stob 2017-19 (mit Umzug nach Unter den Linden)

 

index
home-stob

Barenboim verlängert
Rigoletto
Verlobung im Kloster
Babylon
Zauberflöte neu
Violetter Schnee / Himmelerde
Barocktage
Usher
Médée
Macbeth
Saison 2018/19
Salome
Tristan+Isolde
Hänsel+Gretel / Poppea
Eröffnung LindenHaus
Werkstatt-Eröffnung

„Keine Reliquie

Vertragsverlängerung Barenboims als GMD verkündet bis 2027

04.06.2019

Die Staatsoper wird bis 2027 von Daniel Barenboim als GMD geleitet werden. Kultursenator Dr. Klaus Lederer hat Barenboims bis 2022 laufenden Vertrag nach „intensiver Beratung“ vor allem mit dem Orchester um fünf Jahre verlängert, wie er auf einer eilig einberufenen Pressekonferenz verkündete. Und das Orchester „freut sich“, wie Orchestervorstand Volker Sprenger meinte. Barenboim ist geboren im November 1942 und dann 85 Jahre alt.

Freilich das Problem des Hauses ist nicht direkt Barenboim sondern sein Helfer in der Intendanz, Matthias Schulz. Die erste Spielzeit 2018/19 unter seiner Ägide war ein künstlerischer Flop, und auch die nächste verspricht kaum Besseres. Schulz zeigt bisher kein eigenes künstlerisches Profil. Er kauft Namen ein, und das nicht mit viel Geschick, ästhetischem Feingefühl und zuverlässigem künstlerischen Kompass. Er gilt als entscheidungsschwach, ohne eigenes Standing.

Immerhin, Barenboim sagte auf dieser Pressekonferenz, er werde nur so lange bleiben, wie seine Kräfte es zuließen. Er wolle keine „Reliquie“ bleiben an dem Haus. Die Geigerin Susanne Schergaut verwahrte sich dagegen, dass man dem Orchester von außen sein Verhältnis zum Chef erklären wolle. Die Tür zu Barenboim sei immer offen gewesen, die Gespräche mit ihm und auch untereinander im Orchester hätten sich in den letzten Monaten intensiviert.

Finanzielles wurde bei dieser Pressekonferenz ausdrücklich ausgeklammert. Die Staatskapelle ist das bestbezahlte Opernorchester in Berlin. Und sie verdankt das vor allem dem Verhandlungsgeschick ihres Chefs. Dessen künstlerische Exzellenz als Dirigent steht außer Frage. Aber ein Opernhaus ist mehr als nur ein Orchester. Und vom Intendanten Schulz heißt es, er sei Barenboims Wunschkandidat auf diesem Posten gewesen.

Dass sein Spielplan so wenig profiliert ist/war, hat wohl vor allem den im Februar dieses Jahres aufkommenden Unmut gegen eine mögliche Vertragsverlängerung für Barenboim befördert. Und dieser Unmut scheint, überblickt man das Presseecho, nicht vom Tisch – ungeachtet der organisatorischen  Anlauf-Schwierigkeiten im rekonstruierten Haus, die man einräumen muss.


Verpatzt

Verdis „Rigoletto“ in einer Kooperation mit der Met

02.Juni 2019

Musste das sein? Eine so altbacken vorgestrige Verdi-Inszenierung als Kooperation mit der New Yorker Met zu präsentieren? Es sollte vielleicht die Bilanz des Hauses aufhübschen betreffs internationale Beziehungen, und dass man sich in der ersten Reihe der Opernhäuser wähnen darf. Das hat schon mit der Mailänder Scala nur Gähnen verursacht. Und jetzt noch viel mehr.

Immerhin begegnete man mit dem Tenor Michael Fabiano als brutal-verführerischem Herzog einem Sänger von Weltformat. Er hat eine ganz wunderbar höhenschlanke und -sichere Stimme und kann sich auch durchaus bewegen. Allerdings bräuchte es dazu eines Regisseurs, der sich nicht nur als Arrangeur begreift. Bei Bartlett Sher war er da an der falschen Adresse.

Aus dem Graben tönt es unter Andrés Orozco-Estrada schlank und frisch. Von den Sängern können sonst noch der Sparafucile des Jan Martinik überzeugen, während es der Gilda von Nadine Sierra hörbar an Klangkultur mangelt. Und von der Regie ist sie mit Händeringen-Posen in dem klobigen Bühnenbild von Michael Yeargan mit ein paar George Grosz-Deckern gänzlich verlassen.

Ein verpatzter Abend. Eine verpatzte Saison. Was für ein Mangel an ästhetischem Gespür. Und das an einem Haus, das gern das erste am Platze, am liebsten gar der Republik wäre.


His Master’s Choice

Prokofjews „Verlobung im Kloster“ mit Barenboim und Tcherniakov

13. April 2019

Sergej Prokofjews „Hochzeit im Kloster“ ist eigentlich ein Lust-Spiel, eins im eigentlichen Sinn. Es geht, wie bei Stoffen des 18.Jahrhunderts oft – und der Stoff ist gearbeitet nach der im Sevilla der damaligen Zeit angesiedelten Komödie „The Duenna“ des irischen Dichters und Politikers Richard Brinsley Sheridan – um Paare, die nicht von den Eltern aus irgendwelchen Geldgründen verkuppelt werden wollen, sondern die aus Liebe heiraten wollen.

Der von der Staatsoper dafür engagierte russische Regisseur Dmitri Tcherniakov allerdings macht daraus ein ödes „Wir erfinden eine Oper“-Seminar. Als ob’s eine solche Oper nicht schon mal gegeben habe und erst Recht diese (Uraufführung nach einigen Komplikationen am 3.November 1946 in Leningrad/St. Petersburg). Und dazu mit einer spritzigen Musik, die, trotz ihrer Entstehung im Umfeld des Zweiten Weltkriegs, selbst einen Dmitri Schostakowitsch schwer beeindruckte. Und auch wenn das als Therapie-Stunde für „Opern-Abhängige“ verkauft wird. Und als ob Zwangsheiraten nicht auch heute noch da und dort ein Problem wären.

In der Staatsoper hat man dafür unter der agilen Leitung von GMD Daniel Barenboim ein klangschönes Ensemble zusammengestellt mit u.a. einem sogar Trompete spielenden Stephan Rügamer als Don Jerome, Andrey Zhilikhovsky als ängstlichem Sohn Don Ferdinand, Aida Garifullina als qicklebendiger Tochter Luisa, Bogdan Volkov als in Luisa verliebtem Don Antonio, Anna Goryachova als von Ferdinand geliebter reicher Clara d’Almanza und Violeta Urmana als intriganter Duenna. Was dagegen hinten hinunter fällt ist die Regie, oder Nicht-Regie.

Tcherniakov, der schon des Öfteren zu Arbeiten an die Staatsoper gebeten wurde – mit immer schwächeren Ergebnissen – verweigert der Oper die Denk- und Inszenierungs-Arbeit. Er stellt (als sein eigener Bühnenbildner) ein paar fahrbare Parkettsessel in den Oberlicht-erhellten Raum, lässt ein paar Sprüche an die Wand beamen, wie, wer die und die Figur in seiner Vorstellung ist, und lässt das auch noch an eine Tafel schreiben.

Nur ein Stück wird nicht daraus. Und ein witziges schon gar nicht. Bis zur Pause tröpfelt das so dahin, dass selbst eigentlich interessierte Zuschauer mit dem Schlaf zu kämpfen haben. Die zweite Hälfte beginnt dann mit zum Teil eingeschlafenen Darstellern auf der Bühne. Dann nähern sie sich langsam mit dem Austricksen des alten Herrn Jerome der Zielgeraden. Großes Besäufnis, große Schlägerei – hach, so spannend!

Und wenn man meint, es sei endlich Schluss, kommt dann noch ein zweiter und dritter Schluss. Schlussendlich: Alle in Festklamotten und die Bräute mit Blumensträußen. Der Chor bekommt einen Auftritt auf nicht hinter der Bühne, ebenfalls in prächtigen Kostümen (Elena Zaytseva) – ein Querschnitt durchs Opernarchiv. Friede, Freude, Eierkuchen – His Master‘s Choice und Null Spannung.

Zur Applaus-Ordnung erscheint schließlich dann auch Tcherniakov mit seinem Team und wird mit heftigen Buhs und durchaus auch Beifall empfangen. Barenboim packt darauf den Regisseur am Arm und drängt ihn mit nach vorn an die Rampe, dabei kräftig mit den Armen rudernd, um die positiven Stimmen beim Publikum zu verstärken...

