Zur Premiere der
Oper "Mamon" in der Staatsoper wollten die beiden am 3.Juli gehen, meldet der
Oberleutnant von der Hauptabteilung XX/7 gehorsamst in einer "Information" vom
Ende Juni '71. Bis zum "Treffbericht" wenige Tage später hatte der StaSi-Mann
den korrekten Titel der Massenet-Oper schon gelernt: Manon nicht das
schnöde «Mamon». "Stefan", so der
Deckname des IMV, habe "den KÜHN" in der "Möwe" kennen gelernt. Das war das
damalige Künstlerlokal in Ostberlin. Er sei politisch informiert und
interessiert, habe sich besonders auch interessiert für die Arbeit des IM bei
der wissenschaftlichen Erforschung der Rundfunk-Rezeption. Mit Genugtuung
bemerkt der Oberleutnant, dass mit Hinweis auf den "vertraulichen Charakter"
dieser Forschungen der IM detaillierteren Fragen habe ausweichen können,
gleichwohl den Kontakt im Glauben ließ, "dass sie konkrete Kenntnisse über die
Meinungsforschung im Rundfunk" habe.
Musik: MASSENET Manon-Ouvert.1.Akt, kurz hoch und weiter drunter
laufen lassen
Dass "Stefan" für
die StaSi arbeitete - ich hatte nicht den leisesten Verdacht. Sie war stets gut
informiert, interessiert, auch kritisch gegenüber der DDR. Man traf sich gern
zum Diskutieren. Sie stammte aus dem Kreis der jüdischen Emigranten. Der Mann:
Opern-Regisseur.
Ich wunderte mich
später, als sie strahlend erzählte, sie habe nun durchgesetzt, ihr altes
US-Visum erneuert zu bekommen, um Verwandte in Amerika zu besuchen. Ich wunderte
mich auch, dass sie alle paar Jahre in einem neuen Arbeitsfeld tätig wurde,
immer in für die DDR heiklen Bereichen (wie Altenforschung, Jüdische Gemeinde)
und ständig umzog.
Dass sie, als ab
1972 die Möglichkeit sich eröffnete dank der deutsch-deutschen Verträge
regelmäßig über kulturelle Ereignisse in der DDR zu berichten - dass sie da
schon eine Fährte in die Aktenkammer der StaSi gelegt hatte über mich, ahnte ich
auch nicht.
Jetzt jedenfalls
weiß ich, die Sorge war unbegründet, ihr zu begegnen an dem Ort, wohin mich
meine erste, von einem eifrig Notizen machenden offiziellen Begleiter bewachte
Korrespondenten-Reise führte und dabei ihre Identität zu lüften gegenüber jenem
vermutlichen StaSi-Offizier.
Musik: noch mal MASSENET Manon kurz hoch, dann langsam ausblenden
Der nächste mehr
grundsätzliche Eintrag in der Akte Theater, wie ich nun abgeheftet wurde,
findet sich unterm 31.Mai 1979. Nicht mehr die Hauptabteilung Zwanzig, Kultur,
sondern die - römisch - II, "Spionageabwehr", führte nun die Akten.
Mittlerweile war
der kurze Kulturfrühling nach dem Wechsel in der Parteispitze von Ulbricht zu
Honecker '71 längst erstorben. Sichtbares äußeres Zeichen: die Ausbürgerung Wolf
Biermanns im November '76. Die Korrespondenten westlicher Medien wurden nun
wieder mit dem üblichen Misstrauen beäugt.
Neben einigem
Falsch-Aufgeschnappten finden sich in dem Eintrag, der offenbar bei Anfragen aus
den Bezirken bereit gehalten wurde, auch einige durchaus realistische
Einschätzungen. "Nach außen hin", heißt es dort, zeige KÜHN den "offiziellen
Partnern" und "direkten Gesprächspartnern" in der DDR gegenüber "sachliches und
korrektes Verhalten". Und dann wörtlich:
"KÜHN
versucht in geschickter Form durch Wiedergabe wörtlicher Äußerungen von
DDR-Bürgern und eigenen Einblendungen Widersprüche zwischen der offiziellen
Politik von Partei und Regierung und der Bevölkerung der DDR aufzuzeigen." Zum
Beispiel:
Das Niveau
kultureller Veranstaltungen sei zu gering, die Darsteller seien nicht in der
Lage, dem Inhalt der Musikstücke zu entsprechen...
Der Kunst der DDR mangelt es an Farbe, an Vielfalt.
Die Themenvorgabe sei zu sehr eingeengt...
Es wird indirekt aufgefordert, sich ... den Problemen der Individuen zuzuwenden, zu
entpolitisieren.
Beiträge der
Künstler aus dem Nicht-Sozialistischen Währungsgebiet werden solchen der DDR ...
gegenüber gestellt und dabei der Eindruck erweckt, dass das Niveau der
Kunstschaffenden aus dem NSW-Bereich [="nicht-sozialistisches Währungsgebiet"] dem unserer
Künstler überlegen sei.
Künstler oder
Neuveröffentlichungen, die nicht unbedingt im Fahrwasser der DDR-Kulturpolitik
stehen, werden mit positiver Kritik bedacht.
Zusammenfassend
kommt der "Auskunftsbericht" dann aber zu der im Blick auf das vorher Zitierte
doch widersprüchlich scheinenden Beurteilung:
Insgesamt
kann seine Berichterstattung als objektiv, allerdings verknüpft mit der
oben genannten negativen Tendenz bewertet werden. Er will die realen Verhältnisse
in der DDR einer "kritischen" Bewertung unterziehen.
Musik: aus Paul DESSAU Leonce und Lena, "...Pfui, Untertanen denken nicht / die
letzten Tänzer heben die Masken, sehen todmüde einander an..."
mit Reiner Süß (König Peter), Eberhard Büchner (Leonce), Peter Menzel (Valerio)
Staatskapelle Berlin, Ltg. Otmar Suitner (U 1979)
▲
GOLDMANN:
Also unabhängig von den ganz persönlichen Erlebnissen und Beziehungen zu
einzelnen Personen glaube ich schon, dass '79 ein Einschnitt war in der
DDR-Musikgeschichte. Wer noch Illusionen hatte, sollte sie spätestens '79
eingebüßt haben. Ich denke, das war dann auch weitgehend der Fall.
Friedrich Goldmann, geboren 1941 in Sachsen, verstorben 2009 in Berlin. Seit 1991
Kompositionsprofessor an der Hochschule der Künste Berlin (ehemals West), bis
zum Ende der DDR einer ihrer führenden Komponisten.
28.Juni '79 - Paul Dessau starb. Nicht nur der Doyen der neuen Musik in
der DDR war er, sondern bei aller Widersprüchlichkeit ein knorriger Fels des
Widerstands gegen engstirnige Parteibürokratie. Die Traditionalisten witterten
Morgenluft.
Im
Parteiorgan Neues Deutschland wetterte Verbands-Vize Fritz Geißler gegen
"tonangebende Komponisten", die "über Jahrzehnte das musikalisch Unlogische, ja
Scheußliche unter der Flagge des 'Experiments' für den künstlerischen
Fortschritt ... propagiert und einem widerstrebenden Publikum aufgenötigt"
hätten.
Eine
Debatte entspann sich, selbst in den DDR-Medien pro und contra. Dennoch - es
konnte einem schon mulmig werden. Ein Bericht von mir damals darüber fand sich
als einer von ganz wenigen abgeheftet in meiner Akte [FR 17.11.79].
GOLDMANN:
Es traf insofern zusammen mit dem Tod Dessaus, weil im selben Jahr gab es bei
den Schriftstellern die Ausschlüsse aus dem Schriftstellerverband, die in der
DDR Existenz bedrohend sein konnte.
Das ist für
westdeutsche Hörer kaum nachvollziehbar. Ob man hier Mitglied ist oder nicht,
das ist vollkommen nebensächlich. In der DDR konnte das wirklich eine Existenz
bedrohende Bedeutung haben, wenn man in einem Verband war und raus flog. Bei den
Schriftstellern war genau das passiert '79.
