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Telemann: Pastorelle
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Händel-Festspiele
Halle Göttingen

Einübung in die Liebe

Eine Pastorelle von G.Ph.Telemann erstmals szenisch nach fast 300 Jahren als Studioproduktion der Berliner Komischen Oper

13.Jan.2004

Die eine mag gar nicht. „Freiheit soll die Losung sein“ singt sie mit furienhafter Emphase. Die andere ziert sich weniger heftig. Dann gewinnt sie dem Gedanken doch etwas ab: Lieben, Heiraten, mit einem Mann leben – derweilen die beiden Männer fast zu Tode sich quälen. Am Ende ist alles im Lot. Die Widerspenstigen sind gezähmt. In seiner Frankfurter Zeit zwischen 1712 und 1717 schrieb der Komponist Georg Philipp Telemann diese Musik. Schäferspiele nannte man solche Einübungen in die Liebe: Liebe exterritorial, an einem exotischen Ort des Probierens in einem mythischen Arkadien.

HUTH: Die Schäferspiele grassierten geradezu. Es war sehr leicht, solche Liebeshändel an einen abstrakten Ort zu bringen. Man brauchte nichts weiter zu erklären, das spielte sich einfach ab. Das Besondere an dem Werk ist, dass es nicht nur ein Unikum in Telemanns Schaffen ist, sondern dass es durch die Verwendung als Hochzeitsmusik ein viel größeres Instrumentarium hat, zB Blechinstrumente, die man in einem Schäferspiel nicht vermutet. Und dass dies durch Telemann dazu genutzt wird, die Charaktere zu vertiefen.

So Peter Huth. Er hat diese „Pastorelle en musique“ herausgefischt aus dem Konvolut von Manuskripten der Berliner Singakademie, die 1945 von der Roten Armee beschlagnahmt und, 1999 in einem Archiv der Ukraine von dem Bach-Forscher Christoph Wolff wieder entdeckt, jetzt in der Berliner Staatsbibliothek lagern.

HUTH: Ich muss aber dazu sagen, dass es vorher bereits von einem Ukrainischen Musikstudenten abgeschrieben worden war, auch in Magdeburg gemeldet wurde. Aber die Magdeburger haben das nicht weiter gemeldet. Und so ist es zweimal entdeckt worden.

Voller musikalischer Perlen steckt dies fast zweistündige Operchen. Ein Gelegenheitswerk gewiss der Sonderklasse. Die Berliner Komische Oper hat die szenische Erstaufführung nach fast drei Jahrhunderten einem jungen Team anvertraut. Man spielt in einem der so genannten „Meistersäle“ nahe dem Potsdamer Platz. Als Groteske mit viel Ausstattungsmüll haben der Regisseur Vegard Vinge und seine Ausstatterin Nicole Riegel das auf die Minibühne gestemmt. Grimassierend muss sich die als heftigste Heiratsgegnerin gebranntmarkte Caliste von Evelien Asberg durch das Stück quälen. Immerhin musikalisch ist das mit dem Belgischen Barockspezialisten Florian Heyerick am Pult auf sehr hohem geglückt. Szenisch bleibt das Werk weiterhin zu entdecken, vielleicht auch mit einer etwas zupackenderen Bearbeitung der oft allzu länglichen Wiederholungen. Die Produktion wird auch gezeigt bei den Telemann-Festtagen Magdeburg 2004 (14.März).