Vergebene Liebesmüh‘. Die laufende Saison hat noch keinen wirklichen Erfolg gezeitigt. Hier hoffte man, dass es endlich einer würde – und wurde wieder keiner. Im Gegenteil, man dachte nicht, dass es noch weiter abwärts gehen würde mit dem Niveau. Schade um die ganze Mühe der Sänger, die sich ihre Nicht-Beachtung durch die Regie auch noch merken mussten, wie sie nicht-beachtet wurden. Oder vielleicht auch nicht?


Kästchen-Dramaturgie

Jörg Widmanns umgearbeitete „Babylon“-Oper

09.03.2019 (gesehen: dritte Aufführung am 20.03.2019)

Eine Oper über das mythische Babylon. Vertraut man dem Programmheft – ein interessantes Unternehmen. Die Hauptfiguren ein jüdischer Exilant namens Tammu (Charles Workman) und seine Geliebte Inanna (Susanne Elmark). Eine Art Königskinder-Beziehung und dazwischen die „Seele“ (Mojca Erdmann) und das brodelnde Leben in dem Vielvölker-Zweistromland-Staat.

Jörg Widmann hat sich dazu eine Musik einfallen lassen, die neben den Klangzeichen der Moderne auch preußische Märsche und deren Offenbachsche Parodien (für ein karnevalistisches Neujahrsfest nach der großen Flut) kennt. Was leider überhaupt nicht zusammen passt.

Regisseur Andreas Kriegenburg hat sich von Harald Thor wieder mal eine Schachtelbühne bauen lassen, die dank der neuen Bühnentechnik im Haus hübsch rauf und runter fährt, und in deren Kästchen immer mal andere Figuren sich am Geländer festhalten oder mit den Armen wedeln - oder trocken-kopulieren dürfen.

Personenzeichnung von der ganz besonderen Art. Man wundert sich, so was als quasi Uraufführung überhaupt auf die Bühne gelassen zu sehen. Widmann hat das Werk Jahre nach der Münchner Erst-Uraufführung (2012) etwas umgearbeitet mit Kürzungen und Erweiterungen. Etwas Vorzeigbares ist daraus leider nicht geworden.

Christopher Ward im Graben (für den wegen einer Augenoperation unpässlichen Daniel Barenboim) müht sich redlich, die Riesenbesetzung zusammen zu halten. Vergeblich. Das Libretto des Philosophen Peter Sloterdijk bietet keine schlüssige Dramaturgie. Die Langeweile gähnt aus allen Ritzen. Und das dann auch noch über drei Stunden.


Computerspiele

„Die Zauberflöte“ als makro-technisiertes Marionettenspiel

17.02.2019

Ach, die Zauberflöte. Bei Barrie Kosky in der Komischen Oper mussten die Sänger auf schmalen Podesten stehen und sich mit Zeichentrickfilmen zuballern lassen. Bei der Version der Amerikanerin Lydia Steyer in Salzburg 2018 wurden die Figuren ins Varieté und anschließend in den Krieg geschickt. Jetzt bei ihrem Landsmann Yuval Sharon in der neuen Version der Staatsoper werden sie an Bändeln aufgehängt wie Marionetten. Das spart Figurenführung und Inszenierungsarbeit. So ähnlich wie der zuerst in Karlsruhe mit Doctor Atomic reüssierende amerikanische Regisseur es bei seinem Bayreuther Lohengrin 2018 schon vorführte.

Der logistische Aufwand ist – vorsichtig gesprochen – beträchtlich. Denn z.B. alle Figuren außer Papageno sprechen vorproduziert aus dem Off. Zum Teil in niedlichen Kinderstimmern. Die Dialoge sollen dennoch wie live ineinandergreifen, und sie werden in unerträglicher Ausführlichkeit vorgetragen. Dazu kommt die „Marionetten“-Führung der Figuren an Seilen auf der großen Bühne über vermutlich Stellmotoren der Flugmaschinerie. Der erzielte Effekt allerdings ist lächerlich gering. Vor allem mit Beine- und Füße-Hampeln „bewegen“ sich die Figuren. Vorgänge, die Spannung ins Geschehen auf der Bühne brächten, gibt es so gut wie nicht.

Die bizarrste Figuren-„Erfindung“ ist der Mohr Monostatos: eine Keller-Maus mit Aufzieh-Motor und blinkenden Lichtern. Natürlich weiß Papageno ihm einfach den Motorschlüssel zu ziehen, damit er nicht stört, wenn er Pamina aus ihrem Käfig befreien will. Tamino ist wie eine Figur aus einem der gängigen Kinder-Computerspiele mit klobigen roten Schuhen. Die drei Damen fliegen im siamesischen Drillingspack mit drei dicken Brüsten ein, die drei Knaben erst als kleine Penisraketen, dann kommen sie als Eskimos. Sarastro figuriert mit Auszieh-Armen im Goldmantel, den er nur ablegt für sein „in diesen heil‘gen Hallen“ – und das als Konzert vor geschlossenem Vorhang mit Saallicht (Achtung, Achtung - Moral!). Die nächtliche Königin schwebt galaktisch.

Den ganzen Interpretations-Unsinn zu erzählen lohnt nicht. Er ist auch total un-sinnlich. Im Programmheft wird zwar seitenweise über die Anmut von Marionetten zitiert. Auf der Bühne im Riesenformat stellt sich nichts davon her. Wenn wenigsten exzellent gesungen würde: aber auch da ist außer mit Julien Prégardien als wunderbar geschmeidiger Tamino eher Mittelmaß zu verzeichnen. Als Pamina hatte man Serena Sáenz Molinero als Einspringerin für die überbeanspruchte Anna Prohaska aus dem Opernstudio gebeten; etwas scharf und mit etwas viel Vibrato führt sie ihre Stimme. Die Königin der Nacht von Tuuli Takala schafft recht sicher die Höhen und Koloraturen; ganz wenige Töne nur verrutschen ihr leicht bei dieser Wahnsinnspartie. Ohne Tadel die drei Tölzer Knaben.

Gewöhnungsbedürftig der Papageno von Florian Teichtmeister. Kein ausgebildeter Sänger, sondern Schauspieler, vom ursprünglich vorgesehenen Dirigenten Franz Welser-Möst als Rückbesinnung auf die Volksschauspieler-Tradition der Schikaneder-Zeit gewünscht, hier aber arg deplatziert wirkend. Für Welser-Möst, der krankheitshalber absagen musste, leitet die kurzfristig eingesprungene Alondra de la Parra die Staatskapelle. Unfallfrei, besondere Akzente allerdings gelingen ihr nicht. Schon zur Pause gibt es fürs Inszenierungsteam (Bühne: Mimi Lien, Marc Löhrer, Kostüme: Walter Van Beirendonck) knallige Buhs. Am Ende wieder, aber es waren auch ein paar Bravos untergemischt. Wohl für die „Idee“ mit der Feuer-Wasser-Probe, wo Regisseur Sharon das junge Paar in eine kleine Wohnküche schickt und sie den Gasherd für ein bescheidenes Mahl entflammen und Spaghetti(?)-Wasser kochen lässt.

Viel ernster allerdings die Frage, wann endlich unter der neuen Leitung eine Inszenierung zu besichtigen sein wird, an die man sich auch noch am nächsten Tag gern erinnert? Zwar behält man noch die alte Schinkel-Everding-„Zauberflöte“ im Repertoire. Die neue sollte man am besten schnell wieder versenken. Schade um das viele Geld. Computerspiele mögen ja reizvoll sein. Auf einer großen Theaterbühne mit ihren ganz eigenen Gesetzmäßigkeiten wirken sie nur abgeschmackt. Und von der Suche der Autoren Mozart/Schikaneder nach einer Vermenschlichung der Welt im Zuge der Französischen Revolution ist hier weit und breit nichts zu spüren. Alles bleibt kalt und fern. Und sollte es eine für Kinder gemeinte „Zauberflöte“ sein - ich habe Kinder beobachtet, die nach einer halben Stunde einschliefen.


Schnee von gestern,
Schnee von morgen

„Violetter Schnee“ und „Himmelerde“ – zwei Uraufführungen

13./17. Januar 2019

Es ist wie eine erweiterte Bildbeschreibung. Bruegels „Jäger im Schnee“ haben Autoren und Regie hinzugezogen, um einen ursprünglich von Vladimir Sorokin stammenden Text zum Libretto (Händl Klaus) und schließlich zur Oper „Violetter Schnee“ (Beat Furrer) anzuverwandeln. Man sieht von dem Bild auf der Bühne (Étienne Pluss, Arian Andiel) gleichsam den Bilderrahmen, die Abbildung, dann Ausschnitte, und das eingebettet in eine Art Ausstellung im Wiener Kunstmuseum. Dies dient auch als Ausgangsort einer „Wanderung“. Immer wieder verwischt sich die Ansicht und wird wieder neu scharf gestellt.