Es hatte
natürlich die Bestrebungen bei den Komponisten auch gegeben. Ich weiß es nicht,
ich habe keine Akten verfolgt, warum sie es nicht gemacht haben. Ich könnte mir
vorstellen, dass es verschiedene Gründe gab: zum Einen, dass sie die
verheerenden Wirkungen propagandistischer Art im Westen dann doch ein bisschen
erschreckt hat bei den Schriftstellern, dass sie es dann nicht weitermachen
wollten; die andere Variante, dass es unter den Funktionären den einen oder
anderen mit einigermaßen Verstand gab, was sicher durchaus der Fall war, aber
dass die sich durchgesetzt haben sollten, kann ich mir nicht recht erklären oder
nicht recht vorstellen.
Ich weiß es
nicht genau. Wie immer es war dann etwa mit den Angriffen, die erwähnt waren von
Herrn Geißler, was aber dann keine Folgen hatte.
KATZER:
Ich glaube, es gab dann noch einen ganz pragmatischen Grund auch noch in der
Kultur-Führung. Man hatte ja erkannt, dass die neue Musik kein Massenpublikum
anzieht und dass von dieser Seite umstürzlerische Bewegungen nicht zu erwarten
sein würden. Dann hat man ein bisschen laissez faire gemacht und uns in
unseren 'Nischen' arbeiten lassen.
So Georg Katzer, Jahrgang 1935 (verstorben 2019). Bekannt durch seine Opern aber auch durch
seine zahlreichen Experimente mit Elektronischer Musik.
KATZER:
Na ja elektronische Musik galt als die Musik des Klassenfeindes. Es gab mal
kurze Zeit in Adlershof ein Studio, das für drei Jahre [FG: 60iger Jahre]
gearbeitet hat. Das wurde dann aber gestoppt, als man die Produkte hörte [FG:
Frederic Rzewski hat da manchmal gearbeitet] und sagte, das ist nichts für die
Massen. Da wurde das gestoppt. Und seitdem hatte die Elektronische Musik einen
schlechten Ruf.
Mich hat es nur
einfach interessiert. Und ich habe versucht, den Aufbau eines Studios dann, als
ich Akademie-Mitglied wurde zu forcieren - In den 70iger Jahren gab es
kulturpolitische Argumente, in den 80iger Jahren waren es finanzielle Da hat man
gesagt, wir haben das Geld nicht. Das ist natürlich viel simpler. Dann kommt man
mit ästhetischen Argumenten nicht mehr weiter.
Katzer wurde testamentarisch zu einem der Sargträger für den toten Paul
Dessau bestimmt. Eine rote Fahne über dem schlichten Fichtensarg und keinerlei
Genossen-Brimborium hatte der sich für seine Bestattung im Morgengrauen erbeten.
Postum wurde Katzer so in den Jüngerkreis erhoben.
KATZER:
Das war eine eigenartige Situation. Ich will das jetzt nicht erklären, weshalb
ich zu Dessau keine Beziehung hatte. Ich hatte ja bei Eisler studiert und
von daher ergab sich schon eine Grenze zwischen Dessau und mir.
Einer der damals noch ganz Jungen war Jakob Ullmann, 1958 geboren
(ein Sohn des nachmaligen Bürgerrechtlers
Wolfgang Ullmann).
Im Jahr '79 begann er gerade sein Studium an der Dresdner Kirchenmusikschule.
Später konnte er als wenn auch nicht offizieller Schüler an der Akademie bei
Friedrich Goldmann weiterstudieren, vermittelt über den letzten Dessau-Schüler
Jörg Herchet
ULLMANN:
Der suchte immer jemand, der bei dessen schweren Orgelstücken Register zieht.
Das habe ich gemacht und habe ihn dann kennen gelernt. Und er war ja, nach
seinem eigenen Bekunden - er hatte eine sehr enge Beziehung zu Dessau, obwohl
die beiden ziemlich unterschiedlich gewesen sein müssen.
Ullmanns Erinnerungen an jene Zeit spiegeln auch etwas von der Ghettoisierung
der neuen Musik in der DDR selbst als einer der vielen Nischen.
ULLMANN:
Wenn ich an die 70iger Jahre denke in Bezug auf die Musik, da habe ich als
wichtigsten Einschnitt in Erinnerung das Schönberg-Jahr. Das war '74. Das
war ein Signal, dass Kupfer in Dresden "Moses und Aron" inszenierte. Die
halbe Stadt ging, weil es hieß, da würden unanständige Szenen gezeigt, was mit
der Musik - die wurde in Dresden weit eher ertragen als geliebt. Dann gab's 'ne
Ausstellung der Akademie der Künste. Und es gab, als ich dann in Dresden war,
einen Chef der Musikabteilung der Landesbibliothek, der auf welche Weise auch
immer, Partituren ran schaffte. Das war die Erfahrung von Musik in der DDR Ende
der 70iger Jahre.
Was die
Möglichkeiten oder Unmöglichkeiten anging, da war der Rausschmiss von Biermann Signal genug, dass klare Grenzen gesetzt werden. Und andererseits
war deutlich: die neue Musik spielt in der DDR keine derart staatstragende
Rolle, dass da nicht da und dort die Grenzen nicht auch 'ne Ausbiegung kriegen
konnten, wo man sich informieren konnte oder wo man was machen konnte. Das war
natürlich zu Zeiten sehr unterschiedlich. Es hing auch an Personen.
Was ich in der
Sächsischen Landesbibliothek habe lernen können in Dresden, das war derart
immens, weil man da einfach die Partituren sehen konnte und abschreiben konnte.
Oder dann hatten sie sogar Anfang der 80iger ein Kopiergerät, was schwerer hätte
bewacht werden müssen als irgend ein Gewehr oder eine Pistole. Und wenn man sich
rechtzeitig anmeldete und ganz toll bettelte, dann konnte man eine Kopie
kriegen, musste man nicht abschreiben.
Also das war -
das kann ich sagen: das habe ich viel mehr wahrgenommen, zur Kenntnis genommen
und mich dafür interessiert als neue Musik in der DDR. Die spielte in meinem
Bewusstsein bis zu Anfang der 80iger Jahre eigentlich überhaupt keine Rolle.
Damit
dennoch wenigstens die Interessierten, soweit sie nicht im Besitz von Pässen
waren, sich informieren konnten, startete
Siegfried Matthus als zugleich
Dramaturg der Komischen Oper dort in den 60iger Jahren seine Reihe Kammermusik im Gespräch.
MATTHUS:
Es war ein günstiger Platz, das an der Komischen Oper zu machen, weil die
Komische Oper immer durch ihren Intendanten, der ja keinen DDR-Pass in der
Tasche hatte, ja eigentlich auch vor der Gründung der DDR von den
sowjetischen Kultur-Offizieren berufen wurde, war das ein günstiger Platz,
solche Dinge zu machen, weil nicht viel reingeredet wurde.
Das änderte
sich schnell nach den ersten Konzerten. Nachdem ich auch Komponisten wie Nono,
Henze, Lutoslawski, Penderecki zum Dirigieren aber auch für
diese Kammermusik im Gespräch eingeladen hatte, wurde dann doch die Presse ein
bisschen rebellisch, der Komponistenverband, und fingen an mich nicht nur zu
kritisieren oder überhaupt zu verschweigen.
Das war ja zu
ertragen weil die Leute in Scharen kamen. Natürlich konnte ein Opernhaus für
eine solche Veranstaltung nicht eine Abendzeit nehmen, sondern wir haben den
Sonnabend Abend benutzt, haben nach der Opernvorstellung - es war dann immer
relativ spät, ½11h, 11h manchmal fingen wir an, dadurch bekamen wir auch diesen
schönen Namen "Mitternachtsmesse", der also nicht von unseren Freunden erfunden
wurde.
Es war so, dass
auch die Komische Oper darauf Rücksicht nahm, hat dann ihre Vorstellungen ein
bisschen vorgezogen. Abschließend möchte ich sagen, dass auch so ein Mann - ohne
ihn wäre das nicht gegangen. Felsenstein hatte nun wahrlich keine Antenne
zur zeitgenössischen Musik und hatte da auch immer seine Schwierigkeiten. Aber
er war jemand, der Vertrauen in alle seine Mitarbeiter hatte.
Die hatte er
sich ausgesucht. Und von denen er wusste, die für die Komische Oper arbeiteten.