Nicht schmeichelhaft

Carl Heinrich Grauns L’Orfeo

bei den Musikfestspielen Potsdam-Sanssouci 19.Juni 2003

Das Neue Palais von Sanssouci mit dem HoftheaterMusikalisch gold geht’s hier den Bösen. Aspasia etwa, einer vom Librettisten als eifersüchtelnde Thraker-Königin eingefügten Figur. Sie will Orpheus für sich und schickt der Rivalin Eurydike gleich nach der Hochzeit die Schlange und den Tod. Oder Pluto; Amor ist hier sein handlangender Dunkelmann. Nur widerwillig macht der Fürst der Unterwelt das Theater mit um den Sänger, der ungebeten alle Gesetze von Leben und Tod brechen will. Natürlich muss er letztlich an seiner Rebellion scheitern. Der Orfeo von Friedrich des Zweiten Hofkapellmeister Carl Heinrich Graun ist eine noch tief im barocken Intrigen-Netz befangene Version des Stoffs: Italienische Oper mit einem Schuss Rameau in den Wahnsinnsszenen, wo Eurydike spürt, irgendetwas geht vor mit ihr. Aber noch weit entfernt von der holzschnittartigen Klarheit, in der Gluck und Calzabigi den Stoff bearbeiteten zehn Jahre später in ihrer bis heute berühmten Wiener Reformoper.
1752 in Berlin wurde Grauns Orfeo uraufgeführt. Ein kleines Highlight bei den Potsdamer Musikfestspielen. Vor allem musikalisch mit der silbrig-glänzenden Akademie für Alte Musik im Graben und Ralf Popken am Pult. Szenisch ist es historisierend brav gelöst von Hinrich Horstkotte im beengten Hof-Theater des Neuen Palais von Sanssouci; geschickt lässt der Regisseur auch über die Rampe spielen. Und mit Alexander Plust als Orfeo und Joanne Lunn als Euridice hat man stimmlich ausgesuchte Protagonisten. "Europäische Brücken" zwischen Utrecht-Potsdam- St.Petersburg wollen die Musikfestspiele Potsdam-Sanssouci bauen im 300.Jubiläumsjahr von Sankt Peterburg. Die Preußenkönige pflegten bekanntlich gute Kontakte sowohl nach Ost wie West. Und der Hofkapellmeister von Preußens anfänglichem Musenkönig, Friedrich II, hat heuer ebenfalls 300.Geburtstag - wahrscheinlich; denn ganz genau weiß man das Geburtsjahr von Carl Heinrich Graun nicht.
Seine Orfeo-Oper jedenfalls war ebenfalls eine Geburtstags-Oper, nämlich eine für die Königin-Mutter. Und wenn man sich das Libretto so durch den Kopf gehen lässt, eine nicht eben schmeichelhafte.


Lieben und sterben –
der doppelte Kick

Alessandro Melanis L'empio punito

beim Bach-Fest Leipzig, Mai 2003

Unzählige Bearbeiter hat der Don Juan-Stoff des Tirso de Molina gefunden. Die wohl früheste musikalische Bearbeitung datiert aus dem Rom des 17.Jahrhunderts. Alessandro Melani heißt der Komponist. L’empio punito – zu deutsch etwa: der bestrafte Ruchlose, oder Gottlose, was damals das Gleiche war – heißt das gestrenge Stück. Drei Jahrhunderte schlummerte es in den Archiven, bis es in den 1980iger Jahren in Schweden mal schon ausgegraben wurde. Jetzt hat es der französische Barockspezialist Christophe Rousset für das Leipziger Bachfest eingerichtet.
An diesem Verführer hatte selbst der Papst sein Vergnügen. Clemens IX gab das Werk in Auftrag beim Kapellmeister von Santa Maria Maggiore. Am 17.Februar 1669 zu Karneval erblickte dieser Bestrafte Gottlose des Alessandro Melani das Theaterlicht in einem Römischen Palazzo. Es ist ein Don Juan, der – echt barock – den Tod als geradezu Erotik-Kick sich herbeisehnt. "H e has a very special view of life, he wants experiments of death" sagt Christophe Rousset. Er hat die Drei-Stunden-Oper in den Vatikanischen Archiven ausgegraben, um alle Balli, Chöre, Divertissements gekürzt auf erträgliche zwei Stunden und instrumentiert. Mit seinen exzellenten Talens Lyriques bringt er sie auch auf die Bühne des Leipziger Schauspielhauses als Kooperation von Bach-Fest und Oper.
Die Aufführung ist eine Information darüber, was war im Musiktheater zwischen den Großmächten Monteverdi und Händel. Dramatik pur freilich ist L’empio punito nicht, eher ein klingender Besinnungsaufsatz mit auch heiteren Noten. Acrimante (Marguerite Krull), wie der Schwerenöter hier heißt, muss gleich zweimal sterben: erst mit einer Gift-Scheinattacke der betrogenen Gattin, dann auf Höllenfahrt mit einem steinernen Gast. Und endlich darf Atamira (Marika Schönberg), wie die Elvira hier heißt, auch den um sie werbenden König Atrace heiraten. Ipomene (Kathrin Göring), nach der der Sinn ihm steht, bekommt er nicht. In Eric Vigners steifem szenischem Arrangement wirkt das auf der terassenförmig gestuften, gold ausgeschlagenen Bühne wie ein sittsames Konzert in Kostümen. Voller Überraschungen aber immer wieder die in Rezitativen, Arien, Duetten aufblitzende Musik.