Gemeint ist das Ganze als Endzeit-Metapher von Ausweglosigkeit, Sprachlosigkeit – zurzeit ja ziemlich modern, wo einige superschlaue Möchtegern-Politiker Mauern hochziehen, Fenster und Türen zuschlagen, sich einkuscheln im eigenen Mief. Hier geht’s um eine Gruppe von Menschen, die festsitzen, unfreiwillig, tief eingeschneit (sinnigerweise auch gerade aktuell), ohne die Möglichkeit zu entkommen. Den Esstisch haben sie schon verfeuert, um etwas warm zu haben. Zu essen gibt’s auch nichts mehr. Die Träume steigen auf über Treppen in eine verschneite Oberwelt, wo Figuren aus dem Bruegel-Bild mit Schnabelschuhen und Kostümen jener Zeit ihre Bahn ziehen. Menschen kippen um, stehen wieder auf. Am Ende wanken sie einer violetten Sonne entgegen.

Furrers Musik zeichnet dazu Atmosphärisches in mal feiner ziselierten, mal dickeren Klang-Clustern. Einmal, wenn eine der beiden Frauen, Natascha (Elsa Dreisig), eine Art Wiedergeburt fantasiert, meint man Vivaldis „Winter“ anklingen zu hören. Silvia (Anna Prohaska) stirbt schon mal einen kleinen Tod. Die brütende Kälte, die sich durch den etwa hundert-minütigen Abend zieht, kommt indes dramaturgisch nicht recht vom Fleck. Die Bühnenmaschinerie (Regie: Claus Guth) wird zwar heftig bemüht – Ober- und Unterbühne ermöglichen schnelle Szenenwechsel –, läuft aber ins Leere. Die Erzählerin Tanja, eine Sprechrolle (Martina Gedeck), die das Stück, bezogen wiederum auf das Bruegel-Bild kommentiert, wird zunehmend auch in das Geschehen hineingezogen.

Leider hat das Ganze doch etwas leicht Kunstgewerblich-Bemühtes. Schnee von Morgen sozusagen, eher als Oratorium denkbar, denn als Musiktheaterabend. Mit Matthias Pintscher im Graben der Staatskapelle und dem Vokalconsort Berlin ist allerdings ein exzellenter Riesenapparat aufgeboten. Für den Kompositionsauftrag des Ernst-von-Siemens-Preisträgers Beat Furrer half auch u.a. die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia.

*

Als Kontrast oder Ergänzung vier Tage später eine Uraufführung, die zusammen mit den Ludwigsburger Schlossfestspielen erstellt wurde: „Himmelerde“, eine Art Liederabend in modernem Gewand mit Pantomime, Tanz und angeschrägter Begleitung.

Fürs Musikalische zuständig sind die aus dem Osttiroler Dorf Innervillgraten stammenden Musiker der Gruppe „Franui“ (unter uns); fürs Theatralische sorgt die international zusammengesetzte Gruppe „Familie Flöz“. Als Sänger mit dabei der wunderbar sonore Bariton Florian Boesch und die hier leider etwas exaltiert auftretende Sopranistin Anna Prohaska. Interpretiert werden Lieder von Schumann (sein „Liederkreis“ als eine Art roter Faden), Schubert (u.a. „Der Tod und das Mädchen“), Mahler, Webern und anderen. Am Ende wagt man sich sogar in die Operette. Davor in die Oper mit Verdis „Rigoletto“.

Der Abend beginnt mit etwas klamaukig muffigen Clownsspäßen und endet mit einer Geburtstags-/Todesfeier. Die Auseinandersetzung mit dem Tod und die Sehnsucht der Romantiker nach einer anderen, fernen, naturhaften Welt sind Hauptmotive. Mit Bläsern und dünn besetzten Streichen, dazu Hackbrett, klingen die Lieder in der Tat neu und fremd. Die Dramaturgie allerdings kommt auch hier nicht vom Fleck, wirkt zäh und andererseits auch wieder gefällig. Es ist alles durchaus gut ausgedacht, aber es berührt nicht. Zum Romantiker wird man dadurch nicht.

Schnee von gestern, auch für heute?


Viel Rauch, viel Luft

Rameaus „Hippolyte et Aricie“ und ein Monteverdi-Projekt zu Barock-Tagen

25. Nov. 2018 / 23.11.18

Der erste Rameau an der Berliner Staatsoper, nach zweieinhalb Jahrhunderten: „Hippolyte et Aricie“. Und das in einer exzellenten musikalischen Besetzung, mit Sir Simon Rattle am Pult und dem Freiburger Barockorchester. Rattle, so sagte er vorher, liebte das Stück seit er es zum ersten Mal hörte. Und als einstiger Dirigent auch des Barock-„Orchestra of Enlightenment“ kennt er sich aus auch mit historisch informierter Interpretation.

Freilich es ist auch die erste Oper des damals schon etwa 40jährigen Komponisten und vor allem Organisten Rameau. 1733 wurde sie uraufgeführt, der Komponist hat sie später überarbeitet. Man gibt das Werk in der späten Fassung von 1767, mit Einschüben der frühen. Allerdings spielt diese Oper, wie Zeit-üblich, im mythologischen „Milieu“. Die Dramaturgie, sofern man von einer solchen sprechen kann, ist eher statuarisch-repräsentativ. Und es gibt viele tänzerisch-dekorative Inseln.

Um ein solches Werk für ein heutiges Publikum genießbar zu machen, bedürfte es einer dramaturgischen Straffung. Auf die hat man bei der Berliner Produktion verzichtet. Jedenfalls kommt das Werk in der Regie / Choreographie von Aletta Collins so behäbig daher, dass es am Schluss ein Buh-Konzert für die Regisseurin setzte. Und die wunderte sich darüber – wo es eigentlich nichts zu verwundern gab. Ihre choreographischen Erfindungen für die 10 aus 1000 (!) ausgewählten Tänzer*innen sind dabei durchaus ansehnlich. Etwa die rückwärts krabbelnden Käfer, wenn Theseus in die Unterwelt betteln geht.

Den Plot der Handlung kann man kaum sinnvoll nacherzählen. Es ist eine auf vier Figuren erweiterte Dreiecks-Eifersuchts-Geschichte mit einer rachsüchtigen Phädra, die den jungen Königsohn Hippolyte sich krallen will. Der aber ist in die junge Diana-Tempel-Dienerin Aricie verliebt, welche er am Ende (entgegen dem Original) auch bekommt. Und spätestens da, mit dem Schluss, zeigt sich auch ein Grund-Problem dieser (fehlenden) Inszenierung. Es gibt viele Schlüsse, und keiner wirkt so richtig, auch nicht als lieto fine. Und es gibt auch viel Trockeneisrauch auf der Bühne mit einer Rauchkanone sogar im Parkett, immer ein schlechtes Zeichen. Der Lichtgestalter und mit vielen Spiegeln arbeitende Bühnenbild-Gestalter Ólafur Eliasson brauchte die offenbar, damit seine Laserlicht-Kanonen besser wirken.

Eliasson ist denn auch der eigentliche Star dieser Bühneneinrichtung mit seinen Lichtkreationen, darunter überdimensionierte Lichtköpfe oder ein blinkender Parabolspiegel für die hier zur Keuschheits-Göttin verzerrte Diana (eigentlich Artemis). Sogar die Saal-Licht-Sicherheitsbeleuchtung darf einmal für ein paar Minuten abgeschaltet werden, um einige düstere Lichtmomente auszukosten. Die Orchester-Pulte allerdings bleiben beleuchtet, weswegen der Effekt letztlich verpufft. Die Türen werden dann übrigens von den Saaldiener*innen kurz bewacht.

Von den Sängern (in sehr schmucken, an die Lichtverhältnisse angepassten Kostümen ebenfalls von Eliasson) kann vor allem Anna Prohaska in einem silbern-gold-glänzenden Kostüm mit ihrer lichten Sopran-Stimme prunken. Magdalena Kožená gibt als blonde Furie die eifersüchtige Phèdre. Reinoud Van Mechelen, Tenor bzw. Haute-Contre, ist ein wunderbar geschmeidiger Hippolyte. Simon Rattle leitet das Freiburger Barockorchester mit rhythmisch geschärften Akzentuierungen. Zur Hochzeit des jungen Paars ertönt auch noch die Rameau-typische Musette.