So weiß ich auch jetzt, dass er mehrfach von verschiedensten Leuten angesprochen
wurde, die Sache doch zu unterbinden. Ich weiß nicht, wie weit das im Einzelnen
ging. Aber er hat gesagt, was der Matthus macht, wird schon richtig sein.
Das ist
natürlich eine tolle Sache, wenn so eine Vertrauenssituation gegeben ist, so
dass ich alles das machen konnte, was ich wollte, und selbst wenn die Presse
nicht darüber geschrieben hat - die östliche Presse -, dann war das so eine
glückliche Situation, vieles zu zeigen, was für uns damals neu war.
Matthus, wie Katzer
Eisler-Schüler
vom Jahrgang 1934, hatte trotz des relativ geschützten Platzes auch gegen
Widerstände zu kämpfen:
MATTHUS:
Ja ich kann da zwei Fälle nennen. Das war schon ganz kategorisch. Bei Stockhausen wurde mir das erklärt. Da wollte ich mal so ein Stück machen. Dh
wir haben es dann auch sogar gemacht. Das kleine Bläserquintett, der Titel ist
mir jetzt entfallen. Da wurde mir der Stockhausen direkt untersagt, denn das
wäre jemand der vom Ideologischen - und zwar haben sie nicht die eigentliche
Ideologie Stockhausens - wie wir jetzt wissen: ins Religiöse gehende Sachen -,
sondern einfach die Verbindung zu den Kapitalisten wurde da mit Schlagworten
gesagt. Es ging nicht...
Zu welcher Zeit das war?
Das war in der Zeit noch Ende der 60iger Jahre. Das hat sich dann nachdem
schon ein bisschen geändert, und ich glaube auch dann haben wir ein Stück von
Stockhausen gespielt.
Eine andere
Sache, die fast noch absurder ist: Gigi Nono, der ja durch seine Mitgliedschaft
in der Kommunistischen Partei Italiens ja auch von dieser Seite hatte immer eine
Möglichkeit hatte, mit DDR-Offiziellen zusammen zu kommen, mit ihm hatte ich
auch eine Kammermusik verabredet. Ich hatte ihn auch eingeladen, dass wir das
moderieren. Und ich hatte gebeten, dass das auch auf dem Plakat geschrieben
würde.
Und dann kam
die hübsche Situation, man konnte den Nono nicht verbieten, man konnte das
Konzert nicht verbieten. Das fand auch statt. Aber ich wurde angewiesen, nicht
ich sondern die Komische Oper, den Satz "in Anwesenheit von Luigi Nono" - die
Plakate müssen überklebt werden. Wie man das im Einzelnen gemacht hat und ob man
alle Plakate erwischt hat, das weiß ich nicht. Jedenfalls die Veranstaltung fand
statt.
Einer, der heute ganz oben ist - spätestens seit seinen Wagner-Inszenierungen in
München mit Parsifal und Tristan, dem Hamburger Lohengrin
und Wozzeck: der Regisseur Peter Konwitschny. Wie der
Stasi-Auskunftsbericht einschätzen würde, war er eher einer von denen, "die
nicht unbedingt im Fahrwasser der DDR-Kulturpolitik stehen"
Durch den verstorbenen Vater Franz vermeintlich zur Nomenklatura gehörend, hatte er,
Jahrgang 1945 und mit dem Wunschberufsziel "Rennfahrer" - in der DDR auch nicht
gerade das, was man werden sollte -, schon Schwierigkeiten, überhaupt was
zu finden. Opernregie, das war eher eine Verlegenheitslösung.
Und
bis in die mittleren 80iger Jahre genoss er Fürsorge vor allem bevormundender
Art.
KONWITSCHNY:
Na ja es gab auch ein paar Berufsverbote zu der Zeit. Das war in Rostock im
roten Norden bei Hans Anselm Perten. Das war ja eine extra-rote Republik
in der DDR. Herr Perten hat mit diesem Agitprop-Theater den Nordbezirk versorgt
- beleuchtet - und ließ nichts daneben aufkommen.
Und ich hatte
'80 Antigone mit den Studenten gemacht. Und das wurde schon mit einem sehr misstrauischen
Auge betrachtet: die Form einfach, es ging zunächst mal um die Form. Und dann
wurde einem unterstellt, man arbeite dem bürgerlichen, dem Klassengegner zu. Und
das war so eine inquisitorische Methode. Da konnte man sich gar nicht wehren.
Danach hatte
ich in Anklam auch '80 Satyros von Goethe gemacht und '81 im Januar Gräfin Mariza. Und das hat dann dazu geführt, dass ich in Rostock nicht mehr
arbeiten durfte an der Schauspielschule. Und ich wunderte mich schon, weil alle
davon sprachen wie schön das war und ich soll doch wiederkommen.
Aber es hieß,
wir haben im Moment kein Geld aber das wird alles wieder. Bis ich eben ein paar
Jahre später erfuhr, dass das ganz knallhart über die StaSi lief. Perten direkt
an die StaSi: der kriegt keinen Vertrag mehr! Also, das war auch mal, und das
hat mich damals beunruhigt.
Ich lebte
damals mit einer Frau zusammen, die sagte mir: Du wirst nicht geliebt von diesen
Vätern hier, diesen alten Männern, und du wirst nirgendwo von alten
Männern geliebt werden, weil du was Umstürzlerisches machst. Und damit musst du
einfach fertig werden.
Das war schwer für mich. Ich machte im Jahr '83 eine einzige
Inszenierung, und das war Freischütz.
Und das lag daran, dass die Väter sich signalisiert
haben, den fördern wir mal nicht. Im nachhinein - war das natürlich die beste
Art sich zu entwickeln.
Die
erste Arbeit, die ich von ihm sah, 1977 die Uraufführung von Friedrich Goldmanns
Hot nach Jakob Michael Reinhold Lenz an der Berliner Staatsoper, ein
Stück über einen Wehrdienstverweigerer.
Ruth Berghaus, damals noch
Intendantin des Berliner Ensembles, aber dort schon in arger Bedrängnis, hatte
es ihm überlassen.
KONWITSCHNY:
Sie hat mich vorgeschlagen und ich hab's dann gemacht. Aber sie hat's sich nicht
angesehen. Vielleicht auch weil sie sich ersparen wollte in dieses Hin und Her
zu geraten. Das war ja ein
Stück gegen diese alten Männer! Ganz explizit. Ich hab's nicht verunklart. Das
hatte man aber wohl erwartet. Wenn was in einem Stück knallhart gegen die
Verhältnisse sprach, dann wurde es entweder nicht aufgeführt, oder es musste so
inszeniert werden, dass es nicht mehr erkennbar ist. Und das hatte ich nicht
gemacht.
Dass ein solches Stück überhaupt und zu einer so prominenten Gelegenheit wie der
Musikbiennale herauskommen konnte - einem der damals noch ganz wenigen
Gelegenheiten, um neue Musik aus Ost und West in Ostberlin aufzuführen -es war
ein Trick und nicht der Experimentierfreude der Verbandsoberen zu danken.
GOLDMANN:
Das war eine kleine Staatsopern-Intrige. In dem Fall mal umgekehrt: gegen den
Verband. Da hat Pischner mitgespielt. Das war sehr nett. Und dann haben
wir das in die Biennale gebracht, was sehr viel günstiger für das Projekt war,
als wenn es 14 Tage später gekommen wäre.
Wir haben als
Team, das war wunderbar - in der DDR waren die Teams immer interessiert, um eine
Verschiebung der Premiere zu bitten, die Staatsopernleitung um eine 14tägige
Vorverlegung gebeten. Und das hat funktioniert.
Es gab immer
Leute, die niesten. Wenn sich das länger hinzieht, wird's nicht besser und
womöglich kippt's raus. Und der Intendant hatte ein Einsehen dafür. Und er hatte
seinerseits dafür gesorgt, dass die Gremien von außerhalb, als Bezirks-Leitung,
Kulturministerium, nicht zu den Abnahmen kommen. Das hatte er alles gemacht.
Respekt. Der Mann hieß Hans Pischner, man muss es noch mal sagen. Und ich fand
das völlig ok.