Krieg der Herzen

Reinhard Keisers Der Tempel des Janus

wieder entdeckt von der Berliner Kammeroper, Premiere Berlin Hebbeltheater, 06.09.2001

Reinhard Keisers Opern haben oft politische Hintergründe. Seine zweite Oper Der Tempel des Janus entstand ganz explizit als Friedens- und Huldigungsoper. Uraufgeführt wurde sie am 31. Januar 1698 in der Hamburger Bürger-Oper am Gänsemarkt, später dann wiederholt 1712 und 1729. Anlass war der 1697 geschlossene Frieden zwischen Frankreich, England, Spanien und den Niederlanden, dem der Deutsche Kaiser und das Reich später beitraten. Er beendete den Pfälzischen Erbfolgekrieg 1688-97, an dessen Beginn Frankreich die Pfalz verwüstet hatte, die reichste Provinz des Reichs. Im Frieden gab Frankreich rechtsrheinische Gebiete zurück, die es annektiert hatte. Für Hamburg bedeutete der Friedensschluss zwischen seinen wichtigsten Handelspartnern und dem Reich die Aufhebung zahlreicher Handelsbeschränkungen. Der Titel bezieht sich auf eine Toranlage eines dem doppelgesichtigen Gott Janus geweihten Tempel im Forum Romanum, deren Türflügel bei Krieg offen standen, im Frieden geschlossen wurden. Das geschah in der Antike acht Mal, davon drei Mal unter Augustus, zuletzt im Jahre 9 vor Christus, worauf die längste Friedensperiode folgte. Auf dieses Ereignis bezieht sich die Oper, die jetzt die Berliner Kammeroper wieder aufbereitet und aufgeführt hat im Berliner Hebbel-Theater. Frieden wird beschworen im Schluss-Ensemble. Es ist ein erzwungener, ein brüchiger Frieden. Die, die miteinander wollen, dürfen nicht. Die, die zusammen müssen, werden es nicht lange bleiben. Das nächste Schlachtfeld ist schon bereit.
Reinhard Keisers und seines Librettisten Christian Heinrich Postel Friedens- & Huldigungs-Oper von anno 1698, Der Tempel des Janus, ist ein Wunschprodukt. Was der einfache Bürger einer Freien Hansestadt wie dem damals reichsunmittelbaren Hamburg, erwartete von der hohen Politik: Keine, schon gar keine dynastischen Streitereien der Regierenden auf dem Rücken ihrer Untertanen, das nämlich ist Gift fürs Geschäft - hier wird’s gesagt. Der moralisierende Appellcharakter dieses zweitfrühesten Werks des die Hamburger Gänsemarktoper prägenden Autorenpaars ist evident. Politische Intrigen werden auf die menschliche Ebene projiziert mit Rückgriff auf die römische Geschichte. Tiberius und Agrippina, das Liebespaar soll aus Gründen dynastischer Machterhaltung auseinander dividiert und mit neuen Partnern neu koaliert werden mittels eines Tricks. Sie seien ein heimliches Zwillingspaar enthüllt die die Intrigenfäden spinnende Kaiserin Livia ihrem amtsmüden Gatten Augustus