Es gab nur sehr wenigen Szenenapplaus, nicht weiter verwunderlich. Lichtdesigner Eliasson zeigte sich beim Schlussapplaus nicht. Angeblich wusste er nicht, dass er da auf der Bühne mit erscheinen sollte. Er saß im Parkett in einer der vorderen Reihen in der Mitte. Es war nicht seine erste Premiere im Haus.

*

Zuvor im Rahmen der „Barock-Tage“ ein „A Monteverdi Project“ genannter Spät-Abend im Apollo-Saal (ich sah die dritte Aufführung). Eine Israelische Konzeptionistin-Regisseurin-Choreographin wurde dazu eingeladen, Saar Magal.

Abgeleitet wohl vom jüdischen Hochzeits-Flaschentanz (siehe „Anatevka“), sieht man im Saal ein Feld von Bierflaschen aufgestellt mit einem diagonalen Weg dazwischen. In dem Weg bewegen sich Tänzerinnen und Tänzer nach Mode der amerikanischen Release-Technik. Auf einigen Flaschen stehen einige Musiker und Sänger mit Leucht-Sneakers an den Füßen. Es klingt wie elektronisch aufgepeppter Monteverdi. Später hört man Rezitationen durchs Mikro, und dennoch nur fetzenweise verständlich. Allmählich werden durch die Bewegungen auf und zwischen den Flaschenreihen einige der Flaschen klirrend umgestoßen. Und die Tänzer/Sänger*innen rotieren im Chor um das Flaschenfeld herum.

Dann werden die Flaschen alle gekippt, und das Publikum wird gebeten zur Hilfe beim Aufräumen: Einfüllen der einigen hundert Flaschen in Bierkästen. So sieht also Publikumsbeteiligung heute aus. Ins abgeräumte Flaschenfeld werden Plastikbäumchen und Haus-Feldtiere gestellt, und bei verdüstertem Licht tappeln die Darsteller*innen mit übergezogenen Glatzenmasken als geschlechtslose Greise querfeldein hinaus. Ende der Vorstellung. Was es soll? Die beteiligten jungen Sänger/Darsteller*innen haben hoffentlich etwas profitiert, dass sie auch körperlich gefordert wurden. Ansonsten einfach nur schlecht gemachte, wichtigtuerische Theaterei, im Programmheft wortreich möbliert.

*

Offensichtlich will der neue Intendant Matthias Schulz mehr Bewegung ins Haus bringen. Das ist auch gut so. Auch dass die ältere Tradition der Barock-Tage, einst mit René Jacobs als Kristallisationspunkt, neu belebt wird. Bei der Auswahl von Inszenierungs-Teams gibt es aber sicher noch ziemlich viel Luft nach oben. Dirigenten sind da generell selten gute Berater. Auch die ersten Premieren der neuen Spielzeit waren mehr Versprechen als Erfüllung.


Blitz & Donner

Kammeroper „Usher“ nach Debussy uraufgeführt

12.10.2018 (gesehen: zweite Aufführung am 14.10.) im alten Orchesterprobensaal

Edgar Allan Poe’s „Untergang des Hauses Usher“ (“The Fall of the House of Usher“, 1839) gilt als Inkunabel der Horror-Literatur. Dass die Düsternis dieser Verfallsgeschichte den Komponisten von „Pelléas et Mélisande“ reizte, wundert wenig. Fertig wurde Claude Debussy mit der Komposition nicht. Die Oper blieb Fragment, was immer wieder Komponisten zu "Vollendungen" gereizt hat. Früher mal Juan Allende-Blin. Jetzt hat die junge französische Komponistin Annelie Van Parys mit der Librettistin Gaea Schoeters sich an eine „Weiter“-Komposition der Vorlage versucht, als Auftragswerk von Staatsoper Berlin und Folkoperan Stockholm. Sie benutzt spezifische Wendungen der Debussy’schen Komposition, die man zumal in der Diktion der Hauptfigur Roderick deutlich erkennt. Und sie schmilzt sie ein in eine eigene musikalische Diktion. Vor allem den Debussy’schen Sprechgesang hat sie weiterentwickelt. Ein Kammerorchester aus Streichern, Bläsern (inklusive Saxophon) und Schlagzeug hat sie sich zusammengestellt. Das 90‘-Werk wurde jetzt in einer Inszenierung von Philippe Quesne im alten Orchesterprobensaal des Lindenhauses uraufgeführt.

„Inszenierung“ ist freilich etwas hoch gegriffen. Quesne, verantwortlich auch für Bühnenbild und Licht, hat ein paar Gänge arrangiert in einem Raum mit einer Treppe, Sesseln, Sofa, Schreibtisch und diversen Monitoren, auf denen Gesichter, Häuser, gurgelnde Strudel, Blumenwiesen und verbrennende Häuser figurieren. Die vier Figuren des Stücks, Roderick Usher und seine Zwillingsschwester Madeline, ein Freund, der nach dem Stand der Dinge sehen will in dem in Untergangsstimmung versinkenden Gemäuer, und ein Arzt, der sich köstlich freut über seine Angstmache als Machtausübung (Achtung: politische Botschaft, siehe Trump!), stehen, sitzen, liegen oder schreiten in diesem Ambiente. Madeline, sichtlich verwirrt, zündelt anfangs an einem kleinen Pappmodell-Haus. Wenn sie am Ende stirbt, und Bruder Roderick sie in einen Teppich einwickelt, wachsen ihre Arme geisterhaft aus der gewobenen Gruft. Und Zwillingsbruder Roderick legt sich alsbald mit dazu. Ein bisschen (viel) Dampf, Blitz & Donner und Klischee ist auch mit dabei. Und violettes Licht, wenn’s aufs Ende geht.

Bewundern muss man die junge(n) Sänger*in. Vor allem David Oštrek überzeugt mit einem wohl geformten Bariton, etwas flach die Madeline von Ruth Rosenfeld. Marit Strindlund leitet sehr präzise das in die Bühne integrierte Kammerorchester aus Mitgliedern der Orchesterakademie. Die im Stück gemeinte Beklemmung einer Endzeit-Stimmung will sich aber so recht nicht einstellen beim Zuschauer. Zu sehr gestellt wirkt alles, zu steif, zu hölzern.


Segmentiert

Cherubinis „Médée“ zu Spielzeitbeginn

07. Okt. 2018

Musikalisch präsentiert sich diese Aufführung auf höchstem Niveau. Daniel Barenboim lässt seine Staatskapelle, Beethoven-erfahren, zu luftigem und gleichwohl kernigem Klang aufspielen. Die bulgarische Sängerin Sonya Yoncheva ist mit ihrem flirrend klangstarken wie klangschönen Sopran die derzeit wohl beste Medea-Darstellerin. Charles Castronovo als Medeas Ehemann Jason steuert seinen hellen Tenor bei. Mit Elsa Dreisig als seine neue Braut am Korinthischen Hof, Dirce, meldet sich ein hoffnungsvolles Nachwuchstalent, klar in den Höhen, etwas unsicher in den tieferen Lagen. Den bärbeißig-ehrgeizigen Korinther-König Kreon gibt Iain Paterson.

Für die Bühne hat Martin Zehetgruber sich (wieder mal) eine segmentierte Drehbühne mit hellen, unten leicht von Wasserschäden vergammelten Wänden ausgedacht. Offenbar eine Garage oder Lagerhalle mit Lüftungsschächten oben. Verladen? Anfangs sieht man in dem einen Segment einen Raum mit zwei später als leicht sichtdurchlässig erkennbar gebauten Wellblechtoren. Ein schwarzer Ackergaul mit Kopf und einer ohne Kopf stehen darinnen (auf der Durchreise?), dazu Holzkisten. Aus einer der Kisten wird später das Beutegut aus Medeas Heimat ausgepackt, ein riesiger Widderkopf, das Goldene Vlies. Türen verbinden die einzelnen Segmente. Oft wird im Geschwindschritt bei sich drehender Bühne hindurchgeschritten.

Jasons neue Braut wird zu Beginn von Dienerinnen gleichsam in die Zwangsjacke eines Krönungs-Hochzeits-Kleids geschnürt. Verschüchtert kauert sie in einem Eck und beobachtet die Szene. Sie weiß, dass ihr neuer Mann, Jason, eigentlich noch mehr an seiner Verflossenen hängt, Medea. Die erscheint wie eine Fledermaus furienhaft mit weit wallendem erdig-violetten Kleid (Kostüme: Carla Teti). Sie will den Mann zurückerobern oder wenigstens ihre Kinder. Aber dann gibt sie doch nach. Am Beginn des dritten Akts sieht und hört man sie als gebrochene Frau (mikrofon-verstärkt) flüstern und nach ihren Kindern als ihren „liebsten Opfern“ suchen. Eine brennende Figur stolpert durch die Raum-Segmente. Aus den diversen Kisten lecken Flammen. Die beiden Knaben liegen leblos am Boden.