Das war im
Apollosaal. Und da gab's eine Szene: der Mann ist im Gefängnis. Und da gab's
Scheinwerfer im Apollosaal. Und die kreisten wie die Bewachungstürme an der
Mauer - und das 300 Meter von der Mauer entfernt - übers Publikum. Bei der
Premiere war eine solche Eiseskälte in dem Raum, dass manche dachten, es würde
eingeschritten. Aber es wurde nicht eingeschritten. Aber es machte natürlich
Spaß, das gebe ich zu.
Musik: aus Friedrich GOLDMANN R.Hot - bzw. Die Hitze (1973/74):
Schlussgesang "...behaltet euren Himmel für euch / Hitze heißt der Fluch..."
R.Hot (Peter Menzel), Brigitte Eisenfeld (Prinzessin v. Carignan), ein Kinderchor,
Günter-Fischer-Quintett, Bläservereinigung Berlin, Ltg. Friedrich Goldmann (U 1977)
▲
Musik und Politik.
Anders als in deren Fadenkreuz ließ es sich in der DDR kaum leben. Und immer
wieder auch gab es Versuche noch in den 80iger Jahren, in so genannten
"Theoretischen Konferenzen" die Schäflein zu vergattern.
Georg Katzer weiß
wovon er spricht. Bei der Uraufführung seiner Oper Das Land BumBum im
Herbst '78 an der Komischen Oper - Regisseur: der damalige Hausherr Joachim Herz - konnte er die Generalprobe nur nach Ausweiskontrolle betreten:
KATZER: Bis dahin hatte Herz jeglichen Zugang zu den Proben gesperrt. Man
musste sich wirklich ausweisen, um auf die Proben zu kommen, weil wirklich die
Gefahr bestand, dass die Sache in letzter Minute abgeblasen würde.
Heikel für die
Staatsmacht und deren sichernden Dienst war das Sujet: ein König hat in seinem
Land das Spielen lustiger Lieder untersagt. Als ein Musikant dennoch aufspielt,
zuckt's dem König in den Beinen. Er muss tanzen. Und indem der Musikant den
König zum Tanzen bringt, bringt er die Verhältnisse zum Tanzen. Der König
nämlich geht auf Stelzen.
KATZER:
Das Anliegen war natürlich immer, die Möglichkeiten die man als Komponist hat
voll auszuschöpfen. Und mich haben die politischen Dinge beim Komponieren nie
interessiert. Die waren natürlich für uns im Tagesgeschäft immer präsent.
Darüber wurde viel gesprochen, aber im Moment wo man komponiert hat, hat die
Musik eine Autonomie gesetzt. Ich kann nicht sagen, dass mich die Geschichten
beeinflusst haben.
Ich erinnere mich an die Zeit, als die so genannte Neue Einfachheit aufkam,
da wurde ich auch aufgefordert, mich dem anzuschließen. Die Tatsache aber, dass keiner dieser
15-20 avancierteren Komponisten diese Aufforderung wahrgenommen hat - der Grund
war, dass man wusste, man hätte Beifall von der falschen Seite bekommen. Das war
eine ausschließende Tatsache. Also das hat für mich nicht ernsthaft zur Debatte
gestanden, weil ich dann wusste, ich hätte mich da jemandem angedient. Und ich
denke, so ging's den meisten.
GOLDMANN: Aber das ideologische Geblödel, man muss es so sagen, was in den 80iger
Jahren immer noch lief, hat eigentlich keine Rolle mehr gespielt. (GK: kann ich
bestätigen). Da sind wir uns einig. Die andere Frage: jeder hat anders auf diese
Situation reagiert. Dass natürlich, und insofern ist es nicht belanglos gewesen,
ob diese DDR existiert hat oder nicht - selbstverständlich sind Bedingungen
praktischer Natur ganz andere gewesen als in der BRD. Heute sind sie in der BRD
auch andere als damals.
Aber natürlich
ist dieser Unterschied sehr viel größer gewesen. Wenn man in der DDR gelebt hat,
ist man natürlich auch davon geprägt, wie die praktischen Möglichkeiten waren.
Und da gab es Voraussetzungen über die ganze Zeit der DDR: eben der
Traditionalismus der DDR, der eine ganz bestimmte Art des Musikmachens durchaus
beförderte, allerdings eben die Musik des 18./19.Jahrhunderts, vielleicht noch
die des frühen 20.Jh's, der war privilegiert. Unabhängig davon dass es im
Kirchenbereich noch 17.Jh dazu gab. Das sind andere Fragen.
Was an neuer
Musik sich als Sozialistischer Realismus artikulieren wollte, war
natürlich eine Stilkategorie. Obwohl es immer hieß, es sei eine Haltung. Aber es
war eine Stilkategorie, gebildet an Beispielen von Musik der 30/40iger
Jahre. Das haben witzigerweise - und das ist das Absurde - selbst parteifromme
Leute in der DDR kaum übernommen. Und das ist einer der Gründe, weswegen in
Sachen Musik die Kulturpolitik der DDR nie einheitlich funktionieren konnte.
Weil selbst das, was die Parteifunktionäre am liebsten gesehen hätten,
kriegten sie nicht mal von ihren Anhängern geliefert.
Und um noch mal
auf den Anfang zurückzukommen: Die Leute hatten eben mit ihrem
Dessau solchen
Ärger. Und weswegen haben wir uns denn an den Dessau ran gehängt? Er
interessierte sich für uns. Eben das Beispiel Herchet vorhin. Der Jörg
Herchet ist ein völlig anderer Typ. Wenn man sich anschaut, wie das gestreut
war. Das einzige, also das tertium comparationis zwischen den Leuten, die Dessau
um sich hatte, war, dass sie irgendwann quer zu diesem DDR-Zeugs standen. Wo sie
sonst politisch standen, das interessierte ihn nicht.
Dass er als
Jude mit einem jungen Christen umging, wir haben uns amüsiert. Das war eine
Selbstverständlichkeit. Die Hauptsache, er stand quer zu dem, was in der DDR
lief. Und das als guter Genosse. Das war schon sehr komisch. Also ich habe das
schon sehr genossen.
ULLMANN:
Naja interessant an der Sache ist, und das ist jetzt fast 20 Jahre später - wenn
man das rekapituliert - nicht uninteressant zu betrachten.
In der
DDR-Wahrnehmung, jedenfalls habe ich es so in Erinnerung, dass bestimmte
ästhetische Entscheidungen der 50iger Jahre sehr viel ungebrochener weiter
lebten bis in die 80iger Jahre hinein als im Westen. Das heißt, es war überhaupt
keine Frage, dass man sich an Schönberg oder Webern orientiert, wenn man
ernsthaft komponiert. Das wäre für einen gleichaltrigen Komponisten in der
Bundesrepublik schon ein wenig anders gewesen.
Und das hing
auch nicht nur damit zusammen, dass es so empfunden wurde, dass ein an der
Tradition Schönbergs und der Darmstädter Schule - was immer das genau ist
- orientiertes Komponieren das einzige auch ästhetisch zu sein schien, das dann
erst langsam aufbrach. Ich kann es selber bei mir daran fest machen: so eine
frühe Irritation in der Landesbibliothek beim Durchblättern von Cage-Partituren.
Verstehe ich zwar nicht, aber da ist irgend was, sieht gut aus, ist toll
gemacht.
Und dann durch die Zusammenarbeit mit dem Nico
Richter de Vroe,
wo sich was traf bei uns. Erst an diesem Punkt
eigentlich stellte sich viel mehr die Frage nach der Diversität verschiedener
anständiger Formen zu komponieren. Also dass es nicht nur ein nach-serielles und
nach-postserielles Komponieren gibt, sondern auch noch andere Möglichkeiten, die
durchaus anständig sind, den Ansätzen zu folgen.
Und da spielten
die ganzen Diskussionen, was ein Herr Brockhaus oder - ich habe das allenfalls,
wenn ich Bedarf an schlechter Satire habe, zur Kenntnis genommen. Es ist nicht
häufig eingetreten.
GOLDMANN: Es ist nur - insofern spielt es dann indirekt eine Rolle: wenn irgendwelche
Gremien oder Institutionen, da spielte es eine Rolle. Und da war es nicht nur
Bedarf an schlechter Satire, sondern wenn man sich schlechte Laune holen wollte,
musste man dahin gehen.
