkomponiert. Und das Konzept der Inszenierung kann darüber leider nicht hinweghelfen, auch wenn mit Tanzeinlagen (Otto Pichler) für Bewegung gesorgt werden soll. Gern mal im hippen Kleidertausch, wie beim wirklich schon von Henze selbst als überflüssig erkannten Satyrspiel

Starker Beifall am Ende, besonders für die Protagonisten, den Chor und den Dirigenten. Für Kosky ein paar zarte Buhs. Der Beifall aber doch recht kurz und knapp. So richtig überwältigend wirkte der Abend nicht. Aber es war ja auch vom Komponisten eine gewisse Distanz insinuiert, ist der Regisseur überzeugt.


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