Andrea Breth als Regisseurin und ihr Dramaturg Sergio Morabito wollten eigentlich Medea nicht als die Kinder- und Nebenbuhlerin-mordende Furie zeigen. Die Stoff-Version (nach Euripides), die Luigi Cherubini vertonte, geht allerdings von dieser patriarchalisch gefärbten Mythen-Variante aus. Es gibt hinreichende Vermutungen, dass die Erzählung so verändert wurde, dass Medea als Schuldige erscheint. Cherubini gelingt es gleichwohl mit seiner Musiksprache nicht, eine furienhafte Frauenfigur – wie Mozart sie etwa mit der Elettra aus „Idomeneo“ oder der Königin der Nacht aus der „Zauberflöte“ – zu zeichnen. Immerhin hat man sich für die originale Fassung mit gesprochenen französischen Dialogen entschieden, stark gekürzt. Doch bleibt die ganze Produktion merkwürdig spröd und steif, am Ende gleichwohl vom Publikum stark applaudiert – vor allem aber die musikalischen Leistungen.

Cherubini, von den Zeitgenossen Beethoven und Haydn hochverehrt, begegnet man neuerdings zumal mit seiner „Médée“ (Paris, 1797) wieder vermehrt auf den Bühnen, herausragend anders die Inszenierung Peter Konwitschnys in Stuttgart (2017). Für Beethovens heroischen Stil in „Fidelio“ war Cherubini eine Leitfigur. Seinerseits hat er viel profitiert von Glucks Antiken-Opern. In den Umbruchzeiten der Französischen Revolution, die sich ja auf die Antike berief, war er wegweisend. So recht zum Leben erwecken lassen sich seine Werke heute wohl nicht mehr. Sinnliche Momente seiner Musik, wie am Beginn des dritten Akts sind zu rar, um echte Anteilnahme zu erwecken. Die Callas gab’s nur einmal. Und ein prominenter Regie-Name hilft wohl auch nicht unbedingt.


Feuerqualm

Der neu-alte „Macbeth“ mit Barenboim, Kupfer, Domingo, Netrebko

17.06.2018

Im Dreier-Pack der Berliner Opernhäuser zum Auftakt der Fußball-WM (DOB: „Il viaggio a Reims“, KOB: „Die Nase“) kam die Staatsoper zuletzt und mit dem schwächsten Beitrag. Trotz Exzellenz bei der Sängerbesetzung und im Graben war da auf der Bühne nur düstere Routine zu sehen. Harry Kupfer hatte man – wohl als Dank für seine Initiative bei der Berufung Daniel Barenboims als GMD nach der Wende – mit der Regie betraut. Obwohl von Regie kaum die Rede ist, eher Arrangement möchte man das nennen im düsteren Bühnenbild von Hans Schavernoch mit den Projektionen von Olaf Freese.

Viel Feuer und qualmender Rauch verdunkelt da die anfängliche Hexenszene. Dann viele Uniformen und ein nun doch schon etwas faltiger Plácido Domingo als Macbeth. Sängerisch bleibt er der Partie kaum etwas schuldig, auch wenn die Stimme doch unnötig wackelt. Anna Netrebko als seine Lady überstrahlt ihn gleichwohl erwartungsgemäß, wenn auch die Spitzentöne nicht vollkommen lupenrein gelingen. Die Ermordung des Königs wird angedeutet mit auslaufender Blut-Lache aus der Nebenzimmer-Luke und einem verstört das blutige Messer umklammernden Macbeth.

Immerhin die neue Bühnenmaschinerie mit hochfahrender Unterbühne für die Privaträume durfte prominent in Aktion treten. Der Schluss: ein Strom von Kriegsflüchtlingen mit Koffern, die zum Bäumchen-halten animiert werden; eine im weißen Untergewand umherirrende Lady und ein im Sessel sterbender Macbeth, der sich – wieder vor rauchender Hintergrundszenerie – seine Königsschärpe von der Uniform reißt. Und die Diadochen streiten sich dann, wer sie überstzreifen darf. Nun ja. Barenboims Staatskapelle klingt wunderbar durchsichtig, auch auf dem Vorplatz, auf den die Premiere unterm Motto „Oper für alle“ live übertragen wurde, und in arte-tv, wo die Aufzeichnung vier Tage später nochmal zu besichtigen war.

Warum aber, fragt man sich einmal mehr, hat die Redaktion dieses verdienstvollen Senders so wenig professionelles Gespür, was sich aufzuzeichnen lohnt und was nicht. Und warum entscheidet man sich dann vor allem für letzteres? Nur der Namen wegen? Traurig. Aber wo Feuer ist, ist Rauch – oder doch eher Qualm.


Furchtlos

Der neue Intendant präsentiert sein erstes Programm

15. März 2018

Schulz-Barenboim

Der ab 1.April 2018 amtierende neue Intendant der Staatsoper, Matthias Schulz, hat seine erste Spielzeit 2018/19 vorgestellt. Durchaus interessante Werke will er präsentieren, darunter eine (Beat Furrer: „Violetter Schnee“) und eine halbe (Jörg Widmann: „Babylon“) Uraufführung. Weniger interessant scheinen die Inszenierungs-Teams, aber positive Überraschungen sind denkbar, etwa wenn Sir Simon Rattle das Freiburger Barockorchester mit Rameaus „Hippolyte et Aricie“ dirigiert und Olafur Eliasson die Bühne ausstattet.

„Furchtlos“ soll das Motto sein – und um mehr Zugangsmöglichkeiten soll es gehen, sprich Überwindung von Schwellenängsten, u.a. mit einem Kinder- und Jugendprogramm. Gewöhnungsbedürftig ist das Layout des neuen Programmhefts, das stark der neuen Unübersichtlichkeit huldigt. Statt chronologisch geordnet muss man hier hin und her blättern und nach dem Titel-Alphabet suchen, wer wann was macht. Vermutlich informiert man sich da besser im Internet.

Daniel Barenboim will seine Konzerte unter das Leitmotiv „Europa“ stellen und erinnert unter anderem an den Schönberg-Schüler Nikos Skalkottas. Auch dirigiert er selbst die erste Premiere der neuen Spielzeit, Cherubinis Version des Mythenstoffs „Medea“ in einer Inszenierung von Andrea Breth. Diese wird ausnahmsweise nicht am 3.Oktober, sondern erst am 7.10. stattfinden. Am 3.10. wird in dem Haus der Staatsakt zum National-Feiertag zelebriert, weil Berlin in diesem Jahr turnusmäßig den Vorsitz im Bundesrat führt.

Foto: gf-kuehn

Fundamentalisten unter sich

Hans Neuenfels und Strauss’-Wilde's «Salome»

04.03.2018

Ein radikales Konzept, gründlich durchdacht, eine starke Aufführung. Eros-Thanatos, Liebe und Tod, präpariert Hans Neuenfels in seiner Sicht der Wilde-Straussschen „Salome“ als Themen dieser Parabel heraus, und vor allem Freiheit: Oscar Wildes Anrennen gegen eine christlich-leibfeindlich-homophobe Moral, Richard Strauss‘ Grenzüberschreitung der tradierten Harmonik.

Von seinem Lieblingsausstatter Reinhard von der Thannen hat Neuenfels sich eine Bühne entwerfen lassen, die gleichsam ein Todesgerippe imaginiert, auf den ersten Blick aber auch wie das Innere eines Schiffs anmutet. Die Bühne ist schwarz ausgeschlagen, der Boden schwarz-weiß im Sinne der Beardsley-Grafik marmoriert. Auch Salome, die Titelfigur, kommt in diesem Outfit: gegelte tiefschwarze Haare, weiter schwarzer Tüllrock, ein liegender Brilliant-Halbmond auf den Kopf. Der bärtige Täufer Jochanaan trägt zum wächsern-blanken Oberkörper einen weiten schwarzen Rüschen-Rock. Seine «Zisterne» ist ein phallusartiges Geschoss, eine Rakete oder Patrone – oder auch eine Art Pranger, wie man im Mittelalter Verbrecher ausstellte. Aus dessen kleinem Ausguck heraus verkündet der Täufer seine Kanzelpredigten und Prophezeiungen, was die ihre Sexualität entdeckende Herodias-Tochter Salome nur scharf und schärfer macht. Anfangs ragt diese Moral-Rakete von der Decke schräg ins Bild, dann wird sie sozusagen auf die Startrampe gesetzt.