Musik: aus Siegfried MATTHUS Graf Mirabeau "...es gibt zwei Arten
von Diktaturen, die der Frechheit und die der Vernunft..."
Jürgen Freier (Mirabeau), Chor und Orchester der Deutschen Staatsoper Berlin,
Ltg. Heinz Fricke (U 1989)
Andererseits - es entstanden auch Werke, die ganz unmittelbar auf politische
Ereignisse oder Grotesken reagierten: wenn etwa der einst aus dem Westen aus
Interesse an Paul Dessau in die DDR übergesiedelte Reiner Bredemeyer das
Verbot einer sowjetischen Pro-Glasnost-Zeitschrift durch die alternde
DDR-Staatsmacht per Streichung aus dem Postvertrieb mit einem "Post modern"
feierte.
Bei
Siegfried Matthus' Graf Mirabeau verdankte es sich den Umständen. Von
Rolf Liebermann hatte Matthus den Auftrag erhalten zum 200.Jahrestag der
französischen Revolution eine Oper zu schreiben. Ursprünglich gedacht war die
für Paris, dann aber an der Berliner Staatsoper und in Karlsruhe parallel
uraufgeführt. Im Mittelpunkt eine der schillernden Figuren jener Zeit, eine Art
Don Giovanni der Revolution
Wie schon bei seinem für die Wiedereinweihung der
Semperoper 1985 entstandenen Cornet hatte Matthus das Libretto sich
selber eingerichtet.
MATTHUS:
Es gab eine Situation, die, da ich sie vorgefunden habe, sträflich gewesen wäre
sie nicht zu benutzen. Da gibt es eine Replik in dieser National-Versammlung, wo
Mirabeau sich dafür einsetzt, dass die Tanten des Königs ausreisen können nach
Rom, um dort die Messe zu hören.
Die sind
nämlich an der Grenze festgehalten worden. Haben also - ihnen wurde die Ausreise
verweigert - und da hat der mit mächtigen Worten dagegen gedonnert, dass man aus
diesem Land Frankreich doch kein Gefängnis machen könne, und hat sich für die
Ausreise der Tanten eingesetzt. Naja das ist ja ein Fund. Da müsste ich ja
Dresche kriegen, wenn ich das nicht benutzt hätte.
Das Libretto
war ja vorher zu lesen. Es wurde auch in die Staatsoper gegeben und in den
Verlag. Und wer das auch immer gelesen hat, ist es schon erstaunlich, dass man
das durchgehen ließ. Und da muss ich auch sagen, der Intendant Günther Rimkus
hat immerhin die Courage gehabt, auch den Mut, das drin zu lassen und nicht raus
zu streichen.
Das muss man
hier festhalten. Das war hier schon auch eine Situation, die schon auf das
hindeutete, was wir noch alle nicht wussten aber was dann einige Monate später
kam.
In der
Aufführung selbst hat das dann folgenden - in Berlin, die war ja gleichzeitig in
Karlsruhe und in Berlin; meine Frau war in Karlsruhe, die hat mir gesagt, dass
dieser Satz, es war ja auch musikalisch nicht eine besondere Sache, das ging so
rüber, während in der Staatsoper in Berlin ein Beifall einsetzte, ich bekam's da
ein bisschen mit der Angst zu tun, dass die Vorstellung nicht mehr weiter geht,
immerhin in Anwesenheit von hohen Funktionären der DDR.
Musik: aus Siegfried MATTHUS Graf Mirabeau "...das Heil des Vaterlands gebietet,
die Ausreise zu beschränken / Machen Sie aus Frankreich nicht ein Gefängnis"
(Ausführende siehe oben)
Ein paar Monate später schlug die Aktualitäten-Wünschelroute schon wieder anderswo
aus.
Musik: aus S.MATTHUS Graf Mirabeau "...ich weigere mich eine solche Kommission
anzuerkennen..." [0'06"]
MATTHUS: Da gibt's eine Szene - das konnte man doch vorher alles nicht wissen -, wo
die Weiber von Paris den König und die Königin nach Paris holen. Und das war
gerade in der Situation, wo Wandlitz da ausgeräuchert wurde und die [vom
Politbüro] das aufgeben mussten. Und da brach da der Beifall aus.
Weil diese
Parallelitäten waren so, fast nahezu beängstigend. Es gab noch andere Stellen
da. Und da hatte ich ein bisschen Angst. Der Schluss meiner Oper ist ja dort, wo
diese blutigen Auseinandersetzungen - und da dachte ich, um gotteswollen, jetzt
muss das endlich mal aufhören mit dieser Parallelität. Und Gott sei dank war's ja
auch so.
Musik: aus Siegfried MATTHUS Cornet "...Feuer in der Oper..."
(mit Solisten des Opernstudios, Chor und Staatskapelle Dresden 1985)
Matthus' gewiss beste Oper: der Dresdner Cornet. Ein Wurf war er auch
durch Ruth Berghaus' stark abstrahierende, auf die Gegenwart einer Erziehung zum
Krieg akzentuierende Inszenierung mit jungen Sängerinnen und Sängern des
Opernstudios, wie etwa dem damals noch ganz unbekannten Olaf Bär, und mit
Tanz-Eleven der Palucca Schule.
Die Begegnung mit den Arbeiten
von Ruth Berghaus,
ihrer herausfordernden Rigorosität beim Befragen der Stücke,
war für mich seit der Uraufführung der Einstein-Oper ihres Ehemanns Paul
Dessau
1974 die wohl am meisten prägende Erfahrung in der DDR.
Auch
Peter Konwitschny wäre ohne diese Begegnung kaum, was er heute ist. Dabei hat er
ihr nie bei Opern-Inszenierungen assistiert.
KONWITSCHNY:
Ich habe vier Schauspiele als Assistent mitgemacht am BE. Und das was ich als
unschätzbaren Wert betrachte, das waren mehr allgemein menschliche und
Fachdinge. zB dass sie hasste, wenn jemand lax arbeitete, wenn der sich nicht vorbereitet
hatte, wenn der flau - wenn es nicht um Leben oder Tod ging einfach.
Und auch Paul
Dessau war für mich ganz wichtig, der von jetzt auf gleich ins Schreien geriet
über eine Mischung von Dummheit und Unbedarftheit, von "Gemütlichkeit" oder all
dieser "Schlafigkeit", wie Lenz sagte: Schlafigkeit ist das Schlimmste in der
Welt. Und da wurde die Berghaus fuchsteufelswild. Und da ist mir der Schreck oft
in die Glieder gefahren, auch in eigener Sache, wenn man ein bisschen müde kam.
Und dann auch
die Dimension, die letztlich solche Arbeit für unser Leben hat - also was will
man eigentlich auf dem Planeten: will man sich nur ein schönes Radio kaufen und
ist es dann am besten, wenn man um fünf nach Hause geht, oder gewinnt man Genuss
am Existieren, wenn man solche Stücke durchdringt und wenn man ringt darum, wie
kann ich das umsetzen, wie wird das eine Ästhetik, wie wird das ein Sein an
einem Ort in einer ganz bestimmten Zeit, dass man da nicht was wiederholt, was
schon lange gemacht wurde.
Damit geben
sich ja viele zufrieden. Bei manchen ist es sogar so, dass sie es überhaupt
nicht reflektieren, dass sie das einfach so machen, vollkommen geistlos Dinge
übernehmen. Das muss was Besonderes sein - das ist einfach ein Anspruch, den man
hat oder nicht hat. Ich glaube, da bin ich sehr stark geprägt. Auch dass mich so
eine große Unruhe, so eine existentielle Not überfällt, wenn ich merke, das
funktioniert noch nicht richtig, ich habe die Menschen da noch nicht
hingebracht, wo sie hin müssen, dass das so wird wie ich das will.
Musik: aus Georg Friedrich HÄNDEL Floridante (Arie des Floridante: "...morir
ancora...")
Anette Markert (Floridante), Händelfestspielorchester, Ltg. Christian Kluttig
Sein eigentliches Rüstzeug als Opernregisseur holte Konwitschny sich ab '84 in Halle.