am Ende. Der nämlich möchte seine Macht an Tiberius weitergeben, den Sohn aus 1.Ehe seiner Frau. Aber damit die Macht in der Familie bleibt, soll Tiberius des Augustus Tochter ebenfalls aus einer früheren Ehe, Julia, heiraten, eine ebenfalls eher aufs Intrigen-Spinnen erpichte junge Dame. "Tu felix Austria nube!" Der zynische Wahlspruch der zu Keisers Zeiten regierenden Habsburger zum Heiraten unter dem Aspekt des Machterhalts und über die seelischen Befindlichkeiten der Menschen in diesen Ämtern hinweg ist ein aktuelles Thema sogar noch heute in republikanischen Zeiten, das Mitempfinden der Opern-Autoren groß mit den Betroffenen. Tiberius, der künftige Kaiser, wird als Kaiser ohne seine Geliebte Agrippina an seiner Seite ein unglücklicher  Mensch bleiben. Das Unglück des Herrschenden an der Spitze wird zu dem der gesamten Nation.
Wie immer in seinen Werken überrascht der Komponist Reinhard Keiser auch im Tempel des Janus mit einer Fülle klanglicher und harmonischer Raffinessen. Die Arie des die Schatten herauf kriechen fühlenden Tiberius hat ein Pendant auch in einer Arie der Agrippina, seiner eigentlichen Geliebten, dann als Zwillingsschwester von ihm getrennten Seelen-Verwandten. Die finnische Sopranistin Eeva Tenkanen mit ihrer so innigen wie ausdrucksstarken Stimme ist der eigentliche Star dieser Produktion der Berliner Kammeroper. Erneut bereichert die auf Erst- und Uraufführungen spezialisierte Truppe mit ihrem Griff in die Barockoper den Spielplan und schärft den Blick auf die frühe deutsche Oper - auch wenn dieses Werk Reinhard Keisers nicht ganz die Kraft hat wie der spätere Croesus oder der vor einigen Monaten in Stuttgart neu erprobte Masaniello, jene Oper über den Fischeraufstand von Neapel, deren Plot vor allem durch Aubers Stumme von Portici im Gedächtnis haftet. Keiser folgt in dieser frühen Oper über den zu schließenden Janustempel noch nicht so frei den dramaturgischen Wendungen des Librettos in seinen Rezitativen, lässt sich noch allzu bereitwillig pressen ins Seria-Schema der ABA-Arien. Kaum über Routine sich hinauswagend auch die Inszenierung von Matthias Remus. Etwas hilflos sein Versuch, durch Einfügen einer Turnschuhfigur in Jeans, die als Leserin durch die Szene stolpert, dem Stück den evident heutigen Blick überzustülpen. Nicht immer koloraturenfest auch die jungen Sängerinnen und Sänger. Flexibel aber das Spiel der kleinen Capella Orlandi Bremen im Graben des Berliner Hebbeltheaters unter Thomas Ihlenfeldt, der die Aufführung an der Chitarrone leitet. Ein schöner Erfolg für die finanziell um ihre Existenz bangende Kammeroper. Auch vom Publikum honoriert.