Jochanaan, Salome, Naraboth (liegend)

Der Zweikampf zwischen Jochanaan und Salome wird explosiv mit dem Auftauchen einer neuen Figur: Neuenfels schiebt den Schöpfer der Libretto-Vorlage Oscar Wilde mit ins Spiel. Der entkleidet Salome ihres Tüllrocks und Luna-Haarschmucks. Im schwarzen Hosenanzug mit geschlitztem Oberteil tritt Salome nun als Wilde-Alter Ego auf, versucht zuerst einen «Übungslauf» mit ihrem Figurenschöpfer, dann mit dem von Wilde aus seinem Käfig entsperrten Jochanaan. Zum berühmten Tanz der sieben Schleier wird das Jochanaan-Gefängnis abgedreht; es ist ein Tanz (Choreografie: Sommer Ulrickson) mit dem nun als Tod kostümierten Wilde. Der lockt Salome mit einer gelben Blume als einer Art Gift-Stachel zum Äußersten heraus, lässt Salome wie einen Vampir aus ihm das Gift des Todes saugen – was ihre Forderung nach dem Kopf des Jochanaan zum Exzess steigert.

Als der Stiefvater Herodes schließlich ihrem Drängen nachgibt, wird von hinten eine von unten erleuchtete Palette mit sieben mal sechs Köpfen auf Schalen hereingefahren, wie ein Heldenfriedhof. Die Wilde-Figur serviert Salome den einen oder anderen Jochanaan-Kopf und animiert sie zum Küssen. Einen der Köpfe lässt sie fallen, er zerbirst. Sie sammelt die Bruchstücke auf. Das orgiastische «ich habe seinen Mund geküsst» singt sie mit einem dieser fragmentierten Kopfstücke an den Lippen. Auf Herodes’ Befehl «man töte dieses Weib» drängen sich die in crème-weisse Uniformen mit schwarzen Schaftstiefeln und Accessoires gekleideten Wächter um sie herum und stechen sie nieder. Black.

Die Litauerin Ausrine Stundyte gibt diese Salome. Sie ist eine Sängerin von ausgeprägtem Körpergefühl, androgyn, die auch den Tanz mit der Wilde-Figur (Christian Natter) sehr überzeugend gestalten kann. Auch ihre gesangliche Palette ist farbenreich, zumal in den Piano- und Pianissimo-Tönen. Probleme hat sie, wenn sie forciert, dann leider mit allzu starkem Vibrato – wofür sie am Ende auch als Einzige Buhs einstecken musste. Stimmlich überzeugend wie auch als Figur, in seiner Lüsternheit und zugleich Angst vor dem Gottesmann, der Herodes von Gerhard Siegel. Und auch Nikolai Schukoff kann mit strahlendem Tenor für sich einnehmen als der Salome anfangs vergötternde aber dann aus Verzweiflung sich selber den Tod gebende Naraboth (neckisch mit rotem Turbanchen). Stimmlich etwas schwach die Herodias von Marina Prudenskaya, eine «blonde Bestie» im Glitzerkleid. Die fünf Juden lassen Neuenfels und von der Thannen als eine Art Conférenciers mit clownesken Zylindern und langen Schwalbenschwänzen durcheinander gestikulieren. Die Nazarener mahnen in Jochanaan nachempfundenen schwarzen weiten (Priester-)Röcken zum Gebet. Eine starke Figur ist dieser Jochanaan, hervorragend gesungen von Thomas J. Mayer. Salomes Liebes-Werben kann er nur dank äußerster Willenskraft sich entziehen. Zwei Fundamentalisten oder Extremisten unter sich.

Am Pult steht Thomas Guggeis. Der 24-Jährige sollte bei der Produktion eigentlich nur assistieren, auch eine der Vorstellungen dirigieren. Aber der zuletzt als Dirigent vorgesehene Christoph von Dohnányi (88) stieg wegen «künstlerischer Differenzen» mit der Regie kurz vor ultimo aus. Dabei war auch er nur eingesprungen für Zubin Mehta (81), der wegen einer Operation Anfang des Jahres absagen musste. Guggeis, demnächst Kapellmeister an der Stuttgarter Oper, vermag das Strausssche Riesenorchester gut auszubalancieren und so zu führen, dass die Sänger durchhörbar bleiben. Interne Verschlusssache blieb, was genau die Gründe für Dohnányis Ausstieg waren. Vor über vierzig Jahren in seiner Frankfurter Chef-Zeit hatte Dohnányi allerdings schon mal einen Streit mit einem Regisseur. Peter Mussbach hatte da eine «Götterdämmerung» inszeniert, die mit etwas ungewohnten Bildern von sich reden machte. Man landete vor Gericht.

Auf Neuenfels’ «Salome»-Sicht hat Dohnányi sich nicht eingelassen, leider, oder störte er sich an Äußerlichkeiten? Neuenfels wiederum – im Mai wird er 77 – ließ in einem Interview vorab wissen, dass dies seine vorletzte Inszenierung sei. Zu den Salzburger Festspielen noch die «Pique Dame», dann wolle er aufhören. Schade.

Foto: © Monika Rittershaus

Ende gutbürgerlich

Der neue „Tristan“ mit Barenboim und Tcherniakov

11. Febr. 2018

Wirklich aus dem Dunkel, aus dem Nichts – dieser erste Ton des „Tristan“-Motivs. Daniel Barenboim hat sich lautlos an sein Dirigentenpult im Graben geschlichen. Ungesehen jedenfalls und deswegen auch ohne Auftrittsapplaus. Es wird ein Abend, der vor allem aus der Musik, aus der unglaublich differenzierten Tongebung lebt: In den Tempi, den Accellerandi und Rallentandi, den crescendi und diminuendi der Tongebung, den Akzentuierungen, den für Wagner so wichtigen Übergängen. Ein Abend der Staatskapelle und auch der Isolde von Anja Kampe, die die mörderische Partie mit schlanker Tongebung, brillierend in den Höhen bis zuletzt ausstrahlt.

1.Akt - nach dem Trank

Was man auf der Bühne zu sehen bekommt, ist dagegen solides Mittelmaß. Dmitri Tcherniakov – seit vielen Jahren Gast des Hauses und wieder sein eigener Bühnenbildner – hat sich als Schauplatz für den ersten Akt eine Art Schiffsmesse mit gediegener Holzverkleidung im Oval ausgedacht. Um einen runden Partytisch sitzen Anfangs die Männer der Schiffsbesatzung vor leeren Flaschen und Gläsern. Wenn Isolde (im schwarzen Mantel) mit ihrer Helferin Brangäne (im grauen Strick – Kostüme: Elena Zaytseva) hereinkommt, gibt es viel Gestikulieren. Der später zum gemeinsamen Todestrank-Trinken herbeizitierte Tristan sitzt meist pflichtschuldigst oder auch völlig unbeteiligt auf einem der Drehstühle. Nach dem Leeren des ominösen Bechers – und Brangänes Sterbehilfe-Verweigerung – tollen die beiden am Boden herum, als hätten sie einen Becher Ecstasy gelehrt. Indigniert schaut der eigentliche Bräutigam Isoldes, Marke, dem Treiben zu.

Der zweite Akt spielt in einem rötlich mit Baumfigurinen ausgekleideten Ballsaal. Hinten, abgeteilt durch eine Glasschiebetür, eine Art Esszimmer mit großem Tisch. Dort wird die von der Jagd zurückkehrende Jagdgesellschaft dann Platz nehmen und Markes Anklagen gegen den ungetreuen Tristan verfolgen. Das Tête-à-tête der beiden Verliebten gestaltet sich ziemlich erotikfrei als Karikatur einer Liebes- und Welterlösungsnacht. Jetzt muss Isolde wie eine betretene Magd inhalieren, was ihr Tristan über die Liebe zu dozieren weiß. Kurze filmische Flashs wecken Erinnerungen an frühere Erlebnisse der beiden. Wenn Tristan die ihm direkt in einem Plüschsessel gegenübersitzende Isolde an den Wangen streichelt, grenzt das fast schon an Ekstase. Die Wunde, die Markes Diener Melot dem Tristan beibringt, ist ein kurzes Halswürgen. Dass Tristan daran sterben soll, ein Witz.