KONWITSCHNY:
Halle war für mich eine ganz wichtige Station, diese sechs Jahre. Das war aber
ein Intendant, der Alkoholiker war und der selber die Verhältnisse schwer
ertrug. Da war ein Vertrauen. Es war nicht, dass wir gegen die DDR gewesen
wären, gegen den Sozialismus, wir waren eher gegen die beschränkten Funktionäre,
die meinten uns vorschreiben zu müssen, wie Theater sei und wann was dem
Klassengegner in die Arme arbeitet mit einer Ästhetik, von der wir meinten, dass
sie richtig sei. Und der hat die richtigen Leute zusammen engagiert.
Händel wurde, beginnend mit dem Floridante neu entdeckt als
zeitgenössische Oper. Und gearbeitet werden konnte an diesen Inszenierungen
nicht nur die sechs Wochen, wie heute üblich - bestenfalls.
KONWITSCHNY:
Früher in der DDR waren's zwölf. Da gab's noch soviel Zeit, war's der
Gesellschaft so viel wert, dass da zwölf Wochen gearbeitet wurden.
Das kann man
sich im Westen gar nicht vorstellen. Die schlagen die Hände übern Kopf und
sagen: das kann doch nur Langeweile sein. Die können sich gar nicht vorstellen,
dass man zwölf Wochen an einem Stück arbeiten kann. Das kann man aber. Da kommt
auch was anderes raus.
Musik: aus Georg Friedrich HÄNDEL Floridante (Arie des Floridante: "...felici
amanti..."); (Ausf. siehe oben)
Aber trotz der dann auch mehr und mehr überregional beachteten Erfolge - an der
Komischen Oper wurde ihm '85 von Harry Kupfer eine Verkaufte Braut
halbfertig aus den Händen genommen. In Leipzig blockierte Generalintendant und
Partei-Hierarch Kayser im Folgejahr fast eine Waffenschmied-Premiere.
KONWITSCHNY: Man denkt, das ist was Harmloses. Das war's aber gar nicht. Am Ende diese
Manufaktur in einem großen Betrieb - so wie dann Krupps Familie mit dem Kaiser
verschmolz und mit dem Finanzkapital - das habe ich einfach gezeigt, indem am
Ende die Bühne diese Maschinen alle hochfuhren und dann hinten eine große
schwarz-weiß-rote Fahne war mit grünen Zweigen.
Und da hat der
Karl Kayser, der das zur Hauptprobe gesehen hat wirklich in so einer bösen
lehrmeisterhaften Art mir gesagt, ich würde da den deutschen Imperialismus
verherrlichen. Ich hatte eine große schwarz-weiß-rote Fahne. Und da war ich
erst ganz hilflos. Ich sage, aber ich will gerade das Gegenteil, ich will
zeigen, dass aus dieser Mesalliance was Furchtbares entsteht, was im Grunde die
Ursache für Hitler dann viele Jahre später - dort ist das losgegangen mit dieser
falschen Revolution 1848.
Da sagt der,
Sie können mir erzählen was Sie wollen. Sie verherrlichen den Imperialismus.
Entweder Sie verändern das oder es kommt nicht. Und ich weiß noch, ich war
außer mir. Sofort kam wieder das Gefühl, ich werde nicht angenommen, man will
mich nicht, ich bin hier überflüssig auf dem Planeten letztlich. Diese Fahne
wurde dann zerschnitten. Und es wurden dann lauter kleine schwarze, weiße und
rote Bändchen - solche Art, ein solcher Schmuck, aber es ist schon eine
Beschädigung gewesen.
Es ist eine
ganz schwierige Frage. Wenn man so einer Sache zustimmt und nicht sagt, ich
ziehe hier meinen Namen zurück, kann das auch heißen, dass man sich verrät.
Dass seine Inszenierungen ihre Kraft auch beziehen aus einem Anrennen gegen
autoritär-patriarchale Strukturen, das hat zu tun zum einen mit solchen
Erfahrungen auf der politischen Ebene, zum anderen mit denen im engsten
familiären Kreis.
KONWITSCHNY:
Das war die übermächtige Vaterfigur und die sich nur zuordnende Mutter, die
immer - und da ging's immer um Leben und Tod - wittern musste, was jetzt mit dem
los ist, und die sich kaum leisten konnte, eine eigene Haltung zu beziehen. So
groß muss die Angst gewesen sein. Und das übernimmt man natürlich ohne dass man
es will. Man übernimmt auch diese Ängste.
Und in der DDR
war es, wenn man überhaupt etwas erreichen wollte, musste man schon hingucken,
dass man sich's nicht mit den mächtigen Leuten - und das waren die Parteileute -
verscherzt.
Eine der peinlichsten Situationen mit dem Vater - 1961 nach dem Mauerbau.
KONWITSCHNY:
Die Schule begann wieder. Der 13.August war etwa 14 Tage vorbei. Der
Klassenlehrer hatte eine Zeitung bei sich. Ohne irgend einen Kommentar begann
der was vorzulesen aus der Zeitung. Das war Nonsens. Ein Toast auf die
Präzision: in der Musik geht's auch um Präzision. Wer gute Musik macht, muss
präzise sein. Und in der Politik sei das auch so. Und unser Staatsratsvorsitzender
hätte sich erwiesen als jemand, der sehr präzise ist.
Und dann sagte
der (Lehrer) plötzlich: Franz Konwitschny. Ich bin da versunken, weil das
natürlich alle nicht gut fanden mit der Mauer, oder kaum jemand gut fand. Und
nun war das mein Vater. Und ich wusste natürlich, dass sie dem das vorgelegt
hatten. So was konnte der
gar nicht schreiben. Aber er hat sich eben gemein gemacht. Er hat sich
manipulieren lassen. Das war ein Jahr, bevor er starb. Da war er schon so
verstrickt in diese politischen Sachen. Wobei - das war ja harmlos im Verhältnis
zu den Nazis.
Aber trotzdem.
Und er war auch in persönliche Fragen - er hatte sich nachher scheiden lassen
von meiner Mutter, hatte eine ganz junge Frau und von der ein Kind. Dann war er
auch krank schon mit seiner Leber. Zuviel Alkohol. Und hat dann sich auch tot
gearbeitet. Und das war ein Jahr vorher.
Aber das war
harmlos. Das wurde mir kaum je - das ist vergessen worden. Was aber 'ne Zeitlang
mir zusetzte, dass ich immer: ach Sie sind wohl der Sohn von Franz Konwitschny.
Und das hat mir nicht gepasst, dass ich der Sohn eines anderen war. Das hat sich
nun aber gelegt. Den Vater kennen immer weniger. Die sterben aus.
Musik aus Jakob ULLMANN Komposition à 9 - Palimpsest (Auftrag für wipb, 1990)
Work in progress - Berlin, Ltg. Gerhardt Müller-Goldbohm
(U-Mitschnitt im KamerMusikSaal
der Berliner Philharmonie vom 02.04.90)
▲
Die Rückwirkung des Außen nach Innen. Welchen Einfluss hatten Einladungen in den Westen, zu
Produktionen, zu Festivals? Knapp die Antwort von Georg Katzer:
KATZER: Es hat den Neid geschürt und hat natürlich auch die Reputation gefördert. Oh
Mann, der fährt ja in den Westen zu einem Festival. Es ist dann auch angesehen
worden als Botschaftsträger, der wir nun wirklich nicht sein wollten. Beide
Dinge haben eine Rolle gespielt.
Für einen wie
Jakob Ullmann, der weder einen ordentlichen Abschluss als Kirchenmusiker
bescheinigt bekommen hatte noch eine reguläre Meisterschülerschaft an der
Akademie, war die Einladung 1988 dann nach Donaueschingen wie ein Diplom.
Die Leipziger Gruppe für neue Musik Hanns Eisler sollte, geleitet von Friedrich Goldmann,
einige junge im Westen noch weitgehend unbekannte Komponisten aus der DDR vorstellen.
ULLMANN: Ja man kann schon sagen, wer in einem West-Festival - und Donaueschingen galt im
Osten als das wichtigere gegenüber Witten, was auch wichtig war -, wer
eingeladen war nach Donaueschingen, für den bedeutete das, dass er zunächst mal
nicht so leicht angreifbar war, relativ unangreifbar sogar. Und insofern konnte
das eine Existenzfrage sein, ob mal so eine Einladung kam oder nicht, weil
einfach: wer dort einmal zur Kenntnis genommen worden ist, so stellte das sich
häufig dar, der war für staatlichen Zugriff nicht mehr so einfach handhabbar.