Im Klanglaboratorium des prete rosso

Vivaldis Juditha triumphans in Potsdam

6.April 2001

Potsdam hat derzeit kein "richtiges" Theater, man behilft sich mit Provisorien - Gelegenheit zu experimentieren. Auf Juditha triumphans, ein Vivaldi-Oratorium, kam man so, und zwar szenisch. Ein sogenanntes "sacrum militare oratorium", ein "Kriegs-Oratorium", ist die Geschichte von der "triumphierenden Judith". Beschworen werden sollte mit diesem patriotisch-religiösen Werk ein Sieg im Kampf Venedigs gegen den türkischen Rivalen im Osten. Wieder mal war Krieg. 1716, im Uraufführungs-Jahr des Oratoriums, konnte dann endlich auch bei Korfu der Sieg gefeiert werden. Die apokryphe Geschichte von Judith und Holofernes wird hier beansprucht für den Kampf des Abendlandes gegen das Morgenland. Ein der Partitur vorangestelltes Gedicht parallelisiert die handelnden Personen des Stücks allegorisch mit aktuellen Figuren der damaligen Historie. Judith steht für die Adria und damit Venedig, Holofernes für den Sultan Ali Pascha. Judiths Gefährtin Abra allegorisiert den Glauben, der Hohepriester Ozias die Stadt Bethulien und die Christenheit, des Holofernes Diener Vagaus den Feldherren des Sultans. Stimmlich hat er die virtuoseste Partie.
Reizvoll ist dies Oratorium zum einen durch seine quasi opernhafte Form mit Rezitativen, Arien und nur ganz sparsamen Chören. Seit 1713 hatte Vivaldi seine zweite Karriere begonnen als Opernkomponist und vor allem auch Opernimpresario erst in Vicenza, dann in Venedig und darüber hinaus. Besonders besticht dies Werk aber durch seine außerordentliche klangliche Raffinesse. Im "ospedale della pietà", jenem Mädchen-Findlingsheim, in dem der wegen seiner auffallend roten Haare als "prete rosso", als roter Priester, bekannte Komponist seit 1703 - erst als Violin-Lehrer, dann als Konzertmeister, und mit Unterbrechungen - Dienst tat, legte man Wert auf besondere Vielfalt der Instrumental-Ausbildung. Konzerte mit dem eigenen Orchester und den Mädchen-Solisten gehörten zur Haupt-Einnahmequelle dieses auf frühen Kultur-Tourismus spezialisierten "Konservatoriums". Vivaldis Partitur fordert neben dem vierstimmigen Streichorchester doppelt besetzte Blockflöten, Oboen, Chalumeau, Trompeten, frühen Formen von Klarinetten, Pauken, Viole d’amore, Mandoline, Theorben, Cembalo und obligate Orgel. Wie in einem "großen Laboratorium", sagt der Dirigent der Aufführung, der musikalische Leiter der Karlsruher Händel-Festspiele, Andreas Spering, hat Vivaldi hier fokussiert, womit er sonst in seinen Instrumentalkonzerten verstreut klanglich experimentierte.
Die szenische Ausdeutung des Potsdamer Intendanten Ralf-Günter Krolkiewicz akzentuiert sparsamst den Konflikt zwischen dem draufgängerischen Mann und dieser Jeanne d'Arc-artigen jungfräulichen Witwe Judith, die todesmutig ins Lager des assyrischen Eroberers Holofernes geht, um ihn zu betören, den Trunkenen im Schlaf zu enthaupten und ihre kleine jüdische Stadt Bethulien vor der Gefahr zu erretten. Am Ende feiert man sie und den wiedergewonnenen Frieden. Gespielt wird in der Friedenskirche am Park von Sanssouci. Die Bühne ist breit in die Längsachse der Kirche gebaut. Genutzt werden vor allem die akustischen Möglichkeiten des Raumes. Einzige gravierende Veränderung: während in Vivaldis ospedale die solistischen Partien von fünf jungen Frauen gesungen wurden, singt den Holofernes hier ein Mann, der Counter Gunther Schmid. Etwas deutlicher werden soll so der Geschlechterkonflikt.
Im Zentrum allerdings steht die Judith, eine Partie möglicherweise für Vivaldis "Muse" Anna Girò. Ann Hallenberg, eine junge schwedische Mezzo-Sopranistin, singt diese Partie ausdrucksstark und mit wunderbar weicher Stimme. Besonders eindrucksvoll eine Arie mit Begleitung des alten Hirteninstruments Chalumeau, klanglich eine Mischung aus Klarinette und Flöte, wenn Judith einsam sich auf den Weg macht ins gegnerische Lager. Von stupender Virtuosität Johanna Stojkovic als Holofernes-Bedienter Andaus, darstellerisch etwas unglücklich geführt. Weitere deutende Zugabe der Regie: Judith hat als gleichsam alter ego und innere Stimme eine Tänzerin zur Seite, Jutta Deutschland, die frühere Primaballerina der Komischen Oper; zum rechten Augenblick serviert sie Judith das Schwert. Insbesondere musikalisch vergegenwärtigt diese Aufführung mit Wolfgang Katschners versierter LauttenCompagney und dem neuen Kammerchor Potsdam einen Vivaldi wie man ihn sonst nicht kennt. Von Vivaldis über vierzig Opern und Pasticci wird heute ja kaum noch etwas gespielt, vieles ist auch verschollen. Eine überaus lohnende Rarität.