Auch im dritten Akt scheint Tcherniakov sich eher lustig zu machen über Richard Wagners Liebes- und Eifersuchtsdrama. Tristan, wenn er aus seinem komatösen Dahinsiechen etwas erwacht, fuchtelt und tobt durch die gutbürgerliche Wohnküche (mit deckenhohem Kanonenofen und kleinem, durch einen Vorhang abtrennbaren Alkoven), als sei er immer noch im Drogenrausch. Wenn am Ende Brangäne mit Marke und seiner Kamarilla erscheint, versuchen die Tristan-Untergebenen das Wohnzimmer mit dem Schlafsofa Tristans zu verbarrikadieren. Der liegt schon tot am Boden, Isolde versucht ihn durch Körperrollen vergeblich wachzurütteln. Der Zweikampf Melot-Kurwenal wird im Blackout abgemacht. Dann setzt man den toten Tristan hinten auf das schmale Alkovenbett, Isolde nimmt sich aus dem Küchenschrank eine Viole mit dem wohl ursprünglich gemeinten Trank und verschwindet zum letzten Ton ihres Schlussgesangs hinter dem Vorhang des Alkovens.

Es ist sicher nach den völlig verunglückten „Tristan“-Inszenierungen der letzten Jahrzehnte (von Harry Kupfer und dann dem pneumatischen von Herzog-de Meuron) die annehmbarste an dem Haus. Überzeugen kann sie nicht. Zu viel Gehampel, kaum zielführende Vorgänge. Und die Quittung für das Team waren denn auch kräftige Buhs am Ende der fünfeinhalb Stunden. Ansonsten wurden die Solisten und natürlich Barenboim und die Staatskapelle frenetisch gefeiert. Einen Tristan wie Wolfgang Windgassen oder Siegfried Jerusalem welche waren, vermisst man freilich schmerzlich. Andreas Schager singt mehr mit breiter Brust- als mit auch Kopfstimme. So rutschen ihm die Töne zumal im dritten Akt manchmal weg. Auch Boaz Daniel als Kurwenal singt eher mit Kraft als Kultur. Stephen Milling als König Marke überzeugt mit sonorem, wenn auch etwas flachem Organ, ließ sich allerdings wegen leichter Erkältung entschuldigen. Glanzvoll die Brangäne von Ekaterina Gubanova.

Bleibt noch eine weitere Erfahrung mit der Akustik. Anders als im Parkett, wo offenbar doch nicht-kontrollierte Reflexionen den Eindruck stören, bekommt man im Rang (I., seitliche Mitte, 3. Reihe) einen sauberen Klang geboten. Es ist sicher nicht ein Optimum, aber doch nicht mehr so plüsch-trocken wie vor dem Umbau des Hauses. Und vielleicht sind ja noch Optimierungen möglich. Der Sitzkomfort für etwas größere Menschen bleibt allerdings der der Touristenklasse.

Foto: © Monika Rittershaus

Schwarz-rot-gold

Die Lindenoper startet ihren regulären Spielbetrieb mit «Hänsel und Gretel» und «L’incoronazione di Poppea»

08./09.Dez.2017

Die offizielle Eröffnung der runderneuerten Berliner Lindenoper Anfang Oktober war künstlerisch nicht gerade eine Sternstunde. Wegen der vielfachen Verschiebungen des Eröffnungstermins hatte man einige für einen derartigen Feieranlass geeignete Fest-Werke schon «verbraucht». Ein krudes Gemisch aus Goethes und Robert Schumanns «Faust» diente als Ersatz, vom Noch-Hausherrn Jürgen Flimm flapsig auf die Bühne geschoben, natürlich mit dem wie immer gefeierten Daniel Barenboim am Pult.
Gleich danach wurden die Türen allerdings wieder verschlossen, um der Technik das Einrichten der vorhandenen Produktionen zu ermöglichen. Jetzt erst, zum 275. Geburtstag des 1742 vom Preußenkönig Friedrich II. eingeweihten Hauses, wurde zunächst mit einem Konzert der Staatskapelle unter Barenboim und anschließend mit zwei Premieren der reguläre Spielbetrieb eröffnet.

Haensel und Gretel Bühne

Den szenischen Auftakt durfte Achim Freyer machen – seine einst für Ruth Berghaus geschaffene Ausstattung zum «Barbier von Sevilla» aus dem Jahr 1968 ziert noch immer den Spielplan. Für Engelbert Humperdincks Märchenoper «Hänsel und Gretel» hat der Maler, Kostüm-, Bühnenbildner und Regisseur jetzt eine Art Figurentheater entworfen. Die Kinder der ursprünglich als Singspiel geplanten Oper tragen übergroße Köpfe mit kleinen Stäbchen unter den Wangen, an denen die Darstellerinnen zupfen können, um die Papp-Augen zu rollen. Die Mutter zetert im roten Reifrockkleid mit herrischem Haar-Dutt. Der Vater tobt im senfgelben Junker mit Hexenbesen und Trinkflasche über die Bühne. Der Wald wird von jeder Art Tieren, Wildschweinen inklusive, und Gruselgeistern bevölkert. Die Hexe reckt eine phallusförmige Schnüffelnase heraus, hat Lolli und Schleckmaul auf dem Kostüm kleben; ihr Lebkuchen-Häuschen entpuppt sich indes als Werbeprospekt für Sonderangebote.

In den schwarz ausgeschlagenen und mit kleinen Sternen-Lämpchen durchsetzten Prospekt hat Freyer eine Partykugel gehängt, wie schon bei seiner Abschiedsproduktion für das Berliner Ensemble, «Abschlussball», im Herbst vergangenen Jahres. Ähnlich improvisatorisch ist auch hier das Bühnengeschehen organisiert. Die Produktion setzt vor allem auf die bildnerische Wirkung von Kostüm und Ausstattung. Ganz witzig der hinzuerfundene Hunger-Koch, eine hohe weiße Figur mit schwarzen Löchern im Bauch.

Vorgänge zu inszenieren, die etwas ­erzählen könnten, meidet Freyer – Spannung kommt daher wenig auf. Zur Pause hörte man denn gepfefferte Buhs, nicht aber am Schluss. Gleichwohl kann man sich fragen, ist dies ein Theaterabend mehr für Kinder oder für Erwachsene? Gedankentiefe, wie sie Freyers 1987 für das Wiener Burgtheater entworfene, ähnlich konzipierte und mittlerweile legendäre «Metamorphosen» nach Ovid ­hervorriefen, erreicht dieser Abend nicht. Es sei denn, man dürfte die ins Schlussbild von der an der Decke krabbelnden Spinne ins Bild gehängte Tafel «Revolutio» (lateinisch ohne n) beim Siegesreigen der Kinder als konsumkritische Aufforderung zu einer Kinder-Revolte deuten: Rot für die Hexe.

Musikalisch ist die Aufführung ohne Tadel. Frankfurts Generalmusikdirektor Sebastian Weigle dirigiert die Berliner Staatskapelle mit Pfiff. Katrin Wundsam als Hänsel und Elsa Dreisig als Gretel bringen glockenhelle Stimmen ein. Marina Prudenskaya ist die gebieterische Mutter, Roman Trekel der trinkfreudige Vater, Stephan Rügamer die gierige Hexe.

Applausordnung POPPEA

Als zweite Premiere stand Claudio Monteverdis «L’incoronazione di Poppea» auf dem Spielplan: das so zeitlos politkritische, letzte Bühnenwerk des Venezianer Markusdom-Kapellmeisters aus dem Jahr 1642. Mit der Akademie für Alte Musik im Graben wurde das Plus der durch die aufwendige Anhebung der Decke im Zuschauerraum verbesserten Akustik besonders ohrenfällig.

Die Inszenierung von Eva-Maria Höckmayr zeigt eine gleichsam erweiterte Form von Oratorium: Steh-Theater, neu interpretiert. Auf der von Jens Kilian gestalteten leeren Bühne weilen oder wandeln die von Julia Rösler in kräftige Goldtöne gewandeten Figuren, meist hinten, wenn sie nicht dran sind, an der Rampe, wenn sie singen. Gelegentlich dürfen sie auch mal in dem konkaven Übergang zwischen angeschrägtem Bühnenboden und Rückwand sitzen oder wütend gegen die Wand hochrennen.

Nach dem Freitod des moralischen Zuchtmeisters Seneca be-fällt (im Wortsinn) die Hofgesellschaft eine kollektive Liebeslust. Poppea, wenn denn ihre Rivalin Ottavia, vom Kaiserthron gestoßen, tot umfällt, wird immerhin ihres künftigen Kaiserinnen-Seins nicht recht froh. Zuckend und in Distanz zum unberechenbaren Gatten intoniert sie mit ihm das berühmte Schlussduett. In Anna Prohaska hat man dafür eine nahezu ideale Poppea. Koloraturen-sicher zieht sie als Kaiserdirne im schwarzen Hemdchen oder im hellen Korsett alle darstellerischen Register.