Ähnliches gilt auch für Rezensionen.
ULLMANN: Weil es klar machte, der Autor, wie auch immer er sich befindet - den kennt
jemand. D.h. wenn dem irgendwas passiert, das könnte jemand auffallen. [GFK:
Schutz] So einfach sind die Sachen. Das hatte einen ganz elementaren
Schutzcharakter. Und da kam es gar nicht so darauf an, ob das in den Himmel
gelobt wurde oder für widerständlerisch gehalten, sondern einfach: der wird
wahrgenommen. Das ist wichtig.
Auch für einen Peter Konwitschny war in der damaligen Situation eine Notiz im Westen über
seinen '83 in Altenburg erstmals inszenierten
Freischütz fundamental.
Seit seinem Berliner Hot hatte ich ihn aus den Augen verloren; wie wir
erst heute wissen, warum.
KONWITSCHNY:
Als ich zum ersten mal darauf hingewiesen worden bin, dass in der FR [12.12.83]
was über Freischütz steht, das war - das weiß ich noch - wie
Weihnachten, was ganz Besonderes. Ich habe dann auch gleich Eva angerufen und
gesagt, stell dir vor. Und ich wurde auch angerufen, ob ich das wisse, da wäre
was.
Ich wusste, ich
gehöre nicht zu denen, die geliebt werden von den Alten Männern. Und eigentlich
wollte ich immer geliebt werden von den alten Männern. Also das war manchmal
wirklich sehr schwer. Und jetzt kam plötzlich was die nicht beeinflussen
konnten, die alten Männer, was aber eine große Wirkung hatte, weil's im Westen
erschienen war.
Das hat mir
wahrscheinlich eine wichtige Rückendeckung gegeben, einfach psychisch, da
angenommen worden zu sein, überhaupt bemerkt zu werden: dass da jemand einem
sagt, der einen auch nicht kennt, das ist gut. Das war für mich ganz ganz
wichtig.
Was
des Reisekorrespondenten Theater Akte sonst noch an Interessantem enthält
- die pikantesten Details wurden offenbar woanders gespeichert bzw. rechtzeitig
vernichtet: etwa die Spitzel-Berichte über eine Überwachung in Rostock zu den
so genannten Arbeiterfestspielen, als im Sommer vor den Solidarnosc-Aufständen
auf der Gdansker Werft man den Klassenfeind auf Schritt und Tritt und sogar per
Hubschrauber überwachte.
Oder
ein weit harmloserer Vorfall in Leipzig, wo bei einer Reportage über die dortige
Musikhochschule das Spontan-Interview mit drei jungen Geigerinnen gelöscht
werden sollte - aber nicht wurde; darin hatten die jungen Frauen auf
entsprechende Fragen über ihre Chancen als Frauen in den Traditionsorchestern
Gewandhaus Leipzig bzw. Staatkapelle Dresden das damals, '84, Zutreffende zu
Protokoll gaben: für Frauen stehe es dort schlecht.
Dass
der Wunsch, über die Umbenennung der Schule in Zeuthen bei Berlin zu berichten,
in der Paul Dessau regelmäßig unterrichtet hatte und die nach seinem Tod seinen
Namen tragen sollte - dass der Wunsch fast scheiterte, weil zu dem in der Tat
peinlich militärischen Zeremoniell auch Ministerin Honecker erscheinen sollte
und auch erschien, entnehme ich den Akten
Erst
fünf Minuten vor Büroschluss am Vorabend hatte man sich zu einem positiven
Bescheid bei der dafür zuständigen Abteilung "Journalistische Beziehungen" des
DDR-Außenministeriums durchringen können.
Nähere Erläuterungen fehlen auch
zu jenem Kommentar im Sommer '84, als der für die Wiedereröffnung der Semperoper
im Folgejahr vorgesehene Intendant Siegfried Köhler überraschend starb.
In dem Radio-Kommentar hatte ich an Köhlers braune Vergangenheit zu erinnern mir
erlaubt, und dass man ja froh sein könne, dass der Dresdner Eröffnungs-Freischütz
nun keinen Samiel im Intendantensessel finden würde.
Das
Presseamt des Dresdner Bezirks fand derlei Scherze aber gar nicht lustig und
wollte mir die Zulassung zur offiziellen Eröffnung verweigern. Aber, sah ich
dann in den Akten, die Berliner StaSi-Bezirksverwaltung liess am Tag der
Eröffnung des Berliner Schauspielhauses im Oktober '84 den Korrespondenten von
früh bis Nacht - Presse-Vorbesichtigung bis zum Konzert Abend mit der gesamten
Staatsspitze - auf Schritt und Tritt überwachen und sogar fotografieren.
Die
Bemerkung des Überwachers, Theater fahre auffallenderweise oft um einiges
langsamer als die Polizei erlaubt, auch schaue er immer wieder sehr intensiv in
den Rückspiegel - die Beobachtung und die daraus gezogene Schlussfolgerung des
Manns vor Ort: offensichtlich wolle "Theater" damit Verfolger abschütteln -,
wischte mit einer rot an den Rand gekritzelten Bemerkung der Aufsicht führende
StaSi-Offizier vom Tisch.
Pech
für ihn - tatsächlich hatte ich es seit dem Rostock-Erlebnis 1980 mir zum
Prinzip gemacht, den Verfolger-Verkehr genauestens unter Kontrolle zu behalten.
Ich wollte schon wissen, wie umschattet ich war.
Musik: aus Kammermusik von Georg KATZER Offene Landschaft mit obligatem Ton e
(1990)
The Chamber Orchestra of Europe, Ltg. Peter Eötvös (Aufn. 1991)
▲
Nach der Wende. Peter Konwitschny nannte die damals Anschluss. Er sorgte sich, ob die Art
Theater, die er bis dahin gewohnt war zu machen, auch weiterhin möglich sein
würde.
KONWITSCHNY: Die Rolle des
Theaters in der DDR war ja sehr spezifisch. Man konnte vieles sagen öffentlich,
was man sonst nicht sagen konnte. Für die, sie sich zu stark auf die konkreten
DDR-Verhältnisse eingelassen hatten - das war mehr im Schauspiel - war da
plötzlich Schluss.
In Halle, wo er damals noch einen festen Vertrag hatte - trotz
Gastspiel-Einladungen in Basel, Kassel, Nürnberg -, probten einige Sänger den
Aufstand.
KONWITSCHNY:
Das waren ganze vier Leute, die da einfach ihrem Machtbedürfnis freien Lauf
gelassen haben und ihrer Frustration, die darin bestand, dass ihnen ein
Regisseur was sagt.
Es gibt einfach
Sänger, die wollen sich gar nichts sagen lassen. Die haben auch den anderen
Regisseuren Sorgen gemacht. Aber in dieser Zeit hat jeder gemeint: jetzt ist die
Freiheit da, da wird das mal ausprobiert, was die Freiheit sein könnte. Und wenn
man unter Regisseuren arbeitet, die sagen: Du sollst das so machen, dann ist
wahrscheinlich die Freiheit, dass ich das nun nicht mehr mache.
Der Endeffekt
dieser "Befreiungsaktion" war der Abstieg des Halleschen Theaters in die
Unbedeutendheit.
Siegfried Matthus konnte nach der Wende in
Rheinsberg
endlich verwirklichen, was ihm schon lange vorgeschwebt hatte: im
ehemaligen Schloss des Kronprinzen Friedrich eine Art Nachwuchs-Akademie zu
gründen, die heutige Kammeroper. Woran es scheiterte, nicht noch zu
DDR-Zeiten in dem damals für ein Sanatorium genützten Bau seine Pläne zu
verwirklichen?
MATTHUS:
Ja genauer genommen an einer Geschichte, die dann irgendwann auch in der DDR
eine Rolle gespielt hat: am Geld. Es war so, dass meine Verbindungen aus der
Oberschulzeit mit Rheinsberg immer da war, auch in der Akademie der Künste
Berlin (Ost) sind wir hier mit vielen Verantwortlichen gewesen, haben sogar eine
Veranstaltung im Spiegelsaal gemacht.