Eroberungen

Johann Christian Bachs Oper
Alessandro nell’Indie

bei den Musikfestspielen Potsdam-Sanssouci, 22.6.2000

Beziehung Bach, das Thema der Musikfestspiele in Potsdam Sanssouci: Im Bach-Jahr 2000 wollte man den vielfältigen Verknüpfungen der Bach-Familie mit dem Potsdamer Hof nachgehen. Johann Sebastians Musikalisches Opfer auf ein Thema König Friedrichs II ist die berühmteste Hinterlassenschaft. Der älteste Sohn Carl Philipp Emanuel war lange Jahre Cembalist in Potsdam. Nach dem Tode des Vaters lebte der jüngste Sohn Johann Christian bei ihm. Dass er, der "Mailänder" und "Londoner" Bach, auch Opern schrieb, wissen heute nur wenige. Aber Mozart, der ihn besuchte, schätzte seine Kunst; sie hatten zum Teil den gleichen Lehrer. Johann Christians für Neapel komponierte Oper Alessandro nell’Indie / Alexander in Indien wurde im Schlosstheater des neuen Palais in Potsdam-Sanssouci jetzt neu aufgeführt als Koproduktion mit dem Hans Otto Theater.
Auch ein großer Welten-Eroberer hat so seine schwachen Sekunden. Da legt er den Brustpanzer ab und will nur Mensch sein. Statt Pauken, Trompeten und ratternde Koloraturen die sanften Lüftchen von Flöten und Geigen: Beziehung pflegen zu Cleo, die als Königin eines Teils von Indien eigentlich Poros, den König des eben mal vomn ihm eroberten anderen Teils von Indien, als Geliebte erhört. Ohnehin ist dieser Alexander ein schon grässlich aufgeklärter Herrscher. Ständig schmeißt der Mazedonier mit seiner Güte um sich, will verzeihen wie sein späterer Opernkollege Titus. Für alles hat er Verständnis, während der Exot Poros bis zum Schluss, wo auch er das Verzeihen lernen muss, allweil schäumt und wütet, seinen Gefühlen und Regungen allzu freien Lauf lässt.
1762 schrieb Johann Christian, der jüngste und begabteste der Bach Söhne, Alessandro nell’Indie. Abstand vom großen Bruder Carl Philipp Emanuel und dem Preußen-Hof zu gewinnen, hatte der 1735 Geborene, volljährig geworden, sich nach Italien aufgemacht. Dort wollte der von CPEB zum "besten Klavierspieler seiner Zeit" Herangebildete sich vervollkommnen auch in den "galanten" Künsten des Komponierens. Im berühmten Padre Martini, den auch Mozart später konsultierte, fand er seinen Mentor. Sein Brot verdiente er als Organist am Mailänder Dom, wozu er allerdings vorher noch seinem Lutherischen Protestantismus abschwören musste. Seinen ersten Opernauftrag bekam er vom Theater in Turin, einen Ataxerxes. Sogleich meldete sich auch Neapel zunächst mit einem Cato-Auftrag. Das Werk über den Indien-Eroberer Alexander nach einem Text Metastasios ist Johann Christians dritte Oper. Sprungbrett wurde sie für ein Angebot ans King’s Theatre in London. Dort wurde die aus Mecklenburg-Strelitz stammende englische Königin Sophie Charlotte für den "Saxon Master of Music", den Sächsischen Musikmeister, neue Gönnerin.
Cleofide, die Königin eines Teils Indiens - sie ist im Stück und in der Produktion der Potsdamer Musikfestspiele mit dem Hans Otto Theater im Schlosstheater des Neuen Palais die eigentliche Zentralfigur. Olga Pasychnik verleiht dieser Cleofide nicht nur majestätischen Glanz. Auch stimmlich ist sie mit ihrem perlend leichten und lichten Sopran die eigentliche Königin der Aufführung. Auch wenn Cleofide als Frau dem Eros der Macht in Gestalt Alexanders zeitweise zu erliegen droht, stets wahrt sie doch Würde, ganz im Unterschied zu Erissena, der anderen Frauenfigur. Die Schwester des Poros kokettiert ganz offen mit den Männern hin und her. Mit ihrem leicht ins Mezzo gefärbten Sopran gibt Johanna Stojkovic dieser Figur flattrige Züge.
Alexander in Indien - als genuines Theaterblut zeigt der jüngste der Bache jedenfalls in diesem Werk sich nicht. Während sogar Händel, der das Sujet (mit Poros) auch mal am Wickel hatte, schon in der mittleren Periode längst vom Prinzip der steifen Seria abgegangen war, was in Hamburg ihm Reinhard Keiser mit Erfolg vorexerziert hatte - hier finden wir noch die korsettierten ABA'-Arien mit einem meist kontrastierenden kurzen Mittelteil und ausladenden Wiederholungen. Nur ganz ausnahmsweise, wie im erbitterten Streit zwischen Poros und Cleofide um ihre jeweiligen Treuegelübde, gibt es Ansätze zu offeneren theatergemäßen Ensembles.
In der Potsdamer Produktion mit der vorzüglichen Akademie für Alte Musik unter Andreas Sperings stringenter Leitung mochte man zu kraftvollen Schnitten sich nicht entschließen, die aus dem etwas trägen Bach von braven Rezitativen und Arien einen mitreißenden Theater-Fluss gemacht hätten. Die Regie von Jakob Peters-Messer ist trotz einiger Modernismen ebenfalls nicht angetan zu einer Straffung. Übers Kunstgewerbliche im szenischen Bereich ist man in Potsdam bei den Sanssouci-Produktionen ja in all den Jahren nicht hinausgekommen.
So vermag die Aufführung im Bach-Jahr 2000 bloß zu erinnern an eine verloren geglaubte Seite der Bach-Söhne. Aber Johann Christian hat ja auch für London und dann vor allem für Mannheim Opern geschaffen, dazu Pasticci, also Einlagen für andere Opern, unter anderem für Glucks Orfeo. Vielleicht gibt es doch noch Interessanteres zu entdecken anderswo.