Auch der Nero von Max Emanuel Cencic bietet Counter-Gesang in Vollendung. Franz-Josef Selig ist der profunde Philosoph Seneca. Als verstoßene Kaiserin kann sich Katharina Kammerloher profilieren – und in der Rolle der Amme begegnet man mit dem Altus Jochen Kowalski einem guten alten Bekannten. Am Pult leitet Diego Fasolis geschmeidig, wenn auch eher bedächtig das Intrigen-Spiel. Viel Beifall am Ende, aber einige Buhs fürs Inszenierungsteam. Es gibt eben Opern-Aufführungen, bei denen man nur gelegentlich mal in die Übertitel schauen muss, um das Bühnengeschehen zu verstehen, und solche, bei denen man nur durch den Blick nach oben in etwa erahnt, was unten auf der Bühne gemeint sein könnte. Diese «Poppea» gehört zu den letzteren.

Eines jedoch zeigte dieser Wiedereröffnungs-Premieren-Reigen in aller Deutlichkeit: wie nötig frischer Wind und neue Ideen für das Haus wären und wie überfällig der im Frühjahr anstehende Wechsel in der Intendanz ist.

Fotos: G.F.Kühn

Einzug ins alt-neue Haus

Zum Tag der deutschen Einheit eröffnet die Staatsoper das Lindenhaus wieder nach sieben Jahren mit „Faust“-Szenen

03.10.2017

Decke lindenoper

Ein frisch erneuertes altes Haus. Fast alles schon tiptop. Der Foyers duften noch nach der frischen Farbe. Das Gold glänzt. Der Apollosaal eine Pracht. Die Akustik im Theaterraum, noch ehe ein Ton erklingt, ist hörbar eine andere dank der angehobenen Decke mit der Schall-Reflektions-Kuppel. Auch die Reden zur Einweihung, besonders die des ersten Redners, des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier mit seinen launigen Worten, passten. Daniel Barenboim bekommt schon beim Auftritt im Graben standing ovations. Und dann die Ernüchterung. Erst leicht, dann massiv.

Der Klang der Staatskapelle ist nicht so warm-ausgewogen-rund, wie man das Orchester sonst kennt, etwas kalt und gelegentlich fast blechern mit bollerigen Bässen. Daniel Barenboim dirigiert Robert Schumanns „Faust-Szenen“. Eigentlich ein Oratorien-artiges Werk, vollendet 1853. Nun weiß man, dass Schumann nicht der begnadetste Instrumentator war. Es mag daran liegen, dass man den filigran-samtenen Klang des Orchesters etwas vermisst. Sicher lässt sich das noch feinjustieren.

Optimal ist allerdings die Nachhallzeit von 1,6 Sekunden – wie es heißt. Aber die Sanierung des wieder erstandenen DDR-Rokoko-Hybrid war ja ursprünglich auch ganz anders geplant: entkernt werden sollte das Haus und gefüllt mit einem modernen optisch und akustisch optimierten Innenausbau. Doch da hat sich der damals Regierende Klaus Wowereit (jetzt mit in der Ehrengäste-Loge und munter parlierend mit der Kanzlerin) von den Traditionalisten wegen ein paar Millionen über den Tisch ziehen lassen. So wurden aus etwa 220 Millionen Euro Kosten 400.

Und dann die Inszenierung des Noch-Hausherren Jürgen Flimm – was hat man da den vielen prominenten Gästen aus Wirtschaft, Politik, Kultur und den Fernseh-Zuschauern in ganz Europa (via arte.tv) zugemutet! Das soll das Haus mit internationaler Ausstrahlung sein, mit einer technischen Ausstattung auf Weltniveau, um es im alten DDR-Deutsch zu sagen? Auf gut Deutsch fühlt man sich an Striese erinnert; und wäre der Theater-Direktor ein Politiker, würden stante pede die Rücktrittsforderungen nur so prasseln. Aber hier geht’s wohl wie jüngst bei Frau Merkel nach der Wahl: War da was?

Flimm hat, um den Abend aufzumöbeln, die Schumann-Szenen mit welchen aus dem Goethe-Original-„Faust“ zu einer Art „Faust“-Digest gemischt unter dem Motto „Zum Augenblicke sagen: verweile doch!“ Dazu hat er sich von Markus Lüpertz ein paar übergroße Figuren, Köpfe und Bühnenvorhänge bauen bzw. malen lassen. Die Kostümabteilung durfte ordentlich in der Biedermeier-Abteilung wühlen. Auch ein Zwergen-Kinderchor mit Kreidetafeln für Merkworte wird bemüht.

Es ist ein endlos mühsames Herum-Theatern und Chargieren. Die meisten Szenen werden in einen engen Kasten verschoben, sodass Inszenierungs-Arbeit eigentlich nicht möglich bzw. überflüssig ist. Mit viel Bühnendampf (meist ein Zeichen von Ideenlosigkeit), auch in schillernden Neon-Farben, plus Einsatz des Flugwerks und Öffnung von Bodenklappen wird die Technik samt toller Beleuchtung vorgeführt. Klanglich etwas zu kurz kommen im neuen Ambiente die Sänger*innen. Voll überzeugen können lediglich René Pape als singender Mephistopheles und die junge Elsa Dreisig als Gretchen.

Auch wenn die Sänger am Ende, kleiner Scherz, die Biedermeier-Klamotten abstreifen dürfen – ein schlüssiger Abend, zu dem man sagen möchte, Augenblick verweile doch, ist das nicht.  Schon zur Pause sagen ihm einige Leute ade und wandern ab, Event hin oder her. Und am Ende gibt’s für Flimm und sein Team auch ein paar kräftige Buhs. Gut – für die Eröffnung geplant war eigentlich eine Uraufführung, aber Wolfgang Rihm, der angefragte Komponist, wurde krank und konnte die Partitur nicht rechtzeitig fertig stellen. Dem Haus und seinem Renommee wird diese Ersatz-Premiere keinen guten Dienst erweisen. Ob die ab Dezember ins alt-neue Haus stehenden Premieren die Scharte auswetzen können? Man wird sehen.

Szenen-Fotos: auf der Webseite der Staatsoper

*

Kampf mit Phantom

Neueröffnung der Staatsopern-Werkstatt
mit Lucia Ronchettis „Rivale“ (U)

Premiere: 8.Okt. 2017, gesehen Vorstellung am 11. Okt. 2017

Prachtvoll ist diese junge Stimme, wandlungsfähig, ohne falsches Vibrato. Sie gehört Almira Elmadfa. Das Stück von Lucia Ronchetti unter dem Titel „Rivale“ behandelt Ariosts Geschichte vom Ritter Tancred und seiner im Wald zurückgelassener Geliebter Clorinda in der französischen Fassung von Antoine Danchet. Selbst eingerichtet von der Komponistin ist es eine Art feministisches Psychogramm Clorindas, und wie sie sich aus der Unterdrückung durch den Ritter zu befreien sucht.

In der Werkstattinszenierung von Isabel Ostermann und mit der Ausstattung von Stephan von Wedel sieht man ein gitterartiges Gestänge. Darin verstreut am Boden liegend einige Utensilien: Ein Kleid, auf das Clorinda gleich zu Anfang zugeht, um es sich überzustreifen; ein Strick, mit dem sie sich dann die Arme auf den Rücken bindet; eine Ritterrüstung, gegen die sie am Ende kämpft wie gegen ein Phantom – bevor sie ihr Leben aushaucht.

Max Renne leitet das kleine Orchester, zusammengestellt aus Geige, Blechbläsern und zwei Schlagzeugern. Ronchetti hat für ihre Partitur reichlich in tradierten Materialien gestöbert. Mal klingt es wie Monteverdi, mal wie Mussorgsky, mal wie Strawinsky und anderen. Immer sind es sehr sprechende Muster, die sie heranzieht. So entsteht in dem als Werkstatt neu eingerichteten Raum des Intendanz-Gebäudes ein Abend von gut 60 Minuten Länge, bei dem man eine junge Sängerin bewundern kann, die sicher auch noch darstellerisch viel hinzulernen wird.

Die Produktion wird nach Braunschweig übernommen, Isabel Ostermanns neuen Wirkungsort.

Fotos: G.F.Kühn

PresseFotos Barenboim YouTube Boulez-Saal Staatsoper in Diskussion