Die Idee war
schon geboren, daraus so etwas wie eine Arbeitsstätte für Künstler zu machen. So
etwas vielleicht wie in Großkochberg. Die Idee war da. Und selbst es gab
Befürworter im Kulturministerium. Aber es scheiterte schlicht daran - sie sahen
ein, dass eine medizinische Institution nicht im Schloss sein kann. Die
Erkenntnisse waren da. Aber es war nicht das Geld da, dieser medizinischen
Institution ein eigenes Haus zu geben. Deshalb ist daraus nichts geworden.
Musik: aus Siegfried MATTHUS Cornet "...reiten, reiten...durch den Tag, durch
die Nacht, und immer das gleiche Bild..." (Ausführende siehe oben)
Wie finden sich Komponisten der heute schon älteren Generation einerseits, wie Georg
Katzer, und andererseits einer der heute mittleren Generation wie Jakob Ullmann
in der neuen Umgebung zurecht? Die Konkurrenzsituation hat sich verschärft, die
Mittel für Kultur wurden und werden knapper.
KATZER:
Also wenn man die Nachwende-Zeit betrachtet aus der Sicht von ostdeutschen
Komponisten - ich hab's versucht öfter mal zu durchdenken und bin dazu gekommen,
das in verschiedene Schichten aufzudröseln. Persönlich ist der Kontakt
freundschaftlich zu den meisten Kollegen. Es gab auch nicht diesen Streit in der
Bildenden Kunst - ästhetisch. Das ist in der Musik sehr anders gelaufen. In der
BK gibt es den Streit zwischen abstrakt und figürlich, der doch sehr stark immer
wieder entbrennt wie man auch in Weimar gesehen hat. Das gab's in der Musik so
nicht. Es ist von dieser Seite aus sehr positiv und unproblematisch.
Eine andere
Geschichte ist die Seite der Vermarktung. Wie ist das mit
Aufführungschancen. Und da ist es doch so, dass es ostdeutschen Komponisten
nicht gelungen ist, sich mehr "Marktanteile" zu gewinnen, als wir vor der Wende
hatten. Während uns im Osten Marktanteile verlustig gegangen sind weil ja doch
die führenden Positionen haben fast durchweg gewechselt. Es ist keine Perfidie
der neuen Leute in erster Linie, die da kommen und sagen wir wollen keine
Ostleute. Sondern die bringen natürlich ihren Stamm mit, den sie schon kennen.
Und der Mensch ist nun mal ein bisschen bequem. Also insofern ist es ein
bisschen schwierig geworden.
ULLMANN:
Na ja ich möchte doch einen kleinen Kontrapunkt hier setzen. Ich hätte mir schon
manchmal, und das ist ganz unabhängig von DDR und BRD und alten Geschichten,
etwas mehr Streit unter den Komponisten gewünscht. Weil ich eher den Eindruck
habe: jeder macht so in seiner Ecke und schaut, dass er seine Spielwiese relativ
alleine bespielt. Und die Freundlichkeit besteht darin, dass jeder dem anderen
auch seine Spielwiese lässt. Also ein bisschen auch ästhetische Diskussion täte
da sicher nicht schaden. Auch darüber hinausgehende Diskussion. Das ist das
erste.
Das zweite ist:
Hauptwunsch, wenn man Musik anguckt nach 1990, war: endlich werden Partituren
als Partituren wahrgenommen und nicht mehr, wie man's vorneweg aus sicher gut
gemeinten Gründen, als Ost-Mensch zu halben Preisen wahrgenommen werden konnte.
Und egal ob es stimmte, dass man zu halben Preisen wahrgenommen wurde oder
nicht, man hatte das Gefühl. Wenn ich mich mit einem gleichaltrigen
westdeutschen oder französischen oder Schweizer oder italienischen Kollegen
vergleiche, da habe ich einen Ostbonus, weil die ja keine Chance haben.
Dass solche Betrachtungen wegfallen - vielleicht hat's das auch weniger gegeben
als ich dachte.
Für mich hat
sich in den letzten 10 Jahren die Aufführungssituation nicht verändert. Die hat
sich bei drei, wenn's gut geht, fünf Aufführungen im Jahr stabilisiert. Das ist
seit '90 so. Ich kenne ja nun einige Kollegen von anderswo - das unterscheidet
sich nicht wesentlich von dem. Mir bleibt das Klagen immer ein bisschen im Halse
stecken, weil ich den Eindruck habe, verglichen mit anderen Orten, die gar nicht
so weit weg sind von hier, leben wir noch relativ gut. Ich kann nur hoffen, dass
wir auch dies gute Leben, das wir hier noch haben, durch das was wir machen auch
rechtfertigen.
Also wenn man
Kollegen von anderswo hört, und da braucht man nicht weit weg gehen, unter
welchen Bedingungen die leben - das muss man einfach auch sehen. Man muss
arbeiten so gut man kann und dann wird man sehen, was damit wird. Und wenn's
jetzt nicht gleich wird und eine Aufführung acht Jahre wartet, dann wartet man
eben acht Jahre. Das ist nicht schlimm.
Friedrich Goldmann, als Integrationsfigur nach der Wende auch kurzzeitig zum
Präsidenten der Gesellschaft für Neue Musik gewählt - fehlt ihm
vielleicht doch was von der alten DDR?
GOLDMANN:
Ja was soll mir groß fehlen aus der DDR? Natürlich die Musiker, die was getan
haben - das waren Leute, die gegen Widerstände aktiv geworden sind. Ob das die
Leipziger Gruppe war oder die Bläservereinigung Berlin mit ihrem
Traditionsprogramm: wenn sie immer nur dasselbe hätten spielen müssen, dazu
hatten sie keine Lust. Also mussten sie was anderes machen. Also wurden sie
aktiv und nahmen eher Behinderungen entgegen.
Das ist genau
das, da sehe ich keinen Unterschied. Die Gesamtsituation in Deutschland, das
Kulturverständnis - da sind einige Probleme. Der Schnellverbrauch. Kunst ist
immer auch Ware. Und Ware muss vernichtet werden damit neue produziert werden
kann.
Das ist dein
(JU) Problem mit den acht Jahren. Ich bin auch der Meinung, ein Stück, das heute
nicht aufgeführt wird, wenn's in acht Jahren nichts mehr taugt, dann muss es
auch heute nicht aufgeführt werden. Und das ist ja sicher bei 90% der Stücke der
Fall. Aber das ist speziell im Bundesdeutschen kein Thema. Und darüber will auch
niemand diskutieren. Da sind Probleme. Da würde ich mir schon einiges verändert
wünschen auf längere Sicht. Das dürfte nicht so leicht sein.
Und geh mal zum
Verband, da geht's zu wie bei der GEMA. Wer kann noch ¼% Tantieme mehr erlösen.
Um Gotteswillen. Ich geh da nicht mehr hin. Da bin ich heilfroh, dass ich 'ne
Stelle hab. Ich bin existenziell nicht davon abhängig, was die GEMA zahlt. Dass
das für manche Freischaffende hart ist, weiß ich. Und es wird jedes Jahr weniger
strukturell.
Aber ich kann
deswegen nicht zu diesen Versammlungen gehen. Ich hab das voriges Jahr einmal
gemacht und nie wieder. Man kriegt da Zustände, ich bin wahnsinnig geworden. Was
da für Leute Geld haben wollen, das hältst du ja nicht für möglich. Das sind
aber die Mehrheit.
Das ist der
Punkt, da musst du Demokratie schlucken. Ich glaub sein Geld muss man
anders verdienen. Demokratie hat auch so ihre Nachteile.
KATZER: Da hat so einer für seine Serie, der hat sich beklagt, er sei zu schlecht
abgerechnet worden. Gekriegt hat er 1 Million 100 TDM.
GOLDMANN: Also 'ne zweistellige Millionensumme hätt's schon sein sollen, ist ja wohl klar.
(Lachen)
Musik: aus Friedrich GOLDMANN
Ensemblekonzert II (1985)
Ensemble Modern, Ltg. Ingo Metzmacher,
Livemitschnitt von der XI. Musikbiennale Berlin
Febr.1987 im Schauspielhaus
*) Friedrich Goldmann
verstarb nach längerer Lungenkrankheit 68-jährig am 24. Juli 2009
*) Georg Katzer verstarb am 7.Mai 